BERLIN. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) bereitet sich derzeit auf seine Bundesdelegiertenversammlung vor.
Sie findet am 7. und 8. Juni in Stuttgart statt, wo der HVD gar keinen Landesverband hat. Eine Neuwahl des Präsidiums steht an. Im Vorfeld stellt der hpd vor, was in Stuttgart diskutiert und im Umfeld geplant ist. Dazu heute ein Interview mit dem Präsidenten des HVD, Dr. Horst Groschopp.
hpd: Muss man jetzt „Herr Präsident“ sagen, statt „Bundesvorsitzender“?
Groschopp: Dass ich ein Präsident bin, daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Ich hatte auch schon Post eines Mitglieds, das „Herr Bundespräsident“ schrieb. Das ist – mit Humor gesagt – etwas zu früh. Spaß beiseite. Der HVD hat mehrere Körperschaften des öffentlichen Rechts als Mitglieder. Deren Vorsitzende sind alles Präsidenten. So wurde im Zuge von Vereinheitlichungen aus meinem Amt auch ein Präsident. Man kann es, wenn man die Sache mutig interpretiert, als Vorgriff nehmen. Wenn in zwanzig Jahren das Rechtsinstitut KdÖR für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch existiert, dann, so meine Prognose, wird auch der HVD-Bund eine KdÖR sein. Er wird dann eine humanistische Universität betreiben (zumindest entsprechende Lehrstühle besetzen), viele eigene Schulen haben, Hospize und Kindergärten sowieso ...
hpd: Als neulich in Trier der HVD Rheinland-Pfalz gegründet wurde, war das Thema auch Kindergärten. Wird der HVD ein Kindergartenverein?
Groschopp: Manches in jeder Organisation ist wohl wie im Kindergarten. Aber das gehört dazu, wenn man einem großen Verband vorsteht. Das Ernsthafte in Ihrer Frage hat noch eine Steigerungsmöglichkeit. Im Oktober reise ich zum Thema „Kindergärten“ durch Bayern. Spannend ist hierbei, dass der Wunsch nach humanistischen Alternativen zu öffentlichen wie kirchlichen Kinder- und Sozialeinrichtungen zunimmt und man dies für politisch dringlich erachtet. Neuerdings wird jedenfalls das Thema sogar in Hochburgen des „neuen Atheismus“ nachgefragt. Ich sehe hier keine Widersprüche, sondern Konsequenzen. Traditionell anders verortete Organisationen wundern sich allerdings. Ich sehe hier interessante Signale an traditionelle Verbände bis in die Reihen des HVD hinein. Ein humanistischer Kindergartenverein ist an sich schon etwas Gutes. Aber der HVD stellt sich – und das ist öffentlich zu besichtigen – auf vielen Feldern neu auf und zeigt sich klar als Weltanschauungsgemeinschaft.
hpd: Gibt es noch mehrere solcher Signale wie zu den Kindergärten?
Groschopp: Unsere Berliner Humanistische Akademie macht Anfang Juli ein Seminar für Interessenten, die fragen, ob im praktischen Humanismus auch berufliche Karrieren möglich sind. Die Nachfragen und Anmeldungen (Anmeldeschluss zunächst Ende Mai) belegen auch hier ein Umdenken, bisher noch gering, aber deutlich vernehmbar.
hpd: ... nur die Politik schweigt dazu?
Groschopp: Wo der HVD weltanschaulich und politisch kompetent ist, da ist er dies durch seine Praxis – etwa in Sachen Patientenverfügungen. Ich beobachte ein leichtes Umdenken in der Politik. Es ist inzwischen so, dass Mitgliedschaft Politikern nicht mehr schadet. Aber sie nützt noch zu wenig.
Und: Wer mit Politikern etwas anzettelt, darf deren Vertrauen nicht missbrauchen. Ich werde doch nicht aus der Post von MdB, die uns sonst unterstützen, öffentlichen Gebrauch machen, wenn sie mitteilen (etwa beim Entscheid über die Stammzellforschung), warum sie sich anders als der HVD meinten entscheiden zu müssen.
hpd: Um bei Politikern bekannter zu werden, gehen Sie mit Ihrer Hauptversammlung ausgerechnet aus der Hauptstadt in die Provinz?
Groschopp: Wo fängt Provinz an? Manchmal liegt sie bei mir hier gleich um die Ecke, mitten in der „Metropole“ und angeblichen „Welthauptstadt des Atheismus“. Stuttgart liegt mitten in Europa und ist die Hauptstadt eines reichen Bundeslandes mit einer beachtenswerten humanistischen Organisation. Hier haben „Die Humanisten Württemberg“ sich auf einen neuen Weg gemacht. Ob der im HVD mündet, das wird immer noch vor Ort von den Leuten selbst entschieden und will wohl überlegt sein.
hpd: Ja, aber was wollen sie dann dort?
Groschopp: Solidarität erweisen, z.B. mit den Stellungnahmen der Württemberger Freundinnen und Freunde zum dortigen Staatskirchenvertrag, wo sie sich tapfer und fundiert weit vorgewagt haben. Wir wollen Präsenz zeigen und vorführen, wie wir unsere Probleme lösen. Außerdem ist ja seit Januar, wo wir 15 Jahre HVD gefeiert haben und eine Strukturreform auf den Weg brachten, viel geschehen. In einem lebendigen Verband braucht eine Führung auch kritische Rückmeldungen, z.B. zu den Debatten zum „Ferkelbuch“ oder zu „Fitna“. Wer einen Verband der Ruhe sucht, ist – manchmal leider, aber insgesamt erfreulich – im HVD falsch.
hpd: Was könnte denn in Stuttgart ein Höhepunkt sein, der die Öffentlichkeit interessiert?
Groschopp: Hier würde ich unterscheiden wollen zwischen öffentlichem Interesse und innerverbandlichen Vorgängen mit möglichen späteren Aufmerksamkeiten. Öffentliches Interesse wird sicher unsere neueste Forsa-Umfrage wecken, deren Ergebnisse Ende Mai hoffentlich vorliegen. Nachdem wir Ende 2007 heraus bekamen, dass sich 80 % der Konfessionsfreien humanistisch bekennen und schon Befunde von Allensbach 2004 großes Interesse an einer Alternative zum Religionsunterricht signalisierten, haben wir nun konkret nach einem Bedürfnis nach „Humanistischer Lebenskunde“ als Schulfach gefragt, mit dem wir in Berlin und Brandenburg sehr erfolgreich sind und das auch andere HVD-Landesverbände bildungspolitisch durchsetzen wollen. Wir sind gespannt, was Forsa herausfindet.
hpd: ...und das innerverbandliche Einerlei?
Groschopp: Na ja, ein „Leipziger Allerlei“, also ein „bunter Gemüseeintopf mit Fleischeinlage“ wird das nicht sein. Nach unseren juristisch gut beachteten Stellungnahmen zu den Patientenverfügungen 2003, zum Personenstandsrecht 2007, zum Lebenskunde-Unterricht 2006 und 2007 und in diesem April (für das Bundesverfassungsgericht) zum Sonntag (am Beispiel der Berliner Ladenöffnungszeiten) haben wir uns – die Referate und eine Studie von Dr. Thomas Heinrichs auf der jährlichen Tagung unserer Akademie mit der Ebert-Stiftung bedenkend – „Rechtspolitische Positionen des HVD“ vorgenommen. Unsere Bundesakademie hat die Absicht, am 25.-27. September 2009 dazu eine größere Konferenz zu machen.
Mal so nebenbei: Wie ist eigentlich mit Kinderrechten vereinbar, dass Erwachsene, in dem sie ihre Kinder taufen lassen, diese in Rechtsverhältnisse setzen, die ihnen, wie mir selbst, auf die Füße fallen, wenn man unerwartet zur Kirchensteuer herangezogen wird, weil die „Rasterfahndung“ erfolgreich war?
hpd: ... und das „Allerlei“ wird im Versammlungstrubel „durchgereicht“?
Groschopp: Oh, nein. Es gibt genug Stoff zu unendlich langen Debatten, wenn man sie führen will. So wollen wir z.B. „Bundesrichtlinien“ verabschieden. Ein dröger Gegenstand, der im hintersten Verbandswinkel berechtigt Angst auszulösen vermag, wenn man annimmt, das neue Präsidium mache daraus seine Hauptaufgabe, krempele den Verband um und stelle durch bis in die letzte Ortsgruppe ... Es geht – nach drei Jahren Arbeit daran – um Leitlinien der Organisation. Ein umfängliches Papier fasst zusammen, wie eine Verbandsorganisation aussehen könnte, wenn man selbst Dienstleistungen und einen größeren Haushalt hat und wenn der Verband im Süden irgendwie so strukturiert und als HVD erkennbar sein soll wie im Osten, Westen oder Norden. Nach weiteren drei Jahren möchte ich gern geprüft sehen, was davon sinnvoll umsetzbar ist und was nicht.
hpd: Was von dem, was der HVD in Stuttgart behandelt, könnte denn für andre in der säkularen Szene wichtig sein?
Groschopp: Abgesehen davon, dass ich aus meiner Ansicht kein Hehl mache, dass alles, was wir auf den Weg bringen, wichtig ist für die große Familie der Konfessionsfreien ... wird es zwei wichtige Beschlüsse geben. Wir haben einen fertigen Kooperationsvertrag mit „Jugendweihe Deutschland“ vorliegen und wir haben Vorstellungen, wie wir uns gemeinsam mit anderen säkularen Verbänden, weltlichen Stiftungen, Akademien usw. eine bessere Vertretung von Konfessionsfreien über den HVD hinaus denken. Auch dazu werden sich die Delegierten eine Meinung bilden und das künftige Präsidium orientieren.
Ein Anmerkung an dieser Stelle: Es muss Schluss damit sein, dass die Konfessionsfreien – ein Drittel der Bevölkerung – so ignoriert werden wie in unserem Land üblich, wo jede noch so seltsame Sekte mehr Beachtung findet, nur weil sie ihr Zeug religiös begründet. Man getraut sich ja gar nicht mehr die Heizung richtig aufzudrehen, weil die Medien unisono suggerieren, der Papst käme vielleicht auch auf diesem Wege in die private Wohnung Dank seiner spirituellen Kraft.
hpd: Bleibt Groschopp Präsident?
Groschopp: Ja, es geht wohl weiter mit diesem Vorsitzenden. Ich stelle mich zur Wahl und ich setze auch in den anderen Personalentscheidungen auf Kontinuität, wohl wissend, dass der HVD in den kommenden Jahren nicht nur seine Reformen hin zum praktischen Humanismus fortsetzen, sondern dass er den Generationswechsel vorbereiten muss. Wir wollen mit der Bundesorganisation der Jungen HumanistInnen nach einem gangbaren Weg suchen, sowohl ihr großes Potenzial und ihre neuen Ideen besser einbringen zu können als auch weiter mit Jugendorganisationen verbunden zu sein, die dem HVD nicht angehören.
Die Fragen stellte Claudia Buchmann.