(hpd) Mit der Ablehnung, ein Schulfach „Humanistische Lebenskunde“ in Nordrhein-Westfalen zu installieren, verstößt das Land
gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention. Welche Chancen nach Klageeinreichung durch den Humanistischen Verband NRW, hpd berichtete, trotzdem für einen weltanschaulichen Unterricht bestehen, zeigt nachfolgendes Interview mit dem Rechtsanwalt Hartmut Ganzke, der den HVD NRW vertritt.
hpd: Herr Ganzke, das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW hat seine Ablehnung des Antrages auf Einrichtung Humanistischer Lebenskunde in seinem Schreiben vom 17. Juli 2007 damit begründet, dass das Schulgesetz und die Landesverfassung nur Religionsunterricht und keinen Weltanschauungsunterricht vorsehen. Gibt es angesichts dessen überhaupt eine Chance für das weltanschauliche Fach Humanistische Lebenskunde in NRW?
Hartmut Ganzke: Eine Auseinandersetzung mit dem auch in NRW geltenden Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass die Ablehnung des Schulministeriums nicht nur kurz und dürftig, sondern unter Berücksichtigung der Bekenntnisfreiheit des Art 4 GG und des in Art. 3 GG normierten Gleichheitssatzes mehr als fraglich ist. Daher sehen wir gute Argumente auf unserer Seite, Klageschrift im Anhang.
hpd: Nun argumentiert das Ministerium außerdem damit, dass für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, das Fach Praktische Philosophie bzw. in der gymnasialen Oberstufe das Fach Philosophie eingerichtet wurde und es keines weiteren gleichgerichteten Angebots bedürfe.
Hartmut Ganzke:Auch hier ist zu hinterfragen, was denn dann ein Gleichheitssatz im Grundgesetz für einen Sinn macht, wenn der Humanistische Verband auf andere Fächer wie Praktische Philosophie verwiesen wird. Es geht um Gleichbehandlung – hier des Humanistischen Verbandes – nicht um eine Ungleichbehandlung, welche das Land vornimmt.
hpd: In der Klageschrift nehmen Sie nicht nur Bezug auf den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes, sondern auch auf das Diskriminierungsverbot in der europäischen Rechtsordnung, konkret in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Ist es nicht so, dass dieses sich wesentlich nur auf die Arbeitswelt bezieht?
Hartmut Ganzke: Die Aussagen in der Europäischen Menschenrechtskonvention beziehen sich auf alle Rechtsgebiete, in denen Menschen agieren, also auch in dem Bereich, welchen wir nun verwaltungsgerichtlich überprüfen lassen. Innerhalb des Arbeitsrechtes – da haben Sie recht – ist diese europäische Rechtsprechung schon tief durchgedrungen.
hpd: Worauf gründen Sie Ihre Sicherheit, dass die Klage des Humanistischen Verbandes Erfolg haben wird?
Hartmut Ganzke: Eine Sicherheitsgarantie gibt es nicht – das würde wohl auch dazu führen, dass die Gerichte bei Nachfrage vorab bekanntgeben, wie sie entscheiden und nur die „begründeten“ Klagen eingereicht werden. Herr Prof. Dr. Renck und ich sind jedoch der Ansicht, dass die Chancen auf eine für uns positive Entscheidung gut sind. Dies nicht nur aus dem Grund, da auch in anderen Bundesländern das Fach Humanistische Lebenskunde schon angeboten wird. Nein, auch das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung klar ausgeführt, das „das Grundgesetz den Religions- oder den ihnen gleichgestellten Weltanschauungsgemeinschaften zutraut, Religion als ordentliches Lehrfach zu unterrichten.“ Dass der Humanistische Verband dazu in der Lage ist, zeigt er durch täglichen Unterricht in Berlin und Brandenburg.
hpd: Angenommen, das Gericht bzw. die Gerichte folgen Ihrem Antrag und das Land NRW muss Humanistische Lebenskunde als ordentliches Lehrfach einrichten. Müssten dazu dann das Schulgesetz und die Landesverfassung geändert werden?
Hartmut Gnzke: Nein, unserer Ansicht nach kann schon jetzt aufgrund der bestehenden Gesetze in NRW der Unterricht angeboten werden. Einer Änderung bedarf es unserer Ansicht nach nicht.
hpd: Abschließend mal etwas locker gefragt: Welcher Teufel hat Sie denn geritten, zusammen mit Prof. Renck diesen Prozess gegen das Land NRW zu führen?
Hartmut Ganzke: Auch eine gute Frage. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass ich gerne mit einem ausgewiesenen Experten wie Herrn Prof. Dr. Renck zusammenarbeite und mich in ein Thema eingearbeitet habe, welches kein „typisches“ Betätigungsfeld eines Anwalts ist. Andererseits bin ich nun schon seit ca. 15 Jahren nebenberuflich an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum tätig, so dass ich in diesem Verfahren Theorie und Praxis der Juristerei verbinden kann. Und schlussendlich: Wer möchte nicht einen scheinbar übermächtigen Gegner wie ein Land versuchen, juristisch in die Knie zu zwingen?
Die Fragen stellte Gerd Eggers