(hpd) Karen Duve hat ein Jahr lang anständig gegessen. Bio, vegetarisch, vegan, am vegansten und frutarisch. Und sich in gewohnt nüchterner Manier dabei beobachtet. Wie jemand sich im Laufe eines Jahres verändert und wie man selbst sich ändern kann, wenn man das schon liest.
Entsetzliche Dinge geschehen in unserer Welt. Darauf macht Jiminy Grille (ein Spitzname), die Mitbewohnerin und moralische Instanz von Karen Duve, sie öfters aufmerksam. Eines Tages – es ist Dezember 2009, das Jahresende naht, das passt also gut zu guten Vorsätzen für das neue Jahr – beschließt Duve, es zu versuchen. Die leidenschaftliche Cola-Light-Trinkerin und Bratwurstesserin will versuchen, eine derjenigen zu sein, über die sich die restliche Menschheit mokiert. Eine „Menschheit, die es für so selbstverständlich ansah, dass Tiere schwer misshandelt wurden, dass sie das Einhalten eines Mindeststandards, wie den schlichten Umstand, dass Gänse auch mal an die frische Luft dürfen, für eine bemerkenswerte Sache hielt.“
Die Grausamkeit findet innerhalb der Norm statt, Tierquälerei ist gesetzlich legitimiert. Aber die Entscheidung, was sie kauft, trifft sie ja selbst. Das Geld und ihre Figur spielen auch noch eine Rolle. Und so entscheidet sich Duve, das Jahr in Zweimonatseinheiten aufzuteilen. Und eben zwanzig Prozent mehr zu bezahlen. Und sich dafür eventuell (moralisch) besser zu fühlen.
Im Januar gibt es ausschließlich Bio-Lebensmittel. Selbstredend tauchen Müsli-Fresser auf, denen Duves Anstrengungen nicht genügen. Selbstverständlich sind Bio-Produkte die unattraktivsten Produkte im ganzen Supermarktregal. Aber wenn man am richtigen Ort guckt, wird man fündig. Ein Resümee zieht Frau Duve: „Mit Verzicht hat Bio-Ernährung nichts zu tun, allenfalls mit Luxus.“
Investigativ
Die Autorin reflektiert nicht nur sich, sondern auch die Produktionsbedingungen von Bio-Waren und Supermarktware, von Fleisch, Hühnerhaltung, Milch. Sie weist nach, dass Supermarktware nur billig sein kann, weil wir sie alle durch Milliarden hohe Subventionen finanzieren, auch die Umweltkosten werden an die Allgemeinheit abgegeben. Politiker gehen mit der Landwirtschaftslobby Hand in Hand, um Konsumenten auszutricksen. Jedem Gerücht geht die Selbstversucherin nach, überprüft, interviewt, versucht zu interviewen (in ein Schlachthaus kommt sie beim besten Willen nicht hinein), sie fährt hin und überzeugt sich vor Ort. Sie beteiligt sich an Tierbefreiungsaktionen. Sie versucht, Absolution für schlechte Gewohnheiten zu erhalten, und erhält sie nicht. Also muss die Experimentatorin tatsächlich ihre Essgewohnheiten ändern, um die eigenen Vorgaben zu erfüllen. Das ist mitunter hart. Man leidet ein bisschen mit.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Speziesismus, Evolution, unsere genetischen Übereinstimmung mit anderen Tieren und unsere nicht-existierende Einzigartigkeit führen zu der Frage, ob wir wegen unserer Besonderheit (die sich von den Besonderheiten der Ameise oder des Krokodils unterscheidet) „mehr Rechte haben als alle anderen, oder ob uns die Fähigkeit zur Reflexion nicht eher mehr Verpflichtungen auferlegt.“ Allein die kognitiven Fähigkeiten heranzuziehen, reicht nicht aus, denn logischerweise argumentiert Duve: „Ein Schwein, das mitbekommt, dass es geschlachtet werden soll, schreit und wehrt sich jedenfalls genauso verzweifelt, wie es der Nobelpreisträger in dieser Situation tun würde.“
Die Tierhalterin – eine Tätigkeit, die sie im Laufes des Jahres in Frage stellt – bemüht sich auch, ihre zahlreichen Tiere (Esel, Hund, Katzen, Hühner) artgerecht zu halten. Ein Kampf, wie sich erweist. Und dass Bio-Essen nicht schmeckt, wird der Leserin nicht vorenthalten. Jedoch ist das übersichtliche Warenangebot im Bioladen psychisch entlastend. Und Schmackhaftes findet sich schließlich auch dort. Man muss nur wissen wo.
Fleisch. Milch. Eier.
Immer wieder geht es um Fleisch. Um Fleischproduktion. „Fleisch essen bedeutet also die Vernichtung riesiger Lebensmittelmengen, mit denen man 6 bis 26 Mal so viel hungrige Menschen ernähren könnte.“ Essen, vor allem Fleisch, soll billig und billiger sein. Wieso eigentlich? Tiere überhaupt zu verspeisen, auch bei der besten, artgerechtesten Haltung, ist für die rührige Schriftstellerin ein Widerspruch. Schließlich werden auch diese getötet.
Zwischen den Monaten widmet Karen Duve einzelnen Themen eigene Kapitel, wie beispielsweise zwischen Februar und März „Mitgefühl – ohne Gefühl“ oder zwischen Juni (veganer) und Juli (noch veganer) „Die Sache mit der Milch“. Im Herbst ernährt sich Duve rein frutarisch und im November 2010 stellt sie sich der Frage: „Wie geht es weiter?“
Begegnungen mit ihren Eltern, mit ihren Geschwistern und deren Gatten (einer davon ein Landwirtschaftsminister), mit Freunden und Nachbarn erwecken den Eindruck, Zeugin eines Lebens, eines Prozesses, einer Suche zu sein. Die lakonische Trockenheit, mit der Duve sich selbst und ihre vergeblichen Versuche, so zu bleiben, wie sie war, beschreibt und demontiert, ist umwerfend. Sie zeigt sich menschlich-allzumenschlich. Die Distanz zu sich selbst, in der sie schmerzhafte Selbsterkenntnisse gewinnt und diese zugleich knochentrocken, weise und amüsant kommentiert, macht sie zu einer großen Autorin – was sie bereits in ihrem autobiografischen Roman „Taxi“ bewies.
Empathie und Ethik
Da wir Menschen – nach dem Nazi-Holocaust, nach Folter und Krieg – in der Lage waren, binnen Jahrzehnten unsere Empathie auf unsere Mitmenschen auszudehnen, stellt sich nun die Frage, inwieweit wir bereit sind, diese Empathie auch auf unsere Mittiere auszudehnen.
Kluge, treffende Zeugnisse nicht nur über sich selbst, sondern über uns Menschen und unser aller Verantwortung. Komplexe Zusammenhänge zwischen weltweiter Landwirtschaft, Politik, nationalen Mafias, Welthunger, Umweltverschmutzung, Klimawandel und unserer Nahrungsaufnahme bringt Duve prägnant auf den Punkt und trifft köstliche, klare ethische Aussagen, denen man sich kaum entziehen kann.
Weshalb sollte man konsequenterweise die Finger von Milchprodukten und Eiern lassen? Ist Milch überhaupt gesund? Gibt es veganen Käsekuchen? Ist für Karen Duve Fleisch noch genießbar? Welche der neuen Essgewohnheiten hat sie liebgewonnen und möchte nicht mehr von ihnen lassen? Tja, das sollte man wirklich nachlesen, es lohnt sich!
Fiona Lorenz
Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch. Verlag Galiani Berlin, gebunden mit Schutzumschlag. ISBN 978-3-86971-028-0, Euro 19,95.
Die Autorin Karen Duve ist Mitglied des Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung. Mit dem Spiegel-Essay “Welt ohne Gott - Ein Plädoyer wider den Glauben” (30.03.2009) trat Duve als Religionskritikerin in Erscheinung