(hpd) Im Prinzip hält man einen Klassiker in den Händen, wenn man den neuen Deschner "Poeten und Schaumschläger"
käuflich erworben hat. Karlheinz Deschner kehrt damit zu seinen Wurzeln zurück bzw. seine Wurzeln, nämlich die Literaturkritik mit der er einst begann und sich dann für den steinigen Pfad der zwar polarisierenden aber (zunächst) weniger einträglichen Kirchenkritik entschied, kehren in Form einer Kompilation aus seinen frühen Werken wie „Kitsch, Konvention und Kunst“ oder „Talente, Dichter, Dilettanten“, aber auch neueren Rezensionen, Aufsätzen und Hommagen, zu seiner Leserschaft zurück.
Kämpferisches
Wer jetzt davon ausgeht, dass in diesem Buch ein gemäßigter, ein zahmerer – weil früher – Deschner zu Tage tritt, der irrt. Gerade das Kräftige, das Kämpferische, das „Kierkegaardsche Pathos des Entweder-Oder“ (wie Ludger Lüdtkehaus in seinem Vorwort schreibt), das Lebendige, denn nur dieses schwimmt (lt. Deschner) gegen den Strom, aber auch das Minutiöse, das Genaue, das argumentativ Untermauerte, kurz, all das was man bei dem Kirchenkritiker kennen und lieben gelernt hat, es findet sich schon in seiner literarischen Analyse in gleicher Weise. Und niemals reiht er sich unter die Jasager ein, wenn nach seiner fundierten und begründeten Meinung ein „Nein“ die richtige Antwort ist. Oder um Lüdtkehaus zu zitieren:
„Moderat, ausgewogen ist Deschner nie, ungerecht manchmal, differenziert freilich sehr wohl. Er schaut genau hin – und fällt sein Urteil. Besonders heftig fällt es dort aus, wo Deschner die bei manchem deutschen Großkritiker in der Tat penetrante Prätention spürt. Eitelkeit ist ihm ein Gräuel, besonders wenn der Mangel an Präzision mit der Vollmundigkeit der Intonation einhergeht.“
Gerade durch diese ihm eigene Konsequenz, vor allem der konsequenten Ablehnung des Inkonsequenten, schlägt dieses Buch auch sanfte Töne an. Wenn Deschner z.B. den Impressionisten in Oskar Loerke herausarbeitet, er anerkennend an die intensive aber heute in Vergessenheit geratene Opposition wider des Establishments eines Max Stirner oder Oskar Panizza erinnert oder auch das Lebenswerk eines Hans Henny Jahnn nicht in Vergessenheit geraten lässt.
Kriterium
Genauso konsequent, aber weit weniger behutsam, geht er mit den vermeintlich „Großen“ ins Gericht, denn „weder der Stoff noch die Weltanschauung eines Künstlers können ein Kriterium sein für seinen künstlerischen Rang.“, wie Deschner selbst bekennt, „Künstlerische Maßstäbe sind rein formaler Natur, also: wie der Künstler es macht, wie ein Romancier etwa sein Werk beginnt; ob er es chronologisch anlegt oder kompliziert durch Rückblicke, Vorausblicke, Überschneidungen; ob es ihm gelingt, den Ideengehalt zu versinnlichen; wie er Personen verlebendigt, in Beziehung setzt, Konflikte schafft und sie löst; wie er Milieu und Atmosphäre nahebringt, verdichtet, wie er Spannung erreicht, Übergänge herstellt, Selbstverständliches vermeidet – all das sind Aufgaben, Techniken, deren Bewältigung es dem Dichter ermöglicht, einen beliebigen Stoff zum Kunstwerk zu formen. Und es sind Kriterien eben, die ein weitgehend objektives Urteil erlauben.“
Ein eben solches Urteil erlaubt sich Deschner u.a. bei Heinrich Bölls „Billard um halbzehn“, dem er „Sprachmißhandlung“, „Texte von abstoßender Öde“ und dem „Verfasser (…), der 1959 bei Entgegennahme eines Preises beteuerte: ’Wer mit Worten Umgang pflegt, auf eine leidenschaftliche Weise, wie ich es von mir bekennen möchte’“, neben anderen linguistischen Mängeln, „drei Grammatikfehler in fünf Zeilen“ nachweist – man fühlt sich an „der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erinnert – wer hätte das bei Böll erwartet?
Höflichkeit
Es ließe sich noch viel schreiben, noch viele der Namen wie Nikolaus Lenau, Evelyn Waugh, Henry Miller, Max Frisch („Er hält viel von Höflichkeit. Im Leben eine löbliche, in der Literatur meist eine tödliche Eigenschaft, tödlich für den Autor, da Höflichkeit selten mit der Wahrheit harmoniert.“) oder Walter Jens nennen, mit denen sich Deschner kritisch und differenziert auseinandersetzt, doch kann solch eine Buchvorstellung nur eine Anregung sein und muss doch selbst ein Schatten bleiben gegenüber einem sprachlichen und intellektuellen Feuerwerk wie es Deschner entfacht. Ein Anstoß eben, sich dieser etwas in Vergessenheit geratenen Seite des Arno-Schmidt-Preisträgers zu widmen, der von sich selbst sagt: „Ich stecke so viel ein, ungerechterweise, meine ich, wie ich, gerechterweise, austeile.“
Lütkehaus drückt dies in seinem Vorwort so aus: „Diese Sammlung ist ein provozierendes, aber auch ein Heiterkeit stiftendes Buch. Deschner verfügt über die Gottesgabe (wessen sonst?), Missratenes, Stilblühendes, hanebüchen Widersprüchliches, Stolzierendes, unfreiwilligst Komisches drastisch abzufeiern. Immer ist es indessen die (…) Verehrung der wirklichen Dichter, aus der sich die Leidenschaft der Kritik nährt.“
Oliver Muhr
Karlheinz Deschner, Poeten und Schaumschläger, Von Jean Paul bis Enzensberger, 24 Aufsätze zur Literatur und Literaturkritik mit einem Vorwort von Ludger Lütkehaus, Freiburg i.Br./Berlin/Wien 2007 (Rombach Verlag), 334 S., Euro 32,-.