Drei Fragen an... Vera Wawrzyniak

FRANKFURT. (hpd) Am Wochenende 19./20. Juni findet in Frankfurt ein Seminar statt, das Islam und Islamismus als Herausforderung für die Friedensbewegung thematisiert. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor. Veranstaltet wird die Tagung vom Bildungswerks der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen; dort können sich Interessierte auch anmelden.

 


hpd: Welche Eigenschaften werden Ungläubigen im Koran zugeschrieben?

Vera Wawrzyniak: Die Ungläubigen werden im Koran als zweifelnd, als ungehorsam beschrieben, sie stellen Fragen zum Glauben, die als unbotmäßig empfunden werden und es heißt dort, sie haben den Propheten verspottet. Wenn man die Verse des Korans genauer liest, so verraten diese aber auch, dass die alten Araber kein Problem damit gehabt hätten, Allah als Gott anzuerkennen und ihn in ihr Glaubenssystem aufzunehmen. Sie hatten lokale Gottheiten und Stammesgottheiten, Götter und Göttinnen und sicher hätten sie Allah in dieses Pantheon aufgenommen. Aber Mohammeds Forderung, ihre alten Göttinnen und Götter gänzlich aufzugeben, das fiel ihnen sicher schwer. Erst die Aufteilung in Wahrheit und Unwahrheit, in falsch und richtig, die der Monotheismus vornimmt, macht sie zu „Ungläubigen“. Sie werden den „Guten“, den Muslimen, als die „Bösen“ gegenübergestellt, werden zu Unruhestiftern, Aufmüpfigen, Heuchlern. In einigen Versen werden sie als störrischer und dümmer als das Vieh beschrieben. Das geht bis zu einer Dämonisierung der Ungläubigen.

hpd: Wie ist es zu verstehen, wenn heute in islamistischen Pamphleten vom ungläubigen Westen die Rede ist – die Mehrzahl der Menschen in USA und Europa gehört doch christlichen Konfessionen an?

Vera Wawrzyniak: Der Koran bzw. die Theologie und das Recht, die Scharia, die sich aus dem Koran und den Überlieferungen entwickelten, kennen vor allem zwei Kategorien von Ungläubigen, die Muschrikun und die Kafirun. Die Muschrikun sind die bereits erwähnten „Beigeseller“, also die als Polytheisten bezeichneten altarabisch Glaubenden, die die vorislamischen Gottheiten anbeteten und das große Heiligtum in Mekka, die Kaaba, an dem einige dieser vorislamischen Gottheiten verehrt wurden, als Pilger besuchten. Die Kafirun sind die „Undankbaren“, die vom Islam gehört haben, die die Möglichkeit haben, die Wunder seiner Schöpfung jeden Tag zu erkennen, die sich dem Islam aber trotzdem nicht anschließen wollen – wobei die Kategorien im Koran nicht exakt voneinander abzugrenzen sind.

Es ist eigentlich so, dass Juden und Christen als Anhänger der alten und ursprünglichen monotheistischen Religion, als Angehörige der Religion, die auf den Urvater Abraham zurückgeht, und als Anhänger einer Gesetzesreligionen anerkannt wurden, obwohl Juden und Christen in den späteren muslimischen Gesellschaften doch als Menschen zweiter Klasse galten. Diese Toleranz, und das ist wichtig, gilt auch heute noch nicht für Abtrünnige, Atheisten und Polytheisten. Nun gibt es extrem fundamentalistische Auslegungen des Islams, die tatsächlich gar keinen anderen Glauben als den Islam zulassen und daher zum Beispiel auch die Christen zu „Polytheisten“ erklären, weil sie an die Dreifaltigkeit glauben, und damit sinken sie auf den Status der Ungläubigen herab. Ausschlaggebend ist für die Schreiber solcher fundamentalistischen bzw. traditionalistischen Pamphlete wohl auch der westliche Lebensstil, den sie beobachten. Für jemanden, der mit streng islamischen Geboten groß geworden ist, zum Beispiel ein Talib aus Afghanistan oder Pakistan, steht außer Frage, dass Menschen im Westen sich in ihrem alltäglichen Leben überhaupt nicht mehr an die göttlichen Gesetze halten. Und das bedeutet natürlich, dass sie dem Unglauben verfallen sind. Dieser totale Werteverfall wird zum Beispiel oft am Verhalten der Frauen und der Ordnung der Geschlechter festgemacht. Ein Kriterium, dem nebenbei bemerkt auch die russisch-orthodoxe Kirche in ihrer Bewertung des Westens immer noch folgt. (lacht)

hpd: „Heiliger Krieg“ oder „Streben für Gott“; wie ist Dschihad denn richtig übersetzt?

Vera Wawrzyniak: In den Jahren nach den Anschlägen vom 9. September 2001 war ja immer wieder zu hören, dass Dschihad nicht Krieg bedeute und dass es den kriegerischen Dschihad eigentlich gar nicht gebe. Vielleicht haben damals Befürchtungen eine Rolle gespielt, dass Muslime nur noch als potentielle Gewalttäter gesehen werden, und vielleicht war das damals unter dem Gesichtspunkt der Deeskalation sogar verständlich. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich aber irgendwann für dumm verkauft fühlte und daher habe ich mich dann an die Forschung gemacht, um zu klären, ob sich ein kriegerisch verstandener Dschihad nun über den Koran legitimieren lässt oder nicht. Tatsächlich bedeutet Dschihad nicht Krieg, dafür gibt es in der arabischen Sprache andere Worte, zum Beispiel Harb oder Qital. Qital bezeichnet eine kriegerische Auseinandersetzung, in der auch getötet wird. Dschihad bedeutet tatsächlich die größtmögliche Bemühung und muss nicht zwingend mit Krieg verbunden sein. Allerdings ist es falsch, dass der Begriff Dschihad überhaupt nichts mit Krieg zu tun hat. Das sogenannte friedliche Konzept des Dschihad hat sich erst viel später im Sufismus herausgebildet. Hier geht es im Dschihad wirklich eher um die auf die eigene Person gerichtete Bemühung, die Gebote Gottes zu erfüllen und eine von Liebe getragene Einheit mit Gott herzustellen. Aber dieser friedliche Weg des Dschihads ist nicht die einzige Auffassung, wie immer wieder behauptet wird.

Schon im Koran findet sich die Vorstellung der größtmöglichen Bemühung auf dem Wege Gottes unter Einsatz von Gut und Blut. Bereits hier wird das Konzept eines Krieges auf dem Wege Gottes, zur Durchsetzung der „Wahrheit“, zur Verteidigung des Glaubens vorbereitet. Im Koran gibt es viele Stellen, die sich auf bewaffnete Konflikte der Muslime mit den „Ungläubigen“ beziehen. Es wird auch berichtet, dass Gott mithilfe seiner Engelsscharen in die Kämpfe eingegriffen hätte. Daran knüpfen in der Zeit der Ausbreitung des Islams dann Rechtsgelehrte an und formulieren Regeln, wie ein Krieg geführt werden soll. In den Scharia-Rechtswerken ist festgelegt, was ein Kriegsgebiet ist, wer die Muslime im Dschihad anführen darf, wie mit der Beute zu verfahren ist usw. Bei wichtigen Hadith-Sammlern wie Buchari findet sich ebenfalls ein Buch des Dschihad, ein Abschnitt über Kriegsbestimmungen, wobei diese Hadithe häufig in den im Buchhandel erhältlichen deutschen Übersetzungen nicht enthalten sind und daher auch von der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen werden.

Sicher ist „Heiliger Krieg“ nicht die korrekte wissenschaftliche Übersetzung des Wortes Dschihad, aber den Krieg für den Glauben, für die Durchsetzung der Wahrheit und das Gesetz Gottes kennt der Islam sehr wohl. Dass der Islam grundsätzlich friedlich ist, das trifft auf diese Religion so wenig zu, wie auf die anderen Religionen, die die Religion zum zentralen Mittelpunkt auch ihres Gesetzes machten, die nur einen Gott, ein Gesetz, einen Glauben zulassen. Ich meine, der Islam ist genauso wenig grundsätzlich friedfertig wie das Christentum. Selbstverständlich ist Friedfertigkeit in den Religionen aber möglich, wenn man diese als veränderbar und nicht als statisch begreift.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Vera Wawrzyniak ist Religionswissenschaftlerin. In der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES ist sie als Inhaltliche Koordinatorin der AG „Frauenrechte und Religion“ aktiv.