Der Herr ist kein Hirte

(hpd) Mit „Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet" erscheint heute das zweite große Buch der Neuen Atheisten

nach Richard Dawkins „Der Gotteswahn" in Deutschland.

Der Autor

Christopher Hitchens wurde 1949 in England geboren und lebt momentan als Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker in Washington, D.C. Er gilt als einer der bedeutensten Intellektuellen der Vereinigten Staaten und hat schon für beinahe alle großen Zeitungen des Landes geschrieben.

Ursprünglich Sozialist, verließ Hitchens die Linke, als die Fatwa gegen seinen langjährigen Freund Salman Rushie verhängt wurde. Er hielt den Irakkrieg unter George W. Bush für unausweichlich und glaubt, dass wir heute nicht schlechter dran sind, als wir es ohne den Krieg gewesen wären. Er bezeichnet sich als politisch neutral und steht für keine Partei oder Richtung, hat jedoch Bücher über Tom Paine, Thomas Jefferson und George Orwell geschrieben, wobei er letzten als seinen Helden bezeichnet, „wenn ich Helden hätte".

Christopher Hitchens ist nicht nur für seine politischen Artikel und Bücher bekannt, sondern auch für seinen offenen Antitheismus. Mutter Teresa nannte er den Ghul von Kalkutta, bei einem Vortrag in der London Westminster Hall am 27. März bezeichnete er Richard Dawkins als „moderat" und fand es gut, dass mit ihm zumindest ein „Extremist" in Punkto Atheismus anwesend war. Während eines Vortrags in der Universität von Toronto am 15. November 2006 sagte Hitchens, man solle Religion der Lächerlichkeit preisgeben und ihr mit "Hass und Spott" begegnen. Er ist auch dafür bekannt, dass er öffentlich den Tod des christlichen Fanatikers Jerry Falwell begrüßte und zu einem „Weltkrieg gegen alle Theokratien und Diktaturen" aufrief.

Christopher Hitchens ist ein Verfechter von Aufklärung, Humanismus und der Trennung von Kirche und Staat. Er ist Ehrenmitglied der National Secular Society und der wahrscheinlich radikalste Vertreter der Neuen Atheisten.

Der Herr ist kein Hirte

Es handelt sich um die deutsche Ausgabe von „God is Not Great. How Religion Poisons Everything", das sich überaus gut verkauft in den USA. Im Gegensatz zu „Der Gotteswahn" verübt Hitchens nicht in erster Linie eine philosophische und naturwissenschaftliche Religionskritik, sondern er klagt die Religion aus historischer, kultureller und literaturwissenschaftlicher Perspektive an.

Das bedeutet, dass er zum Beispiel die historische Entstehung der drei monotheistischen Religionen aufzeigt, wobei sein Fazit lautet: „Wieder stellt sich heraus, dass die monotheistischen Religionen plagiierte Plagiate unverbürgter Gerüchte sind, die sich zurückbeziehen auf ein paar wenige frei erfundene Pseudoereignisse." Diese Aussage kann Hitchens in der Tat mit beeindruckender Sachkenntnis belegen, auch seine Ausführungen über die Ursprünge der Mormonen und des Cargo-Kults sprechen Bände. Es gelingt ihm besonders gut, darzulegen, aus welchen primitiven Vorläufern sich die Religion entwickelt hat und wie primitiv sie teilweise auch heute noch ist. Finsterster Aberglaube, sogar Kannibalismus und Opferungen, bilden die Anfänge der Religion, wie wir sie heute kennen.

Aber vergiftet Religion wirklich alles? Christopher Hitchens steht zu seinem Untertitel und nennt folgende Haupteinwände gegen den religiösen Glauben: „Er stellt die Ursprünge des Menschen und des Universums völlig falsch dar, er verbindet infolge dieses Irrtums ein Höchstmaß an Unterwürfigkeit mit einem Höchstmaß an Solipsismus, er ist Folge und Ursache einer gefährlichen sexuellen Repression, und er fußt letzten Endes auf Wunschdenken."

All diese Thesen begründet Hitchens in den folgenden Kapiteln auführlich und überzeugend. Man erfährt von der stetigen Unterdrückung von Freidenkern durch sämtliche Religionen, von der Geschichte des skeptischen Denkens und erhält eine Antwort auf die Fragen, ob Religion für besseres Benehmen sorgt und ob fernöstliche Religionen eine brauchbare Alternative darstellen.

Nebenbei zerstört Hitchens die größten Mythen um religiöse Vorzeigefiguren. So belegt er, dass die Religiösität von Martin Luther King nicht viel mit dem christlichen Glauben zu tun hatte, sondern dass jener die Bibel nur für metaphorische Geschichten benutzte, zum Beispiel „Lass mein Volk ziehen" als Anspielung an Moses. Außerdem bestand ein großer Teil seiner Mitstreiter aus Atheisten, während seine Gegner, die selbsternannten „Verteidiger der weißen Rasse", ständig mit ihrer Religion argumentierten.

Während Hitchens Martin Luther King sehr wohlwollend gegenüber steht, zeigt er bei dem „Fakir und Guru" Mahatma Gandhi keine Gnade. Nach den Verlusten des Ersten Weltkriegs und dem Massaker von Amritsar hätten die britischen Besatzer Indien ohnehin bald aufgeben müssen. In einer anderen Lage hätte der gewaltlose Widerstand keine Wirkung gezeigt. Gandhi sei vielmehr eine Belastung für den Frieden und ein modernes Indien gewesen, denn: „Gandhi wollte Indien, verkürzt gesagt, wieder zu einer dörflichen und primitiven 'spirituellen' Gesellschaft machen, erschwerte damit die Machtteilung mit den Muslimen und war sehr wohl willens, zur Gewalt zu greifen, wenn er es für nützlich hielt." Wir erfahren weiter: „Millionen von Menschen wären, wenn man seinem Rat gefolgt wäre, sinnlos verhungert oder hätten weiterhin Kühe verehrt". Starker Tobak, aber Hitchens ist durchaus in der Lage, seine Position argumentativ und mit historischen Fakten zu stützen.

Der Mutter-Teresa-Kult ist ebenso peinlich für seine Anhänger: Er begann mit der BBC-Doku „Something Beautiful for God", die Teresas Wirken in Kalkutta zeigte. Eine Szene im „Haus der Sterbenden" ist hell ausgeleuchtet, obwohl es im Gebäude eigentlich recht dunkel war. Dieses Glänzen wurde als „göttliches Licht" interpretiert. Tatsächlich handelte es sich um einen damals neuen Film von Kodak, der bei dieser Szene zum ersten Mal zum Einsatz kam. Vielleicht eine gute Werbeidee für den Filmentwickler: „Göttliches Licht - nur mit Kodak!" Was folgte waren viele weitere Betrügereien um angebliche Wunder und eine grob verzerrte Darstellung des „Ghuls von Kalkutta": Mutter Teresa verbot den Einsatz von Schmerzmitteln und betrieb eine in ihrem Wirkungskreis hochbrisante Kampagne gegen Verhütung und Abtreibung, ihr „Haus der Sterbenden" bedeutete für viele Menschen einen qualvollen Tod nach Jesu Vorbild.

Wenn Hitchens über das gestörte Verhältnis der Religion zur Sexualität redet, wird er besonders bösartig:

„Sollen doch die praktizierenden jüdischen Männer ihren frisch beschnittenen blutigen Penis einem Rabbi in den Mund stecken [...]. Sollen sich Frauen, die ihren Schamlippen misstrauen, doch von anderen erbärmlichen Frauen beschneiden lassen. Soll sich Abraham doch zur Selbsttötung bereit erklären, um seine Demut vor dem Herrn zu beweisen oder seinen Glauben an die Stimmen in seinem Kopf. Sollen sich doch fromme Eltern bei akuten Schmerzen den Beistand durch die Medizin versagen. Soll sich meinetwegen der Priester, der sich zum Zölibat verpflichtet hat, als promisker Homosexueller betätigen. Soll sich die Gemeinde, die an Teufelsaustreibungen glaubt, doch jede Woche einen erwachsenen Sünder herauspicken und auspeitschen, bis er blutet. Soll doch der Kreationismus-Anhänger seine Kollegen in der Mittagspause belehren. Aber dass schutzlose Kinder zu diesen Zwecken missbraucht werden, kann auch der überzeugteste Säkularist getrost als Sünde bezeichnen."

Was dieses Buch insbesondere von anderen religionskritischen Schriften unterscheidet, sind nicht nur die Aggressivität und Offenheit, sondern vor allem Hitchens Berichte über seine eigenen Erfahrungen als Journalist. So konnte er die Frage von seinem Kollegen Dennis Prager, ob er sich nachts in einer fremden Stadt sicherer fühle, wenn eine Gruppe Männer gerade aus einem Gottesdienst komme, damit beantworten, er beschränke sich nur einmal auf den Buchstaben B: „In Belfast, Beirut, Bombay, Belgrad, Betlehem und Bagdad habe ich so eine Situation schon erlebt. In jedem Fall kann ich behaupten, und dies auch begründen, dass ich mich unmittelbar bedroht fühlte, wenn ich annahm, dass die Männer, die mir im Dämmerlicht begegnen, aus einer religiösen Veranstaltung kamen."

Auch berichtet Hitchens über seine Besuche im Irak, in Nordkorea, in Indien, im Kosovo und in vielen anderen Ländern und Regionen. Aus erster Hand erzählt er, welch gewaltiges Unheil die Religion dort anrichtet. Erschütternd sind auch seine Geschichtsstunden über die Verbindungen zwischen katholischer Kirche und faschistischen Regimen. Der Vatikan unterstützte Mussolini, Franco und zahlreiche weitere faschistische Regierungen und Bewegungen weltweit. Der Einfluss katholischer Bischöfe und Priester im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda der 1990er Jahre lässt die Hoffnung schwinden, dass sich der Vatikan jemals für solche Kollaborationen entschuldigen wird.

Fazit

„Der Herr ist kein Hirte" ist das große religionskritische Buch neben „Der Gotteswahn". Christopher Hitchens nimmt die Religion gnaden- und respektlos auseinander. Er zeigt auf, für welche abscheulichen Verbrechen sie verantwortlich ist, warum es sich bei ihren metaphysischen Behauptungen um Lügen handelt und warum ihre Entstehungsgeschichte an Plagiarismus, billigen Fälschungen und kruder Fantasie nicht mehr zu übertreffen ist. In der Tat gelingt es Christopher Hitchens aufzuzeigen, dass es sich bei Religion prinzipiell um eine schlechte Idee handelt und sie „die Welt vergiftet". Die deutsche Übersetzung kann ebenfalls als gelungen bezeichnet werden, auch wenn sich nicht alle einprägsamen Kernsätze einwandfrei ins Deutsche übertragen ließen. Wer sich nach Lektüre dieses Buches nicht von seiner Religion verabschiedet, darf sich mit Fug und Recht einen wahren Gläubigen nennen.

Outtake

Ein besonders drastischer Spruch hat es nicht in die deutsche Ausgabe geschafft. Bei dem amerikanischen Gesetzespaket mit dem Namen „No Child Left Behind" („Kein Kind wird ausgelassen") handelt es sich um eine Reform des Bildungssystems unter der Bush-Regierung, die zur verfassungswidrigen Einbindung religiöser Gruppierungen in die Kindeserziehung geführt hat. Hitchens parodierte diese Bezeichnung, als er mit Verweis auf pädophile katholische Priester sagte: „No Child's Behind Left" („Das Hinterteil keines Kindes wird ausgelassen").

Essays zum Buch

Christopher Hitchens hat zwei Essays zum Buch geschrieben, die beim hpd in deutscher Sprache zu finden sind:

Die Religion vergiftet alles

War Mohammed Epileptiker?

 

Andreas Müller

 

Christopher Hitchens: „Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet". Blessing, 2007, 352 Seiten. ISBN-10: 3896673556 / ISBN-13: 978-3896673558. Euro 17,95.