Veranstaltungsbericht

"Feuerbach ist geil!"

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Das Schluss-Podium der Tagung: Frank Riegler, Ulrike Ackermann-Hajek, Helmut Fink, Prof. Andreas Arndt, Prof. Eric Hilgendorf
Das Schluss-Podium der Tagung

Am vergangenen Samstag fand das Tagesseminar der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft in Nürnberg statt. In diesem Jahr war es besonders hochkarätig besetzt und ging unter anderem der Frage nach, wie relevant Feuerbach für die Gegenwart ist.

Das jährliche Tagesseminar der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft (LFG) fand dieses Jahr im Nürnberger Marmorsaal statt, sodass der LFG-Vorsitzende Helmut Fink die "edlen Gäste im edlen Rahmen" begrüßen konnte. Da die Veranstaltungen und Publikationen der LFG sich nicht nur an Fachleute richten, stellte Fink in seiner anschließenden Einleitung noch einmal knapp einige Grundzüge von Feuerbachs Denken vor: die Projektionsthese, mit der Feuerbach die psychische Funktion der Religion aufgedeckt habe, die Bedeutung des Philosophen für Anthropologie und Religionskritik sowie seine umfassende Menschheitsethik.

Den Auftakt zum Hauptteil der Veranstaltung machte die Feuerbach-Expertin Prof. Ursula Reitemeyer mit ihrem Vortrag "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Bildung", in welchem sie die Rolle erläuterte, die Feuerbachs Schriften bei der Entwicklung der deutschen Bildungsidee im 19. Jahrhundert spielten. Mit Aussagen Friedrich Engels' (1885) und Karl Löwiths (1928) illustrierte sie, wie Feuerbach die idealistische Philosophie des "absoluten Geistes" zu Fall gebracht habe, und zeigte, wie der Denker durch seine anthropologische Dekonstruktion Gottes ("Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde") den Sturz der damals vorherrschenden philosophischen und theologischen Systeme einleitete. Im Weiteren legte sie die Folgen dieses Sturzes für das Bildungswesen dar. Ein Schwerpunkt lag dabei auf dem von Adorno festgestellten "tiefen Fall der klassischen deutschen Bildungsidee", ein anderer auf der Entwicklung des modernen, emanzipatorischen Bildungsgedankens aus den Theorien des Vormärz, die von Feuerbach inspiriert worden seien. Von dort aus thematisierte sie unter anderem die politische Bedeutung von Bildung und die Folgen für deren Inhalte bis in die heutige Zeit.

Nach einigen Publikumsfragen, unter anderem zur Verwirklichung des klassischen humanistischen Bildungsideals des allseitig gebildeten Menschen im Spannungsfeld zwischen institutioneller und privater Bildungspraxis, folgte der Beitrag des renommierten Hegel-Experten Prof. Andreas Arndt zum Thema "'Die neue Philosophie ist die Realisation der Hegelschen' – Feuerbachs Verhältnis zu Hegel". Der Referent sieht Feuerbachs "Das Wesen des Christentums" noch als sich an Hegel anschließende Philosophie. In den Grundsätzen einer Philosophie der Zukunft (1843) gehe Feuerbach jedoch einen Schritt weiter: "Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du." Daraus ergebe sich eine intersubjektivistische Umdeutung der Hegel'schen Dialektik – ein Eingriff, der die Grundlagen der philosophischen Argumentation völlig verändert habe.

Weiterhin reflektierte der Referent die Bedeutung der sinnlichen Anschauung bei Feuerbach für die Wahrheit. So schrieb Feuerbach etwa in den Grundsätzen der Philosophie der Zukunft: "Wahr und göttlich ist nur, was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiss ist, unmittelbar für sich spricht und einnimmt." Arndt kritisierte diesen Ansatz als ein Verstummen des Begriffs, ja den Übergang von Philosophie in Nicht-Philosophie. Diese verweise dann nur noch auf das Leben. Gerade in einer Zeit, in der viele sich ihrer selbst und ihrer Meinung unmittelbar gewiss seien, halte er ein solches Denken in Unmittelbarkeiten für "extrem gefährlich".

Abschließend befasste er sich mit Äußerungen Feuerbachs zu Hegel im Kreis der "Linkshegelianer" Marx und Ruge. Marx gegenüber habe Feuerbach im Religionsverständnis etwas voraus, denn die Religion verschwinde nicht einfach, wenn eine Gesellschaft bestens eingerichtet sei, insofern die Reflexion des Menschen auf seine eigene Sterblichkeit bestehen bleibe. Im Weiteren schloss der Referent aus Äußerungen Feuerbachs gegenüber Ruge, dass Feuerbach sich bewusst gewesen sei, dass er in Hegel'schen Bahnen denke, und dass seine Opposition zu Hegel vor allem eine Inszenierung im Zuge seines Eintretens für die politische Freiheit gewesen sei.

Helmut Fink
Helmut Fink, Vorsitzender der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft, während der Begrüßung der Tagungsteilnehmer. Foto: © Frank Schulze

Nach der Mittagspause befasste sich Prof. Eric Hilgendorf in seinem Vortrag "Paul Johann Anselm Feuerbach als Anthropologe. Vorläufer von Ludwig Feuerbach?" mit dem Vater des Philosophen, dessen 250. Geburtstag im November gedacht wird. Nach einer kurzen Würdigung P.J.A. Feuerbachs als einem der bedeutendsten Juristen des 19. Jahrhunderts, dessen Werke – auch als Grundlage für Rechtsstaatlichkeit – weltweit rezipiert würden, erläuterte der Referent dessen Reflexion darauf, warum es zu seiner Zeit noch keine vergleichende Rechtswissenschaft gegeben habe. Diese sei nämlich nötig, um im Vergleich Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten und deren Bedeutung bewerten zu können. Zudem helfe, so Hilgendorf, das Vergleichen generell zu erkennen, dass Fremdes nicht notwendig schlechter sein muss als das Eigene, und fördere damit auch die Toleranz. Durch seinen Anspruch, juristische Grundsätze vom Koran bis zu den Überlieferungen des Mongolenreiches und von Nordamerika bis Indien kennenzulernen, stand P.J.A. Feuerbach vor einer riesigen Stofffülle. Ziel seines kritischen Vergleichs etwa des Eherechts in allen möglichen Weltgegenden war es, den Euro- und Ethnozentrismus in seiner Beschränktheit zu zeigen und die Verallgemeinerungen dieser Standards als Fehlentwicklung auszuweisen. Sein Projekt, eine Universaljurisprudenz zu begründen, sollte für mehr Aufklärung sorgen. Die deutsche Geschichte verlief indes anders…

Das letzte Referat vor der Kaffeepause hielt Ulrike Ackermann-Hajek zum Thema "Der Maler Anselm Feuerbach (1829–1880) in seiner Zeit – ein unzeitgemäßer Künstler". Ausgehend von dem in Nürnberg wohl bekanntesten Gemälde Anselm Feuerbachs, der "Amazonenschlacht", erläuterte sie sein Verhältnis zur Heimat, seine Einordnung in den "Feuerbach-Clan" und seine Biografie. In Paris kam er zu Couture, wo die Grundlage seiner Meisterschaft gelegt worden sei. Sein Versuch, sich in seinem Heimatland Baden zu etablieren, scheiterte mehrmals. In Italien fand Anselm Feuerbach seine künstlerische Heimat, sodass er in der Folge viele Jahre zwischen Deutschland und Italien (v. a. Rom) hin- und herpendelte. 1872 wurde er in Wien zum Professor für Historienmalerei an der Akademie der bildenden Künste ernannt. 1876 zog er mit seiner Mutter nach Nürnberg. Am 4. Januar 1880 starb der Künstler in Venedig. Die Beisetzung fand unter großer Beteiligung städtischer und künstlerischer Kreise auf dem Johannisfriedhof in Nürnberg statt. Die Referentin beschloss ihren Beitrag mit dem Hinweis auf die Komposition "Nänie" von Johannes Brahms, die dieser zu Ehren Anselm Feuerbachs dessen Mutter gewidmet hatte, und die man in der Kaffeepause anhören konnte.

Nach der Pause referierte Frank Riegler, Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit Bayern, über "Ludwig Feuerbach und die freigeistige Bewegung in Bayern". Im Anschluss an einen knappen Abriss zur politischen Entwicklung zur Religionsfreiheit bis 1848 erläuterte Riegler zunächst Feuerbachs Rolle in diesem Zusammenhang sowie dessen Werk "Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" (1830) und seine Vorlesungen zum Wesen der Religion vor Studenten im Heidelberger Rathaus 1848/1849. Riegler betonte im Weiteren die Rolle der Feuerbach'schen Werke als Hauptwerke der Religionskritik im liberalen Bürgertum sowie für die freireligiösen Gemeinden. Die anwachsende sozialistische Bewegung in Europa habe schließlich zu einer größeren Bekanntheit Feuerbachs geführt. Dies sei nicht zuletzt bei seiner Beerdigung deutlich geworden, als sich Tausende von Mitgliedern der "Arbeitervereine" von Nürnberg und Fürth mit roten Fahnen auf dem Johannisfriedhof einfanden, ergänzt um den Trauerzug von Familie und Freunden von Rechenberg her. Ein negativer Effekt sei Feuerbachs Vereinnahmung (z. B. in der DDR) gewesen. Als besonderen Kämpfer gegen die kirchliche Vorherrschaft würdigte der Referent auch Konrad Deubler, den "Bauernphilosophen" aus Goisern und Freund Ludwig Feuerbachs. Mit einem Hinweis auf die immer noch nicht vollständig erfolgte Trennung von Staat und Kirche als verbleibende Aufgabe wie auf die in Nürnberg vorhandenen Feuerbach-Gedenkstätten beendete Riegler den Vortrag.

Aus den sich anschließenden Nachfragen ergaben sich noch folgende Informationen: Feuerbach ist im Bund für Geistesfreiheit noch als Klassiker präsent, aber allgemein gibt es heute andere Schwerpunkte. So seien größere Feierlichkeiten zum Beispiel von städtischer Seite, wie 1972 zum 100. Todestag, heute nicht mehr vorstellbar. Aber von Feuerbach lernen heiße, dass "freigeistig" bedeute, frei von jedem Gott zu sein – auch von einem Parteigott.

Blick vom Publikum aus auf die Bühne
Das Publikum im Marmorsaal lauscht Helmut Fink, Foto: © Frank Schulze

In der von Helmut Fink moderierten abschließenden Podiumsdiskussion unter dem Motto "Gedankensprünge vom 19. ins 21. Jahrhundert – Feuerbach'sche Aktualitäten und Nachwirkungen" ging es zunächst um die Frage nach dem philosophischen Eigenwert von Feuerbachs Denken. Hierzu wies Prof. Arndt darauf hin, dass eine "Verrechnung" Feuerbachs mit dem Marxismus zu kurz greife. Feuerbachs Eigenständigkeit bestehe in seinem Versuch, in einer komplexen politisch-gesellschaftlichen Situation zu intervenieren. Statt eine Vereinigung von Idealismus und Materialismus anzustreben, sei er jedoch in einer materialistischen Einseitigkeit gelandet, die sich allerdings aus der genannten Situation heraus erkläre.

Anschließend an den Hinweis Prof. Hilgendorfs, dass Feuerbach generell noch in der Theologie eine große Rolle spiele – als Gegner –, bestätigte Prof. Arndt, dass Feuerbach noch an den theologischen Fakultäten gelehrt werde, wobei es freilich auch Vereinnahmungsversuche gebe, etwa derart, dass man zugebe, das Geheimnis Gottes sei der Mensch, dies aber nur auf die Menschwerdung Gottes beziehe, oder natürlich in Form einer Lesart der Projektionstheorie als Warnung vor anthropomorphen Gottesvorstellungen. Seine eigenen Studenten hätten am Schluss der Behandlung Feuerbachs jedenfalls einmal den Spruch gebracht: "Feuerbach ist geil!".

Auf die Frage nach der Sprengkraft religionskritischer Themen heute antwortete Frank Riegler, er habe den Eindruck, dass sie (in unseren Breiten) gar keine Sprengkraft mehr hätten. Die Religion sei inzwischen einfach zu unbedeutend. Die Freigeistigen würden davon allerdings nicht profitieren, auch weil es keine Sensibilität für das Fortbestehen von Privilegien und Unterdrückungsmechanismen der Kirchen (u. a. als Arbeitgeber) gebe. Ulrike Ackermann-Hajek ergänzte, dass hier auch langlebige Traditionen eine Rolle spielen (z. B. Martinsumzüge). Und wer aus der Kirche austrete, trete deswegen nicht auch in eine humanistisch-freigeistige Organisation ein.

Daran anschließend ging die Frage an Prof. Hilgendorf, wie er als Jurist den juristischen "Überhang" im Verhältnis von Staat und Kirche einschätze (Einzug der Kirchensteuer durch den Staat, Staatsleistungen usw.). Hilgendorf berichtete, dass diese Thematik an den Unis auf wenig Interesse stoße und es etwa auch keine Prüfungsthemen dazu gebe. Helmut Fink ergänzte, dass heute die Mehrheit der Bevölkerung säkular denke und auch die Kirchenvertreter selbst nicht unbedingt die Stockkonservativsten seien, sondern dass der Hemmschuh eher Politiker seien, die immer noch der Meinung seien, man würde mit Säkularismus Wähler verschrecken.

In den Schlussworten zeigte sich schließlich eine grundsätzliche Einigkeit darüber, dass vieles von Feuerbachs Denken nach wie vor aktuell respektive "aktualisierbar" (Arndt) sei, wenngleich das, so Prof. Arndt, nicht immer mit den von Feuerbach selbst zur Verfügung gestellten Mitteln gehe. Daher bedürfe es, so etwa auch Prof. Hilgendorf, einer historischen Distanz, aus der heraus man fragen könne, wie Feuerbachs Gedanken und Intentionen heute am besten aufzugreifen sind.

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