Menschenwürde und das Recht auf Leben

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Fink, Hoerster, Engel / Foto: Thomas Blassl

NÜRNBERG. (hpd) In der Reihe "Philosophisches Frühstück" hat der emeritierte Sozial- und Rechtsphilosph Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster seine Auffassungen zum viel bemühten Konzept der Menschenwürde dargelegt und eine lebhafte Diskussion unter den theoretisch interessierten Humanisten Nürnbergs ausgelöst.

Die Reihe "Philosophisches Frühstück", wird gemeinsam von der Humanistischen Akademie Bayern und dem Humanistischen Verband HVD-Nürnberg veranstaltet. Die anwesenden ca. 30 Teilnehmer verfolgten gespannt die klar vorgetragene Argumentation Hoersters, die mit kurzweiligen Beispielen und trockener Ironie garniert war. Die zentrale These Hoersters lautet, dass Menschenwürde bei rechtsethischen Fragestellungen keine Begründungskraft besitzt, sondern sich bei genauerer Betrachtung als reine Leerformel erweist, deren suggestive Wirkung nur dort geschätzt wird, wo man sich bereits einig ist.

Als Beispiele für inflationären Gebrauch der Menschenwürde im juristischen und politischen Bereich und als Beleg für ihre Rolle als "schön klingende Pseudo-Legitimation" führte der Referent die Forderung nach Verboten von Peep-Shows trotz gleichzeitiger Legalität von Prostitution an, verwies auf die Bezeichnung der Ladenöffnung an Sonntagen als "Attacke auf die Menschenwürde" durch den Würzburger Bischof und erläuterte die vor Gericht verhandelte Frage, ob die Finanzierung von Schultüten zur Erlangung eines menschenwürdigen Lebens erforderlich sei.

Die Kantsche Formel, dass Menschen niemals bloß als Mittel zum Zweck benutzt werden dürfen, sei tatsächlich keine Leerformel, habe jedoch nur zum Teil plausible, zum Teil jedoch auch untragbare Konsequenzen. Als Beispiel hierfür diente die erzwungene Nutzung eines Mobiltelefons gegen den Willen der Besitzerin bei einem Notfall. Man könne in Kants Formel also nicht "niemals" sagen. Als einfachere Begründungsstrategie empfahl Hoerster die Vorstellung, man sei an einem Tag Mobiltelefonbesitzer, an einem anderen aber Opfer einer Notsituation. So lasse sich auch ohne Berufung auf die Menschenwürde ein breiter intersubjektiver Konsens herstellen, was in dieser Situation zu tun sei.

Auch etwa bei Argumentationen gegen die Todesstrafe, die im Übrigen sowohl mit der Kantischen als auch mit der christlichen Würde durchaus vereinbar sei, kommt Hoerster ohne die Menschenwürde aus: Ein Justizirrtum sei in diesem Fall nicht wieder gut zu machen, und andererseits gebe es keine überzeugenden Belege, dass die Todesstrafe mehr abschreckende Wirkung erziele als eine lebenslange Haftstrafe.

Anders als die Menschenwürde hat für Norbert Hoerster, der Beiratsmitglied der Humanistischen Akademie Bayern und der Giordano Bruno Stiftung ist, das Menschenrecht auf Leben sehr wohl entscheidende Bedeutung. Es verhindert als individuelles Grundrecht nämlich die utilitaristische Verrechnung von Interessen verschiedener Menschen.

Die Rechtfertigung für dieses Grundrecht liegt für Hoerster im spezifisch menschlichen Überlebensinteresse, das ein Bewusstsein von der eigenen Identität im Zeitablauf voraussetze. Deshalb komme es auch nur Menschen zu, nicht aber Tieren.

Als rechtsethisch wichtiges und brisantes Anwendungsfeld wurde schließlich der Umgang mit Embryonen behandelt. Die entscheidende Frage ist hier, ab wann dem werdendem Leben (und insbesondere: ob schon dem Embryo) das individuelle Recht auf Leben zusteht. Hoerster plädiert hier für die Geburt als pragmatisch leicht erkennbare und kontrollierbare Grenze. Dem Embryo fehle nämlich noch das dieses Grundrecht auslösende Überlebensinteresse.
Er legte allerdings Wert auf die Feststellung, dass auch ohne das Recht auf Leben noch lange nicht alles erlaubt sei. Die Folge sei dann lediglich, dass ein Freiraum für Abwägungen mit anderen Interessen entstehe, und nicht etwa eine völlige strafrechtliche Schutzlosigkeit des Embryos.

Diskussion

In der anschließenden, vom Präsidenten der Humanistischen Akademie Bayern, Dr. Gerhard Engel, moderierten Diskussion wurden kritische Nachfragen und Einwände gegen Hoersters Thesen verhandelt. So wurde der Vorschlag eines Teilnehmers, Menschenwürde als Recht des Individuums auf Gewährleistung der elementaren Bedingungen für seinen Anspruch auf Selbstachtung zu definieren und damit dem Verdikt der Leerformel zu entgehen, von Hoerster als legitim, aber zu unpräzise eingeordnet. Es sei viel klarer, direkt von den Menschenrechten auszugehen, ohne die überhöhende Formel von der Menschenwürde zu bemühen.

Auf die Nachfrage eines anderen Teilnehmers, ob er denn angesichts von Artikel 1 noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, antwortete Hoerster mit einem klaren "Ja". Er bestreite ja nur die Begründungskraft der Würde des Menschen, verbinde damit aber keine politischen Forderungen. So könne er etwa auch mit der Nennung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes leben, solange daraus nichts abgeleitet werde.

Des weiteren wurde diskutiert, inwieweit und unter welchen Umständen das Recht auf Leben nicht doch Gegenstand von Abwägungen sein könne oder sogar müsse - etwa bei Notwehr oder zur Verhinderung einer sonst drohenden viel höheren Zahl von Opfern. Hier sieht Hoerster den alles entscheidenden Unterschied darin, ob der getötete Mensch selbst für die Konfliktsituation Verantwortung trage oder nicht. So sehe er etwa eine Tötung Hitlers als legitim an, eine gleichzeitige Tötung seines unschuldigen Fahrers aber keineswegs.

„Philosophisches Frühstück“

Insgesamt bleibt zur Reihe "Philosophisches Frühstück" festzuhalten, dass sich die Kombination aus geselligem Beisammensein, kompetentem Vortrag und offener Diskussion am späten Sonntagvormittag in Nürnberg bewährt hat. Allein in diesem Jahr sind mit Gerhard Engel, Theodor Ebert, Edgar Dahl und Norbert Hoerster schon wichtige Treffpunkte für säkulare Humanisten realisiert worden.

Solche Veranstaltungsformen sind auch für kleinere Organisationen geeignet.
Auch wenn diese Treffen meist ohne große Öffentlichkeit und eher im Stillen stattfinden, so sind sie doch ein unverzichtbarer Bestandteil humanistischer Weltanschauungspflege und Kultur. Denn die Menschen brauchen neben Sozialdienstleistungsangeboten auch Bildungsangebote, der Humanismus braucht zur Praxis auch die Theorie, und die säkulare Szene braucht wie kaum eine andere die Freiheit des Arguments und den offenen Austausch von Ideen.

Helmut Fink.