(hpd) Mit dem „Jahrbuch Terrorismus 2010“ liegt der vierte Band in Folge mit Terrorismusanalysen in einem abgeschlossenen Zeitraum vor. Erneut überzeugt das Konzept, mit eher kurz gehaltenen Abhandlungen aktuelle Entwicklungen in bestimmten Bereichen oder Regionen treffend darzustellen.
Nach Anschlägen findet das Thema „Terrorismus“ in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft großes Interesse. Meist gibt es aber keine kontinuierliche Beobachtung und Analyse derartiger Formen von politisch motivierter Gewaltanwendung. Während im englischsprachigen Raum eine Reihe einschlägiger Forschungsinstitute besteht, mangelt es im deutschsprachigen Raum an derartigen Einrichtungen. Eine Ausnahme bildet da das „Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel“ (ISPK), welches das „Jahrbuch Terrorismus“ durch Joachim Krause und Diana Witt herausgibt. Es will für den abgeschlossenen Zeitraum eines Jahres strategische Bewertungen der jeweiligen Ereignisse und der strukturellen Entwicklungen im internationalen Terrorismus vornehmen. Aufgrund des regelmäßigen Erscheinens ist dies auch im zeitlichen Verlauf möglich, was Rückschlüsse auf Neuerungen und Trends auf den unterschiedlichen Ebenen erlaubt. Der mittlerweile vorliegende vierte Band für das Jahr 2010 gliedert 19 Beiträge in die üblichen vier Rubriken.
Zunächst geht es um eine allgemeine und globale Bilanz der Terrorismus-Entwicklung in den Jahren 2009 und 2010 sowie um eine Statistik der Terroranschläge und Opfer für diesen Zeitraum. Als allgemeine Trends und Probleme werden danach die Verurteilung der Sauerland-Gruppe in Deutschland, die Internet-Nutzung durch islamistische Terroristen und der sozialrevolutionäre Terrorismus in Griechenland untersucht. In den folgenden Länder- und Regionalanalysen geht es um die Entwicklung des Terrorismus in Indonesien, Jemen, Pakistan, Südthailand, Tschetschenien und Uganda sowie dessen Nutzung als außenpolitisches Instrument durch den Iran. Und schließlich enthält die Rubrik Politikfragen Beiträge zur Counterinsurgency Strategie der ISAF in Afghanistan, der Frage nach dem Sinn von Verhandlungen mit den Taliban, der Entwicklung der Anti-Terror-Politik der USA und der EU, dem Swift-Abkommen zwischen EU und USA, den rüstungstechnologischen Trends in der Terrorismusbekämpfung und den völkerrechtlichen Problemen im Umgang mit Piraten.
Jährlich 8.000 bis 10.000 Opfer
Bilanzierend zeigt sich in der Gesamtschau, dass nach einem weltweiten Rückgang der Anschläge 2008 das Niveau des Terrorismus etwa gleich geblieben ist. Immer noch fallen jährlich zwischen 8.000 und 10.000 Menschen derartigen Formen politisch motivierter Gewalt zum Opfer. Allenfalls haben sich die Länder und Schwerpunkte leicht verlagert. Die Herausgeber meinen, dass auch der Tod Osama Bin Ladens am 2. Mai 2011 nichts Wesentliches an dieser Entwicklung ändern dürfte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass solche Vorfälle im Iran nicht weiter zurückgingen und in Afghanistan und Pakistan Anschlags- und Opferzahlen anstiegen. Die Schwerpunkte der Entwicklung des sunnitisch motivierten Terrorismus liegen in eben diesen Ländern, wo man damit den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau verhindern oder verzögern will. Darüber hinaus steigen aber auch die Zahlen der Anschläge und Opfer in Indien und Thailand an, was die Öffentlichkeit in den westlichen Ländern in ihrer Dimension bislang noch nicht genügend zur Kenntnis nahm.
Erneut ist es den ISPK-Mitarbeitern und Gastautoren gelungen, einen überaus informativen und sachkundigen, aber auch analytischen und erhellenden Band zur Entwicklung des Terrorismus vorzulegen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der islamistischen Form derartig politisch motivierter Gewaltanwendung. Man findet aber auch Darstellungen und Einschätzungen zu anderen Varianten. Hierfür steht etwa der Beitrag zum sozialrevolutionären Terrorismus in Griechenland. Die jeweiligen Texte sind eher kurz gehalten, umfassen zwischen acht und 30 Seiten. Darin beschränkt man sich aber nicht nur auf eine Darstellung von Ereignissen und Zahlen. Gerade die analytische Perspektive wertet den Band insgesamt auf, wofür etwa die Fragen und Systematisierungen zur Internet-Nutzung islamistischer Terroristen exemplarisch stehen. Bis auf eine Ausnahme handelt es sich bei den Autoren nicht um Personen, die man als „Terrorismus-Experten“ aus Talk-Shows kennt. Dies hat dem Analysewert und der Seriosität des Bandes überaus gut getan.
Armin Pfahl-Traughber
Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) (Hrsg.), Jahrbuch Terrorismus 2010, Opladen 2011 (Verlag Barbara Budrich), 392 S., 36 €