(hpd) Im vergangenen Jahr dominierte kein Thema so eindeutig die Schlagzeilen im deutschsprachigen Raum wie die Debatte um Thilo Sarrazins Thesen zur Integrationspolitik. Dem ehemaligen Finanzsenator und Bundesbankvorstand wurde dabei vorgeworfen, in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ nationalsozialistisches Gedankengut zu transportieren. Der hpd hat einige NPD-Funktionäre gefragt, inwieweit sie sich durch Sarrazins Thesen vertreten sehen.
Es stimmt, dass sich Sarrazin scharf äußert, und womöglich stünde ihm eine etwas diplomatischere Rhetorik gut. Dies kann kritisiert werden, ebenso wie seine Methoden in der Integrationspolitik. Der Vorwurf, mit seinen strengen Maßnahmen gegen Integrationsverweigerer erst recht eine Ablehnungshaltung unter Einwanderern zu provozieren, lässt sich zwar nicht beweisen, aber eben auch nicht ohne weiteres vom Tisch wischen. Was aber niemand, so er demokratisch gesonnen ist, kritisieren kann, sind Sarrazins Ziele. Er wünscht nämlich, dass Deutsche und Ausländer friedlich und freundlich zusammenleben.
Umso paradoxer ist es allerdings, dass ausgerechnet die einzige Partei, die Sarrazins Ziele ablehnt, gleichzeitig die einzige Partei war, die ihm Rückendeckung gab, nämlich die NPD. Insbesondere ist dies verwunderlich, da Sarrazin – anders als oftmals dargestellt – in seinem Buch keine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut erkennen lässt und immer betonte, dass die Integrationsproblematik innerhalb der demokratischen Parteien und nicht am rechten Rand des politischen Spektrums gelöst werden müsse. Lässt sich daraus schließen, dass die NPD-Politiker „Deutschland schafft sich ab“ gar nicht gelesen hatten (immerhin befänden sie sich damit in bester Gesellschaft mit Angela Merkel) und daher tatsächlich dachten, einen der ihren vor sich zu haben?
NPD-Strategie
Dies mag auf einen gewissen Teil der Nationaldemokraten zutreffen, wahrscheinlicher ist es jedoch, dass wir es hier erneut mit der bürgerlichen Strategie der NPD zu tun haben. Seit einigen Jahren versucht die Partei, ihr rechtsextremes Image abzulegen und mit moderaten Tönen auch Wähler der Mitte anzusprechen. Die positive Bezugnahme auf einen beliebten Politiker wie Sarrazin kommt da gelegen. Dieser versuchte zwar, sich von den Rechten, die in die Integrationsdebatte eingestiegen waren, abzugrenzen, doch waren ihm die Hände gebunden.
Die Unterstützung aus dem Lager der Nationaldemokraten wurde von den Medien nämlich nicht als verzweifeltes Ringen nach Aufmerksamkeit, sondern als Beweis für eine undemokratische Gesinnung Sarrazins gewertet. Seine Abgrenzungsversuche waren deswegen auch nicht auf eine tatsächliche Verachtung nationalsozialistischen Gedankenguts zurückzuführen, sondern nur der Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, um schlechter Publicity für sein Buch vorzubeugen. Mit dem Verweis darauf, dass Sarrazin insgeheim doch „einer von ihnen“ sei, konnte die NPD daraufhin um Wähler buhlen, die mit den etablierten Parteien unzufrieden waren und daher den Thesen des ehemaligen Finanzsenators zustimmten. Mit der Zustimmung zu dessen scharfen, aber nicht rassistischen Positionen, wollten sie den eigenen Rassismus kaschieren.
Fragen an die NPD
Doch vertritt die NPD tatsächlich Sarrazins Thesen? Um Klarheit zu erzielen, hat der Autor einen Fragenkatalog erstellt, der neben Einzelpersonen auch den drei Machtzentren der Partei, nämlich dem Bundesvorstand und den beiden Landesverbänden/Landtagsfraktionen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen übermittelt wurde. Die Fragen lauteten dabei wie folgt:
- Wie kommentieren Sie seine Aussagen aus dem berühmten Lettre-International-Interview?
„Auch der immense jüdische Aderlaß konnte nie kompensiert werden. Dreißig Prozent aller Ärzte und Anwälte, achtzig Prozent aller Theaterdirektoren in Berlin waren 1933 jüdischer Herkunft. Auch Einzelhandel und Banken waren großenteils in jüdischem Besitz. Das alles gab es nicht mehr, und das war gleichbedeutend mit einem gewaltigen geistigen Aderlaß. Die Vernichtung und Vertreibung der Juden aus dem deutschsprachigen Raum insgesamt betraf zu sechzig bis siebzig Prozent Berlin und Wien.
[...]
Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung.“
Weitere Passagen, die sich ausdrücklich positiv auf den jüdischen Einfluss in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin, Kunst, Kultur und Musik beziehen, finden sich in „Deutschland schafft sich ab“.
- Lässt sich Sarrazins konsequente Ablehnung des Islam mit den außenpolitischen Vorstellungen Ihrer Partei vereinen, die zu Solidarität mit national gesinnten Türken, dem palästinensischen Volk und der iranischen Regierung unter Präsident Ahmadinedschad aufruft?
- Wie stehen Sie dazu, dass Thilo Sarrazin das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Homosexuellen einfordert und deren Diskriminierung im islamischen Kulturraum kritisiert?
- Sind Sie damit einverstanden, dass Sarrazin zwar einen Aufnahmestopp für nicht werktätige Ausländer fordert, aber hochqualifizierte Ausländer vor allem aus Osteuropa, Indien und Fernasien ins Land holen will, aber beispielsweise auch die ab 1979 aus dem Iran geflohene Oberschicht in Deutschland mit warmen Worten empfängt?
- Sind Sie ferner damit einverstanden, dass Sarrazin nicht nur die zeitweilige Einwanderung dieser Fachkräfte, beispielsweise bis zur Behebung einer Wirtschaftskrise, sondern deren dauerhafte Ansiedlung in Deutschland begrüßt? Er wünscht sich auch, dass Ehen zwischen Deutschen und Ausländern geschlossen werden, um deren Kultur „einzudeutschen“.
- Wie stehen Sie dazu, dass Thilo Sarrazin wiederholt dazu aufrief, die SPD zu wählen und gerichtlich dagegen vorging, dass Parteien wie NPD und PRO-Deutschland mit seinem Namen Plakatwerbung machen?
Antworten der NPD
Für die NPD-Landtagsfraktion Sachsen antwortete Holger Szymanski:
"Sehr geehrter Herr Mihr,
wie Sie teilweise selbst schon richtig erkannt haben, teilt die NPD nicht sämtliche Aussagen von Herrn Dr. Sarrazin. Sein Verdienst besteht nach unserer Auffassung vor allem in der Enttabuisierung der Ausländerproblematik in der breiten Öffentlichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Szymanski
Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes
der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag"
Konfrontiert mit den tatsächlichen Aussagen Sarrazins, kühlte die anfängliche Begeisterung deutlich ab. Nun lobt man ihn nicht mehr für das, was er sagte, sondern nur dafür, dass er überhaupt etwas sagte, so dass die NPD dadurch ins Gespräch kam. Teilweise kann sich Szymanski gar nicht deutlicher von Sarrazin abgrenzen, ohne sich, wie beispielsweise beim Punkt der Judenvernichtung, dem Vorwurf der Holocaustleugnung oder Volksverhetzung auszusetzen.
Der Bundesvorstand sowie der Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern haben sich auf die Anfrage nicht geäußert.
Der Landesverband Hamburg hatte sich bereits von Sarrazin distanziert, als der NPD die Nutzung seines Namens auf Wahlplakaten gerichtlich verbieten ließ: „Sarrazin, einer von uns? Nie im Leben!“ In völkischen Internetforen stand man ihm ebenfalls kritisch gegenüber. Wahlweise war er gezielt von der SPD aufgebaut worden, um der NPD Wähler abspenstig zu machen, oder aufgrund seiner philosemitischen Äußerungen selbst Jude bzw. Agent des Judentums: „Einem wie ihm geht es niemals um das Wohl Deutschlands und des deutschen Volkes, sondern immer nur um sein eigenes und das seiner jüdischen Herren!“
Laut dem intellektuellen Vordenker der Nationaldemokraten, Jürgen Gansel, der sich bereits im Vorfeld der Buchveröffentlichung äußerte, „gehört Thilo Sarrazin mit seinen Ausfällen gegen deutsche Hartz-IV-Bezieher und seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Not sozial ausgegrenzter Landsleute definitiv nicht in die soziale Heimatpartei NPD.“ In diesem Punkt hat Gansel auch völlig recht, denn Sarrazins Sympathien für die Rechtsextremen dürften sich tatsächlich eher in Grenzen halten, da er mit der bildungsfernen Schicht, aus der diese ihre Wähler hauptsächlich rekrutieren, in seinem Buch hart ins Gericht geht.
Aber Sympathien für Erdoğan
Auch Jörg Krebs, der Sarrazin im vergangenen Jahr gelobt hatte, kommentierte den Fragenkatalog nicht. Der hessische NPD-Vorsitzende hatte in der Vergangenheit ein Bündnis der türkisch-nationalistischen Partei MHP mit den deutschen Nationaldemokraten angestrebt. Diese Partei ist gegen einen EU-Beitritt der Partei, wohl weil sie sich von Brüssel nicht vorschreiben lassen will, wie sie die Kurden zu behandeln hat. Weitere Berührungspunkte sind der Antisemitismus – die MHP will die Allianz zwischen Türkei und Israel aufkündigen. Ebenso liegt ein Vorstoß des Gesundheitsministeriums, der türkischen Ehepaaren die künstliche Befruchtung im Ausland verbieten soll, um die „Abstammungslinien des Landes“ zu schützen, auf einer Linie mit der NS-Rassenlehre.
Diese Verbrüderung muss kein Widerspruch zum Rassismus der NPD sein, denn dieser folgt der Lebensraumideologie. Ein Volk als solches ist nicht per se minderwertig, sondern lediglich an seinen Lebensraum angepasst und sollte daher sein Heimatland nicht verlassen. Dieser kruden Logik nach ist der Schwarze in der Zivilisation Europas (und nur da) minderwertig, während umgekehrt der Deutsche im afrikanischen Dschungel nichts verloren hat und wohl auch nicht lange überleben würde. Definitionen über die Ausmaße des Lebensraums ließen aber immer wieder deutsche Gebietsforderungen in Osteuropa oder eine Interpretation der israelischen Staatsgründung als Verletzung des arabischen Lebensraums zu.
Dass ausgerechnet Krebs, der die Zusammenarbeit von türkischen und deutschen Nationalen fordert, sich dazu berufen fühlt, die Integrationsprobleme in Deutschland zu lösen, ist mehr als frech.
Aber auch die türkische AKP unter Führung von Recep Tayyip Erdoğan kann sich auf die Sympathien der NPD verlassen. Der türkische Ministerpräsident hatte bei Auftritten in Deutschland Assimilation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet und die Errichtung türkischsprachiger Schulen und Universitäten gefordert. Was bei Sarrazin nur für Kopfschütteln sorgte, stieß bei den Rechten auf große Sympathien. Die NPD lobte Erdoğans Vorstoß. Da zum jetzigen Zeitpunkt keine Ausweisung aller Türken möglich sei, sollten sie sich zumindest nicht anpassen, bis sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Denn wenn sich Türken mit Deutschen vermischt hätten, ließen sie sich nicht aussondern und abschieben. Und genauso wenig würde die Türkei Türken, die besser deutsch als türkisch sprechen, willkommen heißen. Von der Jungen Freiheit wurde Erdoğan gelobt, weil er mehr für ein Nationalbewusstsein eintrete als deutsche Politiker. Die Entstehung von Parallelgesellschaften, vor der Sarrazin warnt, wird von der NPD also ausdrücklich gewünscht.
Dieses Bündnis mag auf den ersten Blick irritieren, doch hat es historische Vorläufer. Vor dem Zweiten Weltkrieg suchten radikale Zionisten die Nähe zur NSDAP. Was durch die Erfahrung des Holocaust aberwitzig erscheint, galt damals einem bestimmten Ziel: Die Zionisten wünschten die Ausweisung der deutschen Juden nach Palästina, um einen eigenen Staat zu errichten. Auch die Nürnberger Rassegesetze, die gemischtrassige Ehen verbaten, fanden Zuspruch. Die simple Logik: Was den arischen Volkskörper von jüdischem Einfluss reinhielt, konnte umgekehrt den israelischen Volkskörper von deutschem Einfluss reinhalten.
Fazit: NPD nur Trittbrettfahrer
Eines noch ist wichtig: Sarrazin gegen Nazivorwürfe zu verteidigen bedeutet nicht zwangsläufig, seinen Thesen zuzustimmen. Es bedeutet vor allem zu verhindern, dass die Verbrechen der NS-Diktatur verharmlost werden und der rechte Rand in der gesamt-gesellschaftlichen Debatte eine Position einnimmt, die ihm nicht zusteht. Das Neue Deutschland beispielsweise berichtete immer objektiv über Sarrazin, riss seine Aussagen nicht aus dem Kontext und unterstellte ihm auch keine Äußerungen, die er nie getätigt hatte. Dennoch zählte die ehemalige SED-Zeitung zu seinen schärfsten Kritikern. Mit dieser Politik dürfte das Neue Deutschland mehr Bildungsverlierer von Sarrazin entfremdet haben als die übrigen Medien mit ihren überzogen hysterischen Nazivorwürfen.
Es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Medien bei rhetorischer Unterstützung von rechts künftig zweimal hinsehen, um echte ideologische Verbundenheit von Trittbrettfahrern, die sich nur wichtig machen wollen, zu unterscheiden.
Lukas Mihr
Nachtrag vom 18. Dezember 2011:
Einige Tage nachdem sich der Landesverband Sachsen von Sarrazin distanziert hatte, erreichte den hpd eine Antwort vom Bundesvorstand. Sie wurde von Kersten Radzimanowski verfasst, der der letzten DDR-Regierung angehört hatte, bevor er 2008 der NPD beitrat. Da der hpd diese Antwort nicht im Wortlaut wiedergeben will, wird sie lediglich auszugsweise veröffentlicht.
In seiner Stellungnahme stimmte Kersten Radzimanowski Sarrazin nur teilweise zu und dankte ihm hauptsächlich dafür, die „tabuisierte Ausländerproblematik in die Öffentlichkeit gebracht zu haben.“ Allerdings stehe er ihm auch „sehr kritisch“ gegenüber, da er „inkonsequent und systemkonform“ argumentiere. Außerdem näherte sich Radzimanowski Verschwörungstheorien an und vermutete, dass Sarrazin von der deutschen Presse, vor allem dem Springer-Verlag, so viel Unterstützung erhalten habe, da „einflußreiche jüdische Kreise“ sein Eintreten gegen den Islam begrüßten. Die NPD wehre sich gegen den Zionismus und wünsche freundschaftliche Beziehungen zu den arabischen Staaten. Die anti-arabischen Positionen Sarrazins teile sie nicht. Um Deutschland vor der Überfremdung zu bewahren, dürften sich Ausländer nur in begrenztem Maße als Fachkräfte niederlassen. Dabei sollten sie ihre „Identität wahren“, sprich: sich nicht integrieren. Als Grundsatz gelte: „Rückkehrpflicht statt Bleiberecht“. Sarrazin sei eine „ambivalente Persönlichkeit“, die mehrere Thesen vertrete, „die im klaren Gegensatz zu unseren Positionen stehen.“