Stoppt die Zerstörung junger Geister!

A.C. Grayling über die staatliche Finanzierung religiöser Schulen in England.

 

 

Religiöse – Menschen mit einem beunruhigenden Spektrum an Glaubenssätzen und Praktiken – indoktrinieren unsere Kinder mit voller Unterstützung der Regierung.
 

Alles, was Sie nun lesen werden, ist wahr. Ohne jegliche Befragung der Öffentlichkeit oder Debatte, ohne auch nur einmal eine öffentliche Erklärung zum Thema abgegeben zu haben, ohne jemals unabhängige oder kritische Meinungen zur Hinterfragung der Folgen eingeholt zu haben, überlässt die britische Regierung große Teile des schulischen Bildungssystems, zusammen mit vielen zehn Millionen unserer Steuergelder, religiösen Gruppierungen1.

Religiöse sind Menschen, die verschiedenartig an Gespenster glauben, an außerirdische Besuche, an Tote, die wieder lebendig werden, an magische Geschehnisse, an Formen von Kannibalismus, an Teufelsaustreibungen und Verfluchungen, an seltsame psychologische Bräuche und sexuelle Abarten, an bizarre antike Mythen, die sie für wahre Berichte über Herkunft und Natur der Welt halten, und an personifizierte Formen des Bösen und der Böswilligkeit; die traditioneller Weise Folter anwenden und stets mit ihr und mit Exekution drohen, wenn jemand ihre Theorien nicht akzeptiert; die, um ihre Ziele zu erreichen, gelegentlich in den Krieg ziehen, Massaker und Mord anwenden und die bei anderen Gelegenheiten Bestechung, Gehirnwäsche und Ausbeutungstechniken bei den Armen, Kranken, Deprimierten und Traumatisierten anwenden. Sie verbergen manchmal ihr wahres Gesicht hinter der Maske der Wohltätigkeit und ermutigen ihre Rekruten sogar dazu, dies für ihre wahre Natur zu halten; aber davon abgesehen spricht ihre Bilanz überwiegend gegen sie.

Ihre Haupt-Rekrutierungsmethode ist jedoch die Missionierung der ganz Jungen, weil sie wissen, dass sie die Saat ihrer Ansichten nur tief genug in junge Geister einplanzen müssen, damit jene diese Ansichten behalten oder sie später bei passenden Gelegenheiten zurückgewinnen können. Eben dieser letzte Punkt ist besonders beunruhigend, weil die aktive Hilfte, welche die Regierung den Religiösen anbietet, wenn es darum geht, den Geistern von Kindern aufzulauern, über alle Maßen schockierend ist, nicht nur wegen der intrinsischen Falschheit des Missbrauchs, der erforderlich ist, um für Menschen mit solchen entsetzlichen Ansichten und Praktiken die Jagdsaison auf wehrlose Kindergehirne zu eröffnen, sondern weil man auf diese Weise dazu beiträgt, der ganzen Palette ihrer Ansichten und Praktiken das Überleben und die fortgehende Heimsuchung der Welt zu erleichtern. Angesichts dessen, dass sich organisierte Religion quer durch die Geschichte immer wieder als gefährlich, destabilisierend und beständig rückschrittlich herausgestellt hat und als eine der primitivsten Kräfte unserer heutigen Welt, sollte sie nicht durch öffentliche Mittel dabei unterstützt werden, Zugriff auf Kinder zu erhalten: Doch unsere eigene Regierung unterstützt sie aktiv.

Hier sind die Fakten; diese Fakten sind für jedermann zugänglich und wie die eben genannten sind sie absolut und furchteinflößend wahr. Eine der größten religiösen Organisationen in England ist gerade dabei, zum größten Schirmherrn von „Akademien“ aufzusteigen. Im nächsten Jahr wird sie die Zahl der Akademien, die sie kontrolliert, auf über 30 verdreifacht haben und es finden Gespräche mit der Regierung statt, um Kontrolle über weitere 54 zu erlangen. Eine andere religiöse Organisation, die momentan nur drei Akademien betreibt, ist bestrebt, weitere 22 zu übernehmen; eine Dritte ist gerade dabei, von weiteren 25 im Laufe der nächsten paar Jahre Besitz zu ergreifen. Von diesen abgesehen, betreiben religiöse Organisationen schon heute ein Viertel aller weiterführenden Schulen in England und diese Ausdehnung wird den Anteil erheblich steigern.

Wie kann das geschehen? Mit einer Freikarte der Regierung, mit Geld der Regierung – will heißen: Ihre und meine Steuergelder – und mit Hilfe der Regierung. Als man Akademien im Sinne einer „öffentlich-privaten-Partnerschaft“ ins Leben rief, forderte man von den privaten Sponsoren eine Anfangsinvestition von zwei Millionen Pfund. Danach sollte die Finanzierung weitgehend von der Regierung übernommen werden. Auf diese Bedingung verzichtet man nun, so dass religiöse Organisationen einfach Kontrolle über öffentlich finanzierte Schulen erhalten, kostenlos. Ein Sprecher einer religiösen Bildungsorganisation, Steve Chalke, wurde letztes Wochenende in der Financial Times damit zitiert, dass die Regierung „keine Decke und keinen Boden“ für den Anteil der Religiösen festgelegt hat, damit sie eine Schule übernehmen oder gründen können; der Sprecher einer anderen religiösen Organisation sagte: „Wie haben nun eine entspanntere Ordnung, die uns nicht mehr zu einer Beitragsleistung verpflichtet.“ Auf wessen Anordnung? Mit welcher Diskussion?

Der Anteil von 25% für weiterführende Schulen, die „einen religiösen Charakter haben“ (eine leichte Umschreibung von Whitehalls eigener Phrase), entstammt Whitehalls eigener Statistik: Er entspricht 700 Schulen und steigt rapide an. Der Anteil der Grundschulen, den Religiöse betreiben, ist höher: 4470 Grundschulen werden allein von der größten englischen religiösen Organisation betrieben: 4470 Einrichtungen für Kinder ab 4 und aufwärts, denen man religiöse Glaubensdogmen und Praktiken einschärft!

Es hat keine öffentliche Debatte über die Akzeptabilität der momentanen Situation gegeben und keine über die schnelle Ausbreitung von regierungsfinanzierter religiöser Kontrolle über einen so großen Teil des Bildungssystems. Beteuerungen in die Richtung, dass religiös gelenkte Schulen besser sind als nicht-religiöse staatliche Schulen, so dass „Eltern der Mittelschicht eine bessere Bildung für ihre Kinder umsonst erhalten können“ – „umsonst“ bedeutet von Ihren und meinen Steuergelder, erinnern Sie sich – sind zu einer Art Mantra geworden; von dem schockierenden Fakt abgesehen, dass Kinder religiösen Organisationen für die Bildung ausgeliefert werden (meinen Sie: Indoktrination? Aber natürlich nicht! – eine religiöse Schule hat gewiss kein Interesse an der Produktion von zukünftigen Religiösen – welch eine Idee!“) wurde diese Haltung schon mehrmals kritisiert, aber es ist natürlich weder im Interesse der Religiösen noch in dem der Regierung, dass dieser Fakt zu weit bekannt wird.

Würde die Regierung Schulen und Geld an Astrologen, Medizinmänner, Scientologen, dem Manson-Kult2 und dergleichen verteilen, damit sie unsere Kinder erziehen, dann wären wir besorgt, oder nicht? Dabei unterscheiden sich die Grundlagen des Glaubens, die Glaubenssätze selbst, kein bisschen von denen der sogenannten „Weltreligionen“, an welche die Regierung Schulen und Geld verteilt, als wären es Süßigkeiten. Wo ist die Debatte über all das? Aus welchen Gründen geht die Regierung davon aus, dass sie unsere Steuern zu diesem Zweck ohne ein einziges „Wenn Sie erlauben“ verwenden dürfen? Das ist die Frage. Und es ist eine brennende Frage.

Alle Bildung sollte säkular sein. Aber davon abgesehen, sollte religiöse Indoktrination – die in einer freien Gesellschaft geschehen wird, weil niemand die Religion selbst verbieten kann, obgleich man heftigst dagegen argumentieren sollte – auf Kosten derjenigen geschehen, die sich dazu entscheiden, sie ihren Kindern anzutun. Sie sollte mit Sicherheit nicht auf Staatskosten geschehen.

 

1Grayling verwendet in diesem Text die Wortneuschöpfung „anousic“ für „religiös“. Die altgriechische Entsprechung bedeutet „unvernünftig“, „gedankenlos“ und „unlogisch“.

2Verehrer des Massenmörders Charles Manson (der sich für Jesus Christus hielt).

 

Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: Stop distorting young minds! Guardian. 25. Juni 2008

 

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