Europäischer Gerichtshof erklärt die Religionserziehung an norwegischen Schulen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtsrechtskonvention.
OSLO/STRASSBURG. Im Haus der Humanisten in Oslo wurde am vergangenen Freitag fröhlich gefeiert. Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hatte mehrheitlich (mit 9 gegen 8 Stimmen) befunden, dass die Religionserziehung in den norwegischen Schulen eine Verletzung von Artikel 2 des Protokolls Nr. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstelle.
Drei Elternpaare - die Mitglieder der norwegischen Humanistischen Vereinigung (Human-Etisk Forbund) sind -, hatten (nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel) die norwegische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof mit der Begründung verklagt, dass das „KRL-Thema" (Christentum, Religion- und Philosophie), das 1993 in den Allgemeinbildenden Schulen eingeführt worden war, nicht neutral, pluralistisch und kritisch sei.
Es war den Eltern zuvor nur erlaubt worden, die Kinder für einzelne Stunden abzumelden. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Verweigerung der generellen Freistellung ein Verletzung des Elternrechtes sei, da „der Staat das Recht der Eltern zu respektieren habe, eine Erziehung und einen Unterricht in Übereinstimmung mit ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen."
Im Urteil stellt der Gerichtshof fest: „Der Staat muss dafür sorgen, dass Informationen oder Wissen im Lehrplan in einer objektiven, pluralistischen und kritischen Weise berücksichtigt wird. Dem Staat ist untersagt, das Ziel einer Indoktrination anzustreben, das die religiösen oder weltanschaulichen Ansichten der Eltern nicht respektiert."
Die Schlussfolgerung des Gerichtes war: "Ungeachtet der vielen lobenswerten gesetzgebenden Zwecke, die in Zusammenhang mit der Einführung des KRL-Themas in den allgemeinen Primär- und unteren Sekundarstufen angegeben werden, scheint es nicht, dass der verantwortliche Staat genügend Obacht dafür aufwendete, dass die Informationen und das Wissen laut Lehrplan in einer objektive, kritischen und pluralistische Weise vermittelt wurden – entsprechend der Formulierungen von Artikel 2 des Protokolls Nr. 1."
"Dementsprechend befand das Gericht, dass die Ablehnung, den Eltern die volle Befreiung vom KRL-Thema für ihre Kinder zu bewilligen, eine Verletzung von Artikel 2 des Protokolls Nr. 1. bedeute"
Ein Argument des Staates, dass die Eltern private Schulen für ihre Kinder hätten benutzen können, wurde durch das Gericht zurückgewiesen: "Das Gericht betrachtet das Bestehen der alternativen Ausbildung in privaten Schulen nicht als Befreiung des Staates von seiner Verpflichtung, Pluralismus in den staatlichen Schulen zu schützen, die für jeden geöffnet sind."
Der Gerichtshof folgte den Ausführungen des Human-Etisk Forbund, dass der Lehrplan für diesen Unterricht einseitig von Evangelisch-Lutherischen Auffassungen dominiert werde und eine konfessionelle Basis habe. Die norwegische Regierung wurde entsprechend verurteilt, das KLR-Thema zu modifizieren und den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen den gleichen Raum zu geben. Es muss zudem dafür gesorgt werden, dass alle Elemente einer Religionsverkündigung keinen Platz darin haben.
Die Verfahrenkosten (70.000 Euro) hat Norwegen zu begleichen.
CF