BERLIN. (hpd) Am 13. Dezember 2008 soll es endlich gelüftet werden,
das große Gutachten-Geheimnis über 4,4 Mrd. Euro. Für die „Kultur-Enquête" des Deutschen Bundestages war sie errechnet und dann gezielt in die Medienwelt gestreut worden, diese horrende Summe jährlicher „Kulturleistungen der Kirchen" in Deutschland.
Nein, man könne dazu vorher nichts Konkreteres sagen, alle Gutachten seien unter Verschluss, aber toll sei es doch wohl schon für die Kirchen, die Kulturwelt und die Politik, diesen Batzen Geld für Kulturelles vorweisen zu können, mehr als der Bund für Kultur ausgibt ...
Ob darin staatliche Zuschüsse und Finanzierungen an die Kirchen mitgezählt wurden und wie sich die Summe überhaupt zusammensetzt, das werden wir erst erfahren, wenn alles vorbei ist und der Deutsche Bundestag die „Kultur-Enquête“ angenommen hat. Dann werden alle Gutachten frei gegeben – auch dasjenige, das die 4,4 Mrd. begründet. Nach Nikolaus und vor dem Weihnachtsmann wird beschert.
Die nachträgliche Frage, ob vielleicht ein Gefälligkeitsgutachten nicht ganz wissenschaftlichen, aber um so mehr politisch motivierten Kircheninteressen genügte, wird zu spät kommen. Der hpd hat auf den 4,4 Mrd. Vorgang bereits umfänglich hingewiesen und das kirchliche Konzept, für das sich der „Deutsche Kulturrat“ einspannen lässt, kritisch gewürdigt.
Es geht um große Beträge. Da sind 4,4 Mrd. ein Klacks angesichts zweier Machtfragen im Deutschen Bundestag, vor allem Deutungsmacht-Fragen. Hier wollen sich die Kirchen in Position bringen und Terrain besetzen. Erstens geht es um Kultur als Staatsziel im Grundgesetz, verbunden mit der Unterfrage darin nach der „christlichen Leitkultur“ in dieser möglichen Staatszielbestimmung. Zweitens geht es um die „Kultur- Enquête“, speziell um die „Handlungsempfehlungen“ und somit mögliche künftige Geldvergabe per Haushalt in Bund, Ländern und Kommunen. Staatskirchenverträge wie der bevorstehende in Baden-Württemberg, sind da nur ein kleiner Baustein im großen kirchlichen Politikgebäude.
Eine Buchpräsentation
Auch auf der heutigen einigermaßen schlecht besuchten Pressekonferenz, die der „Deutsche Kulturrat“ in der „Kulturkirche St. Matthäus“ in ummittelbarer Nähe des Potsdamer Platzes veranstaltete, blieben konkrete Antworten aus. Es ging um das Büchlein „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ (Inhaltsangabe, Einführung und Anhang hier), hg. und vorgestellt von Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des „Deutschen Kulturrates“, und Theo Geißler, unter anderem Inhaber und Geschäftsführer der „ConBrio Verlagsgesellschaft“, Herausgeber und Chefredakteur der „neuen musikzeitung" und anderer Zeitschriften.
Mit auf dem Podium saßen Pfarrer Christhard-Georg Neubert – er ist Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Direktor der „Kulturstiftung St. Matthäus“ – sowie Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, MdL, Direktor des „Franz-Hitze-Hauses“ Münster und Kulturpolitischer Sprecher des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Vor allem ist Sternberg Sachverständiger in der Enquête-Kommission Kultur.
Das vorgestellte Buch selbst (Titel im Anhang) ist letztlich ein Nachdruck der Beiträge in „politik und kultur“, der Zeitschrift des deutschen Kulturrates, Ausgabe 5/6 Herbst 2006.
In den insgesamt 35 Beiträgen wird das Thema Kultur und Kirche von verschiedenen Seiten sowohl beleuchtet als auch besonders gelobt. Das Engagement der Kirchen in der kulturellen Bildung, in der Kunstförderung, in der Auslandskulturarbeit wird so dargestellt, wie es die Amtskirchen sehen. Der Kulturrat übernimmt sozusagen diese Sicht. Die Publikation fragt, welche Kulturbedeutung die Kirchen in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft haben und ob sie über den Ort für ein weltliches Ereignis hinaus Orte für Religion und die Heranführung von Menschen an Religiöses sein können. Gerade deshalb geben die Künstler, die ums Wort gebeten werden, über ihr Verhältnis zu Religion und zur Kirche als einer Heilsgemeinschaft und einem Anbieter von Kulturprogrammen Auskunft.
Zwar wurde in der Einladung anfütternd darauf verwiesen, dass einige „Bischöfe der Katholischen Kirche ... zurzeit die aktuelle gesellschaftspolitische Debatte [polarisieren]. Zu diesen Bischöfen zählt auch Joachim Kardinal Meißner [sic!] mit seinen Aussagen zum Richter-Fenster im Kölner Dom sowie zur Einweihung des Neubaus des Erzbischöflichen Kolumba-Museums in Köln. Kardinal Meißner [sic!] macht sich für eine Rückkehr zur Verbindung von Kult und Kirche stark. Seine Äußerungen, dass das Richter-Fenster auch in einer Moschee Platz finden könnte und dass die Kultur mit der Gottesverehrung einhergehen müsse, um keinen Schaden zu nehmen, haben für Empörung gesorgt.“ (Der Herr heißt Meisner.) Doch sind das Buch und war die Pressekonferenz stark von einer Atmosphäre der Konfliktlosigkeit geprägt, nicht von einer Debatte um kulturpolitischen Gegenwind zur Aufklärung und Kunstfreiheit.
Das Problem mit den 4,4 Milliarden
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, hatte schon in der Einladung betont und auf der Pressekonferenz wiederholt: „Die Kirchen sind unbestritten eine kulturpolitische Macht. Ihre Kulturfördermittel betragen immerhin 4,4 Mrd. Euro im Jahr, das sind 20% ihrer Einnahmen aus Kirchensteuern und Vermögenserlösen.“ Zwar leitet er aus dieser enormen Summe die Frage ab, wie mit dieser Macht umgegangen wird. „Verleiht diese Macht Souveränität im Umgang mit der Autonomie der Kunst oder wird sie dazu genutzt, um Einfluss auf die Kunst zu nehmen? Und wie wirken sich solche Debatten schließlich auf die Kulturvermittlung aus?“ Doch blieben klare Antworten auf Fragen nach der 4,4 Mrd-Summe und deren Berechnung wie Herleitung offen.
- Erstens: Warum wurde eine so hohe Summe überhaupt addiert? Um die immer noch „unbekannte“ kulturelle Leistungskraft der Kirchen zu dokumentieren und ins rechte Licht zu rücken, so die Antwort in verschiedenen Variationen. Dabei wird dann sachte angedeutet, dass die Höhe der Summe schon jetzt einige Begehrlichkeiten derjenigen weckt, die meinen, Kirche solle sich auf ihr seelenpflegerisches Hauptgeschäft konzentrieren.
Tatsächlich ist Kultur ein widersprüchliches Feld, auf dem „Heilskirche“ und „Kulturkirche“ (siehe den Ort der Pressekonferenz) vielleicht letztlich nicht mehr klar unterscheidbar sind. So könnte der kollektive Steuerzahler durchaus auf die Idee kommen, entweder der Kirche ihre besonders privilegierte Position als KdÖR zu entziehen, weil sie ja „nur" Kultur macht wie andre auch, oder man macht jede Oper zu einer solchen privilegierten Körperschaft, weil sie in gleicher Weise wie die Kirchen Kultur pflegt.
Eine Frage nach möglichen Konsequenzen auch in Sachen Kultur-, statt Kirchensteuer wurden kurz und bündig im Namen der Religionsfreiheit und der kirchlichen Rechte gegenüber ihren Mitgliedern verneint. - Zweitens: Wenn 4,4 Mrd. Euro 20 % der Einnahmen aus Kirchensteuern und kirchlichem Vermögen ausmachen (100 % wären 22 Mrd.) und die Kirchensteuer nachweislich 8 Mrd. beträgt, so ist eine Frage, aus welchem Zins bringenden Vermögen realisieren sich dann die 14 Mrd., von denen 4,4 Mrd. für Kultur ausgegeben werden? Das ergäbe geschätzt zwischen 200 und 280 Mrd. Euro Kirchenvermögen, aus dem die o.g. Zinsen kommen, die für Kultur verwendet werden.
So einfach könne man dies nicht sehen, so der Tenor der Antworten, sondern es wäre das Große und Ganze zu betrachten (Geißler: „Zahlen sagen wenig“). – Das heißt übersetzt: Die 20 % sind Pi mal Daumen geschätzt und der Bezug auf Kirchenvermögen ebenfalls. - Drittens: Wie kommen dann aber die 4,4 Mrd. zustande? Man sei nicht umhin gekommen, so Olaf Zimmermann, auch „fiktive Größen“ einzustellen, z.B. Gelder zu schätzen, die man in christlichen Kindergärten für kulturelle Bildung ausgebe. Das heißt doch aber nichts anderes als schönrechnen. Wenn es, wie zu vermuten steht, bei diesen 4,4 Mrd. Euro gar nicht um Summen richtigen Geldes geht, sondern (mindestens auch) um Leistungen in Geldwerten ausgedrückt, dann kann künftig jeder Karnickelzüchterverein seine Kulturbedeutung hochrechnen.
Warten wir das Gutachten ab.
Abschließend noch ein Frage samt Antwort: Warum kommt, wie zu erwarten steht, in der „Kultur-Enquête“ muslimische Kulturarbeit oder die von weltanschaulichen Vereinigungen nicht vor? Sie kommt tatsächlich nicht vor, lautet eine Antwort. Sie sei marginal gegenüber der kirchlichen. Wer das anders sehe, könne ja in der Enquête Minderheitsvoten einrücken.
Fragen über Fragen ...: Wer ist in unserer modernen Kultur Minderheit? Liegt nicht in den Minderheiten die kulturelle Kraft des Neuen? Ist das nicht besonders förderwürdig?
Horst Groschopp