Diskriminierung beim Diakonischen Werk verurteilt

HAMBURG. (ArbG-HH/hpd) Das Arbeitsgericht Hamburg hat jetzt die Gründe für seine Entscheidung

vom 4. Dezember 2007 (Aktenzeichen 20 Ca 105/07) veröffentlicht, in der die beklagte Arbeitgeberin zur Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) in Höhe von 3 Monatsverdiensten verurteilt wurde, weil sie die Bewerberin im Einstellungsverfahren wegen ihrer Religion benachteiligt habe.

 

Gegen dieses Urteil wurde der unterlegenen Arbeitgeberin die Berufungsmöglichkeit vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg gegeben. Von diesem Recht machte das Diakonische Werk bisher, zwei Monate nach der Urteilsverkündung, jedoch keinen Gebrauch, da man dort noch immer „die Rechtslage prüfe".

Ausschreibung, Bewerbung und Ablehnung wegen Nicht-Kircheneintritt

Der beklagte Arbeitgeber ist der für Hamburg zuständige Landesverband des Diakonischen Werkes und als solcher Teil der Nordelbischen Evangelisch-lutherischen Kirche. Er hatte im Equality-Programm eine aus Mitteln des Bundes und der EU fremdfinanzierte Stelle für eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen in einem Teilprojekt „Integrationslotse Hamburg" ausgeschrieben. Als diakonische Einrichtung setzte er die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche voraus.

Auf diese Stellenanzeige bewarb sich die klagende Deutsche türkischer Herkunft. Sie gehört keiner christlichen Kirche an. Auf Nachfrage des Arbeitgebers teilte sie mit, dass sie gebürtige Muslima sei, aber keine Religion praktiziere. Auf die Frage, ob sie sich den Eintritt in die Kirche vorstellen könne, teilte sie mit, sie halte dies nicht für nötig, da die Stelle keinen religiösen Bezug aufweise.

Der Arbeitgeber lehnte die Bewerberin ab. Die Arbeitnehmerin fühlt sich dadurch wegen ihrer Religion sowie mittelbar wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt. Der Arbeitgeber bestreitet das und begründet dies damit, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion gemäß § 9 Abs. 1 AGG zulässig sei, weil die christliche Religion unter Beachtung seines Selbstverständnisses sowohl im Hinblick auf sein Selbstbestimmungsrecht als auch nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung für die Mitarbeit im Diakonischen Werk darstelle.

Dieser Argumentation folgt die 20. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg im Ergebnis nicht und führt in den Urteilsgründen in den Kernsätzen aus, dass § 9 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) richtlinienkonform (Artikel 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000) auszulegen sei.

Das Gleichbehandlungsgesetz ist nach Europa-Richtlinie anzuwenden

Entsprechend ist die in Deutschland „zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung" (§ 9, Abs. 1 AGG) durch das Urteil erheblich eingeschränkt worden.

Die Formulierung des deutschen Gleichbehandlungsgesetzes besagt, dass Ungleichbehandlung zulässig sei und keine Diskriminierung darstelle, „wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt."

Diese Formulierung war dem Arbeitsgericht jedoch zu allgemein. Bei richtlinienkonformer Auslegung sei das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft kein absoluter und abschließender Maßstab für eine unterschiedliche Behandlung. Vielmehr dürfe für die konkrete Tätigkeit das Selbstverständnis der Kirche nur dann eine entscheidenden Rolle spielen, wenn diese dazu in einer direkten Beziehung stehe, was nicht für jegliche Tätigkeit bei der Kirche sondern nur für den so genannten „verkündungsnahen" Bereich anzunehmen sei.

In der EU-Richtlinie 2000/78/EG heißt es eindeutig, dass nur dann eine „Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtsmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt."

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist keine pauschale Benachteilungserlaubnis

Das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137,3 WRV i.V. mit Art. 140 GG) berechtige den kirchlichen Arbeitgeber nicht, die Einstellung für Tätigkeiten im verkündungsfernen Bereich von der Kirchenzugehörigkeit abhängig zu machen. Dem sei die ausgeschriebene Stelle zuzurechnen.

Auch nach Art der Tätigkeit sei für die Stelle die Kirchenzugehörigkeit keine gerechtfertigte Anforderung. Die öffentlichen Auftritte bei Behörden, Verbänden etc., wie nach der Stellenausschreibung vorgesehen, beträfen nicht den religiösen Hintergrund des Arbeitgebers, sondern unmittelbar das Projekt „Integrationslotse". Dass und warum nur Personen mit Kirchenzugehörigkeit das Projektziel verwirklichen könnten, habe der Arbeitgeber nicht ausreichend darlegen können.

Die Kammer führt weiter aus, dass sowohl die umfassende Fremdfinanzierung des Projektes „Integrationslotse" als auch die dringende Empfehlung im Zuwendungsbescheid, keine den Bewerberkreis einschränkenden Vorgaben zu machen und die Auswahl der Mitarbeiter neutral durchzuführen, gegen die christliche Prägung der in Frage stehenden Stelle spreche.

Grundsätzliche Fragen der „Verkündigungsnähe"

Das Urteil geht jedoch in seiner Begründung über diese spezifischen Details hinaus und begrenzt die in der deutschen Gesetzesformulierung pauschal erlaubte Nicht-Gleichbehandlung kirchlicher Träger ausschließlich auf den „verkündigungsnahen" Bereich kirchlichen Handelns.

Damit wird das Leitbild der Diakonie „Wir sind Kirche" mit Prinzipien wie: „Diakonie ist Christ sein in der Öffentlichkeit.", „Sie ist Wesens- und Lebensäußerung der evangelischen Kirchen", „Diakonie geht aus vom Gottesdienst der Gemeinde", „Sie ist gelebter Glaube, präsente Liebe, wirksame Hoffnung" als im Allgemeinen unerheblich erklärt, da diese „Verkündigungsnähe" im Einzelnen der Berufstätigkeit nachgewiesen werden muss.

Damit ist auch der Grundsatz der „Dienstgemeinschaft", Grundlage für den „Dritten Weg" des konfessionellen Arbeitsrechts, der die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer gravierend einschränkt, prinzipiell in Frage gestellt.

Die Nicht-Gleichbehandlung nach dem AGG sei nach Auffassung des Arbeitsgerichtes nur erlaubt, sofern es sich um Tätigkeit der „Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung" handele, da diese Tätigkeiten „verkündigungsnah" seien. Für alle anderen Tätigkeiten und „Positionen, die keine Berührung mit der Verkündigung der Botschaft der christlichen Kirche haben", bestehen „keine schützenswerten Interessen der Kirche, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten".

Wegen dieser grundsätzlichen Bedeutung ist es verständlich, dass seitens des Diakonischen Werkes sehr genau geprüft wird, ob eine Berufung vor dem Hamburger Landesarbeitsgericht sinnvoll ist, da dort dann sehr viel Grundlegenderes als eine finanzielle Entschädigung verhandelt werden würde. Es wäre möglicherweise der Beginn des Weges bis zum Bundesverfassungsgericht, um die Grenzen in der Auslegung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 137,3 WRV i.V. mit Art. 140 GG zu klären.

C.F.