Von Nola nach Berlin

BERLIN. (hpd) Im Rahmen von „Giordano Bruno in Berlin" hatte das Max-Planck-Institut

für Wissenschaftsgeschichte in Berlin am Montagabend in den Senatssaal der Humboldt-Universität eingeladen: Lesung und Podiumsdiskussion „Von Nola nach Berlin. Was sagt uns Giordano Bruno heute?".

 

Der große Senatssaal war mit zusätzlichen Stuhlreihen ausgestattet worden und voll besetzt. Man kannte sich zum Teil. Teilnehmer des zweitägigen Internationalen Kolloquiums „Turning Traditions Upside Down. Rethinking Giordano Bruno`s Enlightenment", Mitglieder säkularer und humanistischer Organisationen und weitere Interessierte plauderten miteinander, als der Schauspieler Ulrich Matthes, vom Deutschen Theater Berlin, seine Stimme erhob und mit der Lesung von Zitaten aus dem Werk Giordano Brunos das Stimmengemurmel beendete.

„Heiliges Eseltum"

„Bemüht euch, Esel zu werden, die ihr Menschen seid, um die Einsichten zu erreichen, die man Glaube nennt!" „Zieht euch zurück in die Armut des Geistes! Flieht die Wissenschaft, die eure Schmerzen nur vergrößert." „Entfesselt und frei, wohlgemut, sehe ich in Nichts einen Beweger." Eine Viertelstunde, Sätze über die Einheit der Welt und des Lebens, die mit Beifall belohnt wurden. Das Publikum sah offensichtlich in Bruno primär den Religionskritiker, dem es überwiegend zustimmte.

Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, gab dann eine kurze Einführung und dankte den Sponsoren des Abends und des Denkmals. Er erinnerte daran, dass die Skulptur zum Gedenken Brunos nun in Nola, dem Geburtsort Brunos, in Budapest, vor der European Central University, und nun auch auf dem geschichtsträchtigen Potsdamer Patz in Berlin stehe. Die Skulptur symbolisiere, wie Bruno das kosmologische und theologische Weltbild seiner Zeit „auf den Kopf" gestellt habe, indem er die Astronomie des Kopernikus theologisch annahm.

Im Übrigen hätten alle angefragten Kirchenvertreter für die Podiumsdiskussion komplett abgesagt und Renn fragte sich, ob es ebenso gewesen wäre, wenn Galileo Galilei das Thema gewesen wäre. Bei Galilei wäre die Zustimmung vermutlich breiter gewesen, denn auch die katholische Kirche anerkenne mittlerweile seine Schriften - die Schriften Brunos (noch) nicht.

Facetten der Disksussion

Im Anschluss daran moderierte Christoph Markschies (Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin und Professor für ältere Kirchengeschichte) die Podiumsdiskussion über das Verhältnis von Wissenschaft, Gesellschaft und Religion. Teilnehmer waren der Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftsphilosoph Yehuda Elkana (Rektor und Präsident der Central European University, Budapest), der Philosoph Michael Schmidt-Salomon (Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung), der Giordano-Bruno-Spezialist Paul Richard Blum (Loyola College, Baltimore) und der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (Universität Bern).

„Wer war Giordano Bruno?"

Als erstes stellte er die rhetorische Frage: „Würde Giordano Bruno heute ein Angebot von der Humboldt Universität zu Berlin bekommen?", antwortete: „Ein Angebot - Ja - Ob er geblieben wäre, das kann ich nicht beantworten." und fragte die Mitglieder des Podiums: „War Giordano Bruno ein Aufklärer, ein Monist, ein Platoniker, der die Wissenschaft an die Stelle der Kirche gestellt hat?"

Für Yehuda Elkana ist Bruno einer der wichtigsten „Befreier", der Grenzen verschiebt, indem er vorhandene Widersprüche ausgleicht. Dabei war er ein tiefreligiöser Mensch, der seine Religion jedoch rational formuliert und der heutigen Wissenschaft in seinem Denken näher steht als Isaac Newton.

Nach Michael Schmidt-Salomon konstruieren wir uns alle heute ein eigenes Bild von Giordano Bruno. Seiner Auffassung nach war Bruno ein Denker, der alle Gegensätze umarmte. Philosophen seien Spezialisten des Zusammenhangs und so habe Bruno aus seinen Überlegungen entsprechende Konsequenzen gezogen. Sein Weltbild führte dazu, dass Religion ihm als „Eseltum" erschien. Bruno sei für die Giordano Bruno Stiftung in der Hinsicht ein Vorbild, sich (wie Kant es später formulierte) seines eigenen Verstandes zu bedienen. Bruno hat Themen und Widersprüche erkannt und formuliert, die auch heute noch, in veränderter Form, aktuell sind.

Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze betonte die Radikalität Brunos und merkte an, dass zeitgleich mit Bruno ein islamischer Mathematiker wegen seiner Schriften hingerichtet wurde, was heute jedoch nicht mehr allgemein bekannt sein. „Je radikaler die Kritik, desto radikaler auch die Reaktion" - das gelte in jeder Religion.

Paul Richard Blum betonte hingegen den Widerspruch Brunos zur Autorität. Falls jemand Christ sein möchte, dann sollte er erst Nietzsche gelesen haben und er sollte Bruno lesen. Wenn er dann immer noch Christ werden wolle, dann wird er seine Gründe haben. Im Gegensatz zu Luther, der sagte: „Ich stehe hier, ich kann nicht anders!", hätte Bruno sicherlich gesagt: „..., ich kann auch anders."

Würde es Bruno heute überhaupt an einer Universität aushalten?

Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass Bruno es heute - wie seinerzeit - nicht lange an einer Universität ausgehalten hätte. Während Yehuda Elkana meinte, dass es heute keine klaren Grenzen zwischen Glauben und Wissenschaft gäbe und Bruno das nicht vertragen hätte, war Michael Schmidt-Salomon der Auffassung, dass Bruno „freischaffend" geblieben wäre, da er als Dichter, der er ja auch war, den Universitätsbetrieb nicht ertragen hätte. Nach Richard Blum hätten ihn die heutigen undeutlichen Entscheidungsstrukturen zermürbt und er hätte eine Universität gewollt, die die Welt zum Positiven verändert hätte. Richard Blum meinte, dass Brunos Werk so komplex sei, dass es in kein Fach gepasst hätte.

Was ist bei Giordano Bruno anknüpfenswert?

Elkana, als Universitätspräsident, würde ihn als Betreuer der Doktoranden einsetzen, sie könnten viel von ihm lernen: Sich Zeit zu nehmen, ein Problem in seinem Gesamtzusammenhang zu sehen. Bruno hatte ein sehr klares Verständnis von der stetigen Veränderung der Wissenschaft und von der Selbstreflexion der Erkenntnis.

Schmidt-Salomon sähe ihn als Leiter eines „transdisziplinären Teams" und nannte dafür drei Gründe. Zum einen ging Bruno immer von der Einheit alles Wissens aus. Zum anderen war er ein Aufklärer in dem Sinne, dass er gedankliche Klarheit anstelle von Nebulösem gesetzt hat, und drittens, wäre es die rationale Mystik, nach der er gesucht hat.
Auf Rückfrage nach einer zumindest kurzen Andeutung, was unter „rationaler Mystik" zu verstehen sei, erläuterte Schmidt-Salomon, dass es eine Aufgabe sei – in der Kosmologie, in der Weitergabe des Lebensfunkens, dem mystischen Überschuss in der Hirnforschung, etc. – weiter nachzufragen. Die „Poesie der Wissenschaften" und der „Zauber der Entzauberung" seien noch nicht hinlänglich erfasst.

Richard Blum sah die Anknüpfung in Brunos Bestreben, alles miteinander zu verbinden und nach den Konsequenzen zu fragen.

Gibt es Grenzen der Vernunftkritik?

Yehuda Elkana betonte in seiner Antwort, dass die Grenzen sich beständig verschieben würden, während Schmidt-Salomon darauf hinwies, dass zumindest die „Neuen Atheisten" auch über Religiosität und Spiritualität sprechen würden. Bruno sprach im Sinne von Akzeptanz und Toleranz, er hätte die Theologie nicht verboten. Aber auch aktuell, und das sei das eigentlich entscheidende Thema nach den Grenzen der Tolerenz gegenüber religiösen Heilsideen, werden Menschen für ihren „Glaubensabfall" immer noch getötet.

Welche Chancen hat das Projekt „aufgeklärter Islam"?

Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler aus Bern, verwahrte sich gegen die exklusive Schuldzuweisung an den Islam. Jede Religion habe Probleme mit der Aufklärung, auch das Christentum. Insofern sei Giordano Bruno auch heute immer noch aktuell - für alle Religionen - und die Fixierung auf den Islam oberflächlich.

Erörterungen über Aufklärung und Religion, Säkularisierungsprozesse und dass auch Aufklärung immer wieder neu gedacht werden müsse beendeten die Podiumsdiskussion.

Das Publikum

Die ZuhörerInnen waren bei dem anschließenden kleinen Empfang sehr unterschiedlicher Auffassung über den Verlauf der Podiumsdiskussion. Während einige sich positiv über die für sie neuen Fragen und Anregungen äußerten, meinten andere, es sei eine typische und damit überflüssige „Universitätsrederei" gewesen. Schließlich stünde an der Treppenwand des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität der Satz von Karl Marx, dass die Philosophen bisher die Welt nur unterschiedlich interpretiert hätten und es darauf ankäme, die Welt zu verändern.

C.F.