(hpd) Ein bekanntes Foto zeigt ihn am 28. November 1941 im persönlichen Gespräch mit Hitler: Amin el-Husseini, den Mufti von Jerusalem.
In den 1920er bis 1940er Jahren galt er als bedeutende politische und religiöse Autorität der Palästinenser. Schon direkt nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten suchte der Mufti den Kontakt zur Hitler-Regierung und wollte sie immer wieder als Unterstützer seiner Politik gewinnen. Dem standen zunächst aber ideologische Vorbehalte gegenüber den Arabern und strategische Rücksichtnahmen auf die Briten im Weg. Ab 1937 kollaborierte el-Husseini offen mit den Nationalsozialisten, wurde immer mehr von ihnen unterstützt und lebte zwischen 1941 und 1945 in Berlin. In seinem Exil traf er nicht nur persönlich NS-Größen wie Hitler, Himmler und Ribbentrop. El-Husseini beteiligte sich auch aktiv an der Anwerbung muslimischer Freiwilliger für die Waffen-SS und strebte eine Verschärfung der Judenverfolgung und -vernichtung an. Von verschiedenen NS-Stellen erhielt er für diese Agitation enorme Geldsummen. Nach 1945 blieb der Mufti von den Alliierten unbehelligt und konnte seine antisemitische Agitation im Nahen Osten fortsetzen. Die Geschichte dieses Mannes erzählt der Politikwissenschaftler Klaus Gensicke in seinem Buch „Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis".
Historisch-chronologisch aufgebaut beschreibt das Werk den Lebensweg dieser bedeutenden Figur in der Entwicklung des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert. Dabei geht es um el-Husseinis Werdegang bis zur Wahl zum Mufti von Jerusalem und die ersten Kontaktaufnahmen zum „Dritten Reich", um die persönlichen Gespräche mit hohen Funktionsträger des NS-Staates und die organisatorische und propagandistische Unterstützung des Hitler-Regimes, um die Rolle bei der „Endlösung der Judenfrage" und die Rückkehr in den Nahen Osten nach 1945.
Zur Einschätzung der Person bemerkt Gensicke: „El-Husseini war das willfähige Werkzeug der Nationalsozialisten, das sich hauptsächlich Gedanken um die eigene Position machte. Ihm ging es im wesentlichen darum, von den Deutschen eine Art schriftliche Bestätigung über die arabische Unabhängigkeit zu bekommen, die er als Freibrief für seine eigene politische Zukunft benötigte" (S. 134). Und weiter: „Für ihn galt es vor allem in der letzten Phase des Krieges, wo an einer deutschen Niederlage nicht mehr zu zweifeln war, die Judenvernichtung schleunigst voranzutreiben" (S. 180).
Dem Autor kommt das Verdienst zu, die politische Biographie auf Basis des neuesten Forschungsstandes anschaulich geschrieben und strukturiert dargestellt zu haben. Dabei wendet er sich auch gegen manche verharmlosende Deutung in der Literatur und rückt das Wirken des Muftis im NS-Staat in das richtige Licht. Gerade hinsichtlich seiner Rolle bei der propagandistischen Begleitung des Judenmordes hätte man sich aber noch eine genauere Darstellung und Einschätzung gewünscht. Dafür zeichnet Gensicke anschaulich nach, wie der Mufti verschiedene NS-Stellen im eigenen Interesse gegeneinander ausspielte.
Ob er heute als „Stammvater aller Selbstmordattentäter und solcher Killernetzwerke wie Al-Qaida" (S. 164) gelten kann, wäre aber zu bezweifeln. Gleichwohl stellt der Mufti eine „Brücke zwischen dem Antisemitismus der Nationalsozialisten und der arabischen Welt" (S. 164) dar. Insgesamt hätte man sich in Gensickes Buch etwas mehr Analyse und nicht so sehr nur Beschreibung gewünscht. Auch verstört die altertümliche Bezeichnung „Mohammedaner" für Muslime. Gleichwohl handelt es sich um ein bedeutendes Werk zu einer Person, dessen Wirken gerade angesichts des aktuellen Antisemitismus von Islamisten und Rechtsextremisten Interesse verdient.
Armin Pfahl-Traughber
Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis, Darmstadt 2007 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 247 S., 49,90 €