„Aufklärung ist Ärgernis..."

Karlheinz Deschner gilt als wichtigster zeitgenössischer Kirchenkritiker. Doch nicht alle seine Positionen finden im säkularen Lager ungeteilte Zustimmung.


Einen „Streitschriftsteller“ hat ihn sein Lektor Hermann Gieselbusch einmal genannt. Und tatsächlich hat das Werk Karlheinz Deschners stets Kontroversen angestoßen. Das gilt für seine literaturkritischen Werke der 1950er und 1960er Jahre, in denen er den in Schule und Feuilleton vorherrschenden Literaturkanon ins Visier nahm; das gilt für seine zahlreichen Studien zur Geschichte der katholischen Kirche; das gilt schließlich für seine gesellschaftskritischen Stellungnahmen und seine Aphorismen. Widerspruch erfährt Deschner nicht nur von den Attackierten, auch aus den Reihen derer, die seine Arbeit oder zumindest sein Grundanliegen prinzipiell befürworten, wird so manche Äußerung des 82-jährigen Autors als „Ärgernis“ empfunden.

 

Dies wird nun auch dokumentiert in einem Buch, das Karlheinz Deschners Leben, Werk und Wirkung vorstellt. Denn in einem mit dem Deschner-Aphorismus überschriebenen Kapitel „Was missfällt, muss nicht missraten sein“, dem umfangreichsten des Werkes, geht es explizit um die unterschiedlichen Einschätzungen der Leistung des „Streitschriftstellers“.

 

Das erste Aufsatz-Paar befasst sich mit Deschners Kirchenkritik. Armin Pfahl-Traughber hält vor allem der Kriminalgeschichte des Christentums ihre selektive Wahrnehmung und einen manchmal unkritischen Umgang mit Quellen vor, bemängelt die Orientierung an Personen und die Vernachlässigung von Institutionen. Insgesamt sieht Pfahl-Traughber die „analytische Reichweite“ als ungenügend an: Die Kriminalgeschichte bleibe „analytisch und methodisch auf der Ebene der Anklage und Skandalisierung stehen“, beantworte aufgrund ihrer Herangehensweise „die Fragen nach Bedingungsfaktoren und Ursachen“ nicht.

Ihm widerspricht Michael Schmidt-Salomon und verteidigt vor allem Deschners Grundansatz, so zu schreiben, als sei er „mitten drin“. Möglicherweise lasse sich so nicht immer die Vielschichtigkeit des historischen Prozesses darstellen, doch gleichzeitig liege darin die besondere Qualität der Deschnerschen Geschichtsschreibung, die sie gegenüber jeder distanzierten soziologischen Analyse auszeichne: „die reale Not, das reale Elend, die realen Ängste, Begierden, Hoffnungen, Illusionen der Menschen“ werden so sichtbar. Schmidt-Salomon warnt davor, Deschner unkritisch zu lesen. Wer die Kriminalgeschichte ohne kritische Reflexion rezipiere, sei auf dem besten Weg zu einer fehlerhaften Interpretation des Werkes. Und auf solche Interpretationen der Geschichtsschreibung Deschners, aber eben auch nur auf diese, könnten einige Kritikpunkte Armin Pfahl-Traughbers zutreffen.

 

Während sich diese beiden Aufsätze eher mit methodischen Fragen befassen, geht es bei den folgenden beiden „ans Eingemachte“. Dies nicht nur, weil die Auseinandersetzung um Deschners Aphorismen geht – ein Teil seines Werkes, der ihm selbst besonders wichtig ist –, sondern auch weil die Kritik grundlegende Werthaltungen betrifft und der Ton schärfer wird.

 

Joachim Kahl unterzieht das Menschenbild sowie das Politikverständnis und die Geschichtsauffassung, die sich in den drei Aphorismus-Bänden niederschlage, der Kritik und wirft Deschner inhaltlich unter anderem „Menschenverachtung“, „Fatalismus“ und „Demokratie-Demontage“ vor, methodisch sieht er „bizarre Pauschalurteile“, „intellektuellen Dünkel“ und „verbalradikale Rundumschläge“. Sein vernichtendes Urteil stützt er auf zahlreiche Aphorismen, wobei für ihn „Unmensch: Pleonasmus“ eine Schlüsselstellung einnimmt. „Deschner“, so lautet Kahls Fazit, „ist taub für Zwischentöne, blind für Schattierungen, unsensibel für Differenzierungen, ohne Gespür für die Ambivalenzen alles Menschlichen.“

Die Entgegnung von Gabriele Röwer ist nicht minder vehement wie Kahls Angriff. In Form eines „Offenen Briefes“ verfasst, weist sie die „keiner sachlichen Prüfung standhaltenden“ Kritikpunkte zurück. Dazu wählt sie sich zehn Kernaussagen aus und widerlegt sie, zeichnet ein alternatives Bild des Aphoristikers Deschner, seiner Intentionen und Argumentationen. Ganz im Gegensatz zu Kahls Einschätzung sieht sie als Deschners Leitidee die „Humanisierung der Lebensverhältnisse auf diesem Planeten“. Um ihre Auffassung zu belegen, führt sie nicht nur ihrerseits zahlreiche Aphorismen Karlheinz Deschners an, sondern ordnet ihn auch in die Tradition der Aphoristik ein. Anhand zahlreicher Beispiele dieser Gattung – in denen sich große Dichter und Denker zu Themen äußerten, deren sich auch Deschner angenommen hat –, zeigt sie, dass dieser sich in diesem Chor gut ausnimmt.

 

Die anderen Kapitel des Werkes gehen weitgehend auf ein nach Deschners 80. Geburtstag erschienenes Sonderheft der Zeitschrift Aufklärung und Kritik zurück, sind allerdings teilweise erweitert und überarbeitet. Sie bieten umfassende Informationen zum Lebensweg des Autors sowie zu diversen Aspekten seines Werkes. Daneben enthält der Band noch eine umfassende Bibliographie der Publikationen Deschners sowie zahlreiche Fotos.

 

Martin Bauer

 

Hermann Gieselbusch / Michael Schmidt-Salomon (Hrsg.)

„Aufklärung ist Ärgernis“. Karlheinz Deschner – Leben, Werk, Wirkung

Aschaffenburg: Alibri Verlag 2006

ISBN 3-86569-003-3, 350 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 18.-

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Hermann Gieselbusch /Michael Schmidt-Salomon

„Aufklärung ist Ärgernis":

Was Sie in diesem Buch erwartet

 

I. „Nach meinem Eintritt in die Welt war ich ein ganzes Jahr sprachlos": Der Mensch hinter dem Werk

 

Karlheinz Deschner

Warum man zu Lebzeiten nicht aus seiner Haut fahren kann

Redebeitrag zur Begehung meines 80. Geburtstages am 23. Mai 2004

 

Ingo Petz

Nackt im Wald mit Nietzsche

 

Michael Schmidt-Salomon „Wer die Welt erhellt..."

Karlheinz Deschners Leben, Werk und Wirkung - eine Skizze

 

Hermann Gieselbusch

Deschner bei Rowohlt

 

Karlheinz Deschner

„Die Nacht steht um mein Haus"

Auszug aus dem 1956 erschienenen Roman

 

II.  „Auch Lorbeerbäume wachsen nicht in den Himmel": Würdigungen von Werk und Autor

 

Ludger Lütkehaus

„Das Subjektive ist das wahrhaft Objektive"

Laudatio anlässlich der Verleihung des Erwin-Fischer-Preises an Karlheinz Deschner

 

Karl Corino

„Die Durchschlagskraft eines Geschosses..."

Laudatio auf Karlheinz Deschner anlässlich der Verleihung des Wolfram-von-Eschenbach-Preises

 

Johannes Neumann „Empörter Menschenfreund" Laudatio auf Karlheinz Deschner anlässlich der Verleihung des Ludwig-Feuerbach-Preises

 

Herrmann Josef Schmidt Transformierte Jagdleidenschaft: Christentumskritischer Aufklärer als Mutmacher. Laudatio auf Karlheinz Deschner anlässlich seines 80.Geburtstages

 

 

III.  „Von Zweifel zu Zweifel, ohne zu verzweifeln": Beiträge zu Einzelaspekten des Werks

 

Hans Wollschläger

Leitfaden a priori

 

Milan Petrovic

Karlheinz Deschner und Aurelius Augustinus

Kurzer Hinweis auf Wissenschaftlichkeit und Geschichtsphilosophie in Deschners Christentumskritik

 

Klaus Vowe

„es ist ein Leben, ob man weint oder lacht"

Von der schönen Literatur des Karlheinz Deschner

 

Bernulf Kanitscheider

Religion und Sexualität in interkultureller Perspektive

 

Horst Herrmann

Das bisschen Vernunft, das wir haben, um tierischer als jedes Tier zu sein

 

 

IV.  „Was missfällt, muss nicht missraten sein": Kritik und Gegenkritik zum Werk des Streitschriftstellers

 

Armin Pfahl-Traughber

Karlheinz Deschner als Aufklärer und Wissenschaftler in kritischer Prüfung

 

Michael Schmidt-Salomon

„Bitte nicht näher treten!": Das Nähe-Distanz-Problem in der Geschichtsschreibung

Eine Replik auf Armin Pfahl-Traughber

 

Joachim Kahl Deschners Aphorismen

Eine Kritik ihres Menschenbildes sowie ihres Gesellschafts- und Geschichtsverständnisses

 

Gabriele Röwer

Wo bleibt das Positive, Herr Deschner?

Offener Brief an Joachim Kahl

 

 

Anhang

„Ich lebte, um zu schreiben, und schrieb, um zu leben": Deschners Lebenslauf im Überblick

 

„Große Bücher sind auch Verlustanzeigen - sie enthalten das Leben ihres Autors": Das literarische Werk Karlheinz Deschners

 

Stimmen zu Autor und Werk

 

Autoren

 

Editorische Angaben und Bildnachweis

 

 

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