Deutschland Deine Kinder (5)

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Reichstagsgebäude / Foto: Carsten Frerk

BERLIN. (hpd) Ehemalige Heimkinder in der Warteschleife: Die Suche nach klaren Fakten zwischen Empfehlungen und Forderungen hat begonnen. Das Ende eines Lebens: Nachruf auf Josef „Sepp“ Doll, Betroffener und Zeitzeuge.

Der Bundestag hat den Abschlussbericht „Runder Tisch Heimerziehung“ am 19. Januar 2011 entgegen genommen. Gegenstand der Untersuchung war die Heimerziehung in den Jahren 1949-1975 in der Bundesrepublik Deutschland. Ca. 800.000 Kinder und Jugendliche waren betroffen. Heute sind sie 45-75 Jahre alt. Nach zweijähriger Untersuchung kam der Runde Tisch Heimerziehung zu dem Ergebnis, dass den Schilderungen der ehemaligen Heimkinder über menschenunwürdige Zustände in der Heimerziehung geglaubt wird.

In Bezug auf Entschädigungen für erlittenes Unrecht und Leid blieben die Empfehlungen des RTH an den Bundestag aber beim Minimalkonsens von 120 Millionen Euro. Nach Expertenschätzungen wird erwartet, dass sich lediglich ca. 30.000 Betroffene um eine Entschädigung bemühen werden – aus Resignation? Dann wäre pro Person eine Auszahlung von ca. 1.000-4.000 Euro möglich. Die Heimkinder-ZeitzeugInnen am RTH hatten bis zuletzt – mit Erfolg - darum gekämpft, dass der Fonds aufgestockt werden müsse, falls sich doch mehr Anspruchsberechtigte melden würden.

Bund, Länder und Kirchen sind nun angehalten, den Fond zu füllen. Die Ergebnisse des RTH wurden zwar am 13. Dezember 2010 vorgestellt. Seither warten die Anspruchsberechtigten auf die Entscheidung des Bundestages.

Abwarten - Wie lange noch?

Für Josef Doll, genannt Sepp, ehemaliges Heimkind kommt jede Entschädigung zu spät. Er starb am 7. Februar 2011 ohne sein 59. Lebensjahr zu vollenden. Wenn es um einen Durchschnittswert der Lebenserwartung geht, dann hätte Josef Doll nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Deutschland noch weitere 21, 04 Lebensjahre vor sich haben können. Aber bei Josef Doll war vieles anders.
Einige Zeit vor seinem Tod hatte er einer Vertrauten seine Akte übergeben. Daraus geht hervor, dass er durch Erwerbsunfähigkeitsrente und Grundsicherung monatlich € 735 zum Leben hatte. Die verbale Anerkennung des Unrechts, das ihm während des Heimlebens widerfahren ist, hat ihn vor seinem Lebensende erreicht.

Die vom RTH empfohlene und in Aussicht gestellte Zahlung zum Ausgleich aus verloren gegangenen Rentenzahlungen hat Josef Dell nicht mehr entgegen nehmen können. Ob die Entschädigungszahlungen oder Rentenanteile ggf. vererbt werden können, diese Frage wirft sein Tod nun auch auf.

Möglichkeit der formlosen Antragstellung?

Einige ehemalige Heimkinder stellten von sich aus formlose Anträge auf Entschädigung an die Kontaktstelle des RTH:

Runder Tisch Heimerziehung
Mühlendamm 3, 10178 Berlin

Den Antrag formlos gestellt zu haben, könnte eine Absicherung darstellen um Zahlungen an Hinterbliebene überhaupt zu ermöglichen so die Politik eine solche Regelung trifft. Fehlende Unterlagen lassen sich doch wohl nachreichen.

Diejenigen, die während ihrer Heimerziehungszeit Opfer sexueller Gewalt und sexueller Ausbeutung wurden, haben das Recht, zusätzlich Entschädigungsanträge zu stellen an:

Runder Tisch sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich
Glinkastrasse 24, 20117 Berlin

Die ehemaligen Heimkinder und ihre Unterstützer werden weiter für die Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche kämpfen müssen. Selbsthilfegruppen für ehemalige Heimkinder aus der BRD und der ehemaligen DDR formieren sich.

Für sie ist es nun bedeutsam, nicht den Mut zu verlieren, sich gegenseitig zu stärken und gemeinsam mit ihren Unterstützerinnen und Unterstützern gegenüber den Parteien beharrlich ihren Bedarf vorzutragen. Denn vielen sind durch die von den (überwiegend kirchlichen) Heimen nicht ordnungsgemäß abgeführten Sozialversicherungsbeiträge und auch durch nicht auffindbare Beschäftigungsbelege, unverschuldet finanzielle Einbußen bei der Rente entstanden.

Dazu noch ein Wort : Beispielsweise die Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel bestätigen auf Anfrage eines ehemaligen in ihre Obhut genommenen Heimkindes am 24.03.2010, dieser sei auf Anordnung des Jugendamtes bei ihnen untergebracht worden, habe unbezahlt Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft geleistet, die nach heutigem Verständnis sozialversicherungspflichtig wären.

 

Josef Doll

Am 7. Februar 2011 war etwas anders also sonst. Seine Nachbarin vermisste ihn, sie rief um Hilfe und so fand man Josef Doll tot in seiner Wohnung. "Herr Doll ist eines natürlichen Todes gestorben, es habe keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden gegeben", ist die polizeiliche Auskunft. Am Abend vorher hatte er noch ein Mail verschickt, telefoniert und von Reisevorbereitungen berichtet.

Josef, genannt Sepp blickt auf "viele Jahre im katholischen Kinderheim in Kallmünz, nahe Regensburg" zurück. Mehr über ihn ist in dem Buch "Schläge im Namen des Herren - Das Verdrängte Schicksal der Heimkinder in der Bundesrepublik" von Peter Wensierski und der dazugehörigen Website zu lesen.

Briefe aus seiner eigenen Akte zeigen, dass ihm Aufklärung und Anerkennung des Schicksals der Heimkinder wichtig war.

Regina Eppert, ebenfalls Betroffene, legte am 5. Februar 2011 dem Bundestag, Ausschüssen und Ministerien eine Beschwerde und den Antrag auf Opferrente für ehemalige Heimkinder vor.

Evelin Frerk, Daniela Gerstner in Zusammenarbeit mit Regina Eppert

 

Nachruf für ein ehemaliges Heimkind von Regina Eppert

Am 7. Februar 2011 verstarb in den Nachmittagsstunden:
Josef Doll, München, genannt Sepp
Unser Freund und stiller Kämpfer für unser Recht, ein liebevoller Mensch
der viel unter der christlichen Knute gelitten hat.
Er war zu jung, um jetzt schon von uns zu gehen.
Adieu lieber Sepp,
keiner der dich kannte wird dich je vergessen können.