LEIPZIG. (hpd) Merkwürdiges geht vor in Sachsen. Leipzig bekommt einen Universitätsneubau in der Innenstadt. Dort, wo vor fast 600 Jahren die Geschichte der Leipziger Universität begann. Die Aula der Alma mater lipsiensis wird wie ein gotischer Kirchenbau aussehen, in Beton gegossen, aus Steuermitteln errichtet. Zur Erinnerung an die 1968 gesprengte Universitätskirche. Einer Bürgerinitiative ist dies nicht genug. Die Aula soll eine Kirche werden und auch so heißen: Paulinerkirche.
Die Universität Leipzig ist die zweitälteste durchgehend bestehende Universität auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands (nach der Heidelberger Universität). Im kommenden Jahr feiert sie ihr 600jähriges Bestehen. 1409 forderten die im Rahmen der Hussitenbewegung zur Eigenständigkeit erwachten Tschechen vom deutschen Rektor der Prager Universität Siegel und Schlüssel. Daraufhin zogen etwa 1.000 deutsche Lehrkräfte und Studenten nach Leipzig, ein Handelszentrum der damaligen Markgrafschaft Meißen.
Gründung: 1409
Die Bestätigung des „Studium generale" durch Papst Alexander V. erfolgte noch im Jahre 1409, weitere Fakultäten kamen bald hinzu. Umgehend wurde die Universität von Stadt und Landesherrn mit Gebäuden und Etat versehen. Eine Erweiterung erfuhr die Universität mit der Übereignung des im Zuge der Reformation säkularisierten Dominikanerklosters mit der Klosterkirche St. Pauli (geweiht 1240) im Jahre 1543 durch Moritz, Herzog von Sachsen. Der bekannteste Mönch dieses 1229 gestifteten Klosters dürfte Johannes Tetzel sein, der am ersten Januar 1506 erstmals in Leipzig den Ablass predigte. Nach der Säkularisierung des Klosters weihte Martin Luther 1545 offiziell die Universitätskirche. Genutzt wurde sie für Feiern, Konzerte, Promotionen und akademische Gottesdienste. Die Kirche wurde mehrfach umgebaut, blieb auch über längere Zeit ungenutzt oder wurde zweckentfremdet. Ende des 19. Jahrhunderts erhielt der Bau eine neogotische Fassade, die den älteren Leipzigern noch in Erinnerung ist.
Die Universität entwickelte sich zu einer der bedeutendsten akademischen Einrichtungen Deutschlands und ist mit bedeutenden Namen aus Wissenschaft und Kunst verbunden. Bedingt durch die stetig steigenden Studentenzahlen wurden neue Räumlichkeiten geschaffen (1836: Augusteum, das am Augustusplatz gelegene neue Hauptgebäude; 1891: Bibliotheca Albertina, die neue Universitätsbibliothek).
1968: „Kulturberäumung"
Im zweiten Weltkrieg wurden etwa 60 Prozent aller Universitätsgebäude zerstört. Am 5. Februar 1946 nahm die Universität den Lehrbetrieb wieder auf. Es erfolgte die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Institutionen der DDR, was auch bedeutete, dass der Studentenrat aufgelöst wurde. 1953 erhielt die Universität den Namen „Karl-Marx-Universität Leipzig". Bis 1967 war ein Wiederaufbau des kriegsbedingt stark beschädigten Augusteums vorgesehen, 1968 jedoch schlug das Klima um, Augusteum und die (weitgehend intakte) Kirche fielen der „Kulturberäumung" unter dem SED-Bezirkschef Fröhlich zum Opfer. Auch Walter Ulbricht (aus Leipzig stammend) soll ein besonderes Interesse an der Sprengung der Kirche gehabt haben. Am damaligen Karl-Marx-Platz (heute wieder Augustusplatz) sollte keine Kirche geduldet werden. Vor allem Kirchenkreise hatten vergeblich protestiert.
Der Universitätsneubau entstand von 1973 bis 1978. Einen besonderen Akzent setzte das Uni-Hochhaus in der Form eines stilisierten aufgeschlagenen Buches. Mit Ausnahme dieses Hochhauses, das an einen privaten Nutzer abgegeben wurde, hatten die Bauten nicht lange Bestand. Nach wenigen Jahren war die Bausubstanz bereits verschlissen und genügte den Anforderungen einer modernen Universität nicht mehr. Das 600jährige Jubiläum der Universitätsgründung vor Augen reiften Pläne über einen erneuten Abriss mit anschließender Neubebauung des zentral gelegenen Geländes der Universität. Rektor Volker Bigl setzte sich seit seiner Amtseinführung 1997 für einen Campusneubau ein, der den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen sollte.
2002: Neubau einer multifunktionalen Aula
Die Pläne wurden seitens der Landesregierung unterstützt, es kam zum außergerichtlichen Vergleich mit der Universität über deren Grundstücke. Die Gremien der Universität einigten sich auf den Umfang und die grundlegende Gestaltung des Neubaus. Als „Geistiger Mittelpunkt" war eine multifunktionale Aula geplant (für Festakte, Konzerte und Proben der Klangkörper der Universität, wissenschaftliche Konferenzen und Gottesdienste.) Gestalterisch war eine Erinnerung an die einstige Universitätskirche vorgesehen. Audimax, Mensa und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät sollten ebenfalls am Augustusplatz Räumlichkeiten finden. Nicht nur von der Universität, sondern auch von den Leipzigern wurde ein Wiederaufbau der Universitätskirche mehrheitlich abgelehnt (Umfragen 2002/03). Das Interesse am europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb blieb - wohl auch wegen des engen finanziellen Rahmens - überschaubar. Im Juni 2002 entschied sich die Jury einstimmig für den zweitplatzierten Entwurf, ein erster Preis wurde nicht vergeben.
2003: Ein bisschen mehr Kirche...
Dies fand jedoch nicht die Zustimmung des Paulinervereins, einer Bürgerinitiative zum Wiederaufbau von Universitätskirche und Augusteum. Prof. Günter Blobel wird zum Vorsitzenden gewählt. Der Medizinnobelpreisträger von 1999 hatte sich bereits um den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche verdient gemacht, nun geißelt er den fehlenden Willen zum Wiederaufbau der Universitätskirche als „nationale Schande". Blobel sucht Unterstützung im Vatikan. Er wird bei Kardinal Ratzinger vorstellig und trägt ihm, gegen entsprechende Unterstützung des Vorhabens, die Nutzung der wieder aufzubauenden Kirche als katholisches Gotteshaus an. Die sächsische Landesregierung bekundet inoffiziell Sympathie. Gegen jede Absprache setzt das Kabinett in Dresden nun den Wiederaufbau der Kirche auf die Tagesordnung. Rektor Bigl benennt dies klar als „beispiellose Einmischung in die Selbstverwaltung der Universität" und gibt am 30. Januar 2003 seinen Rücktritt bekannt. Seine Prorektoren folgen am Tag darauf.
Die Entwürfe für den Universitätsneubau müssen überarbeitet werden. Nun darf es ein bisschen Kirche mehr sein. Aula und Andachtsraum sollen ein gleichberechtigtes Nebeneinander führen. Schließlich setzt sich der Entwurf von Erick van Egeraat (Rotterdam) durch, der deutlich an die gesprengte Kirche erinnert. Es soll jedoch "in gleicher Qualität neu gebaut" werden. Vertreter von Universität, Stadt und Landesregierung loben den Entwurf, der Streit scheint beigelegt und die Zeit läuft davon. Noch fünf Jahre bis zum Jubiläum. Der Studentinnenrat hat seine kritische Distanz gewahrt und spricht bei dem Entwurf vom „kleinsten gemeinsamen Übel", hofft jedoch, nun zu den tatsächlichen Problemen der Universität zurückkehren zu können.
Das Statement des Vorsitzenden des Paulinervereins, Prof. Dr. Günter Blobel, zur Entscheidung der Jury liest sich so: „Ich bin begeistert von dem Entwurf von Erick van Egeraat. Der Paulinerverein hat sein Hauptziel erreicht: Eine gotische Halle in den historischen Ausmaßen der Paulinerkirche.... Persönlich aber finde ich den Fassadenentwurf von Egeraat genial, besser noch als die neogotische Rossbach-Fassade..." Im August 2004 steigt Blobel aus dem Verein aus, nachdem die Vorstandswahl juristisch angefochten wurde.
2007: Eine Universität baut eine Kirche aus öffentlichen Mitteln
Ein Jahr vor dem Jubiläum steht der Rohbau. An einen Wiederaufbau der zerstörten Kirche ist nun nicht mehr zu denken. Der Paulinerverein arbeitet weiter daran, nachdem der gesamte Komplex des Uni-Neubaus sehr nach Kirche aussieht, auch eine „richtige Kirche" daraus zu machen. Wohl ein einmaliger Vorgang: Eine Universität baut eine Kirche aus öffentlichen Mitteln. Am 13. Februar 2007 liest man in der „Leipziger Volkszeitung" dazu, dass der Thomaskirchen-Pfarrer Peter Amberg darauf bestehe, dass das zukünftige Gebäude Universitätskirche heißen müsse, denn „nichts erinnert an zerstörte Vergangenheit so sehr wie der Name...." Die als geistliches Zentrum der Uni konzipierte Universitätskirche habe nur dann Sinn, „wenn sie von der Universität als notwendiger Teil des Wissenschaftsbetriebes des 21. Jahrhunderts verstanden wird".
Der Rektor der Universität Franz Häuser betont hingegen, die Planungen für das Paulinum besagten, dass es einen ausschließlich für Gottesdienste vorbehaltenen Teil mit Altar und großem Kirchenfenster an der Ostfassade geben solle mit Platz für über 100 Personen, der bei gegebenen Anlässen auch mit dem für die Aula vorgesehenen Teil zusammengeschaltet werden könne. Häuser verweist darauf, „dass die Universität in erster Linie dem Grundgesetz... verpflichtet sei. Auf diesen Fundamenten gründe sich das säkularisierte Staatswesen, das deshalb zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet sei." Es könne keine universitäre Aufgabe sein, alle ungeklärten Fragen vor Gott zu tragen.
Doch der Paulinerverein stichelt weiter. Im Mai 2008 lässt man die Katze aus dem Sack. Der ganze neu geschaffene Raum soll Kirche werden, mit Altar und Kanzel. Thomaskantor Christoph Biller: „Das Wichtigste aber ist, dass die Leipziger die Kirche annehmen und allsonntäglich füllen." Die Leipziger Bürger, zu etwa 80 Prozent konfessionsfrei, sollen also von der Aula der Universität Besitz ergreifen und sie zur Kirche umfunktionieren. Die Universität kann sich dann wohl um die Nutzung der gottesdienstfreien Zeit kümmern?
Wie könnte es anders sein, die „Kirchenbauer" treffen auf massive Medienunterstützung. Beispielhaft für tendenziösen Journalismus steht der Artikel „Die Angst vor der Kirche" von Evelyn Finger, der belegt, dass Diffamierung und Polemik immer noch effektiver sind als intellektuell redliche Argumentation. Hier einige Kostproben: Der Universitäts(-Kirchen-)Neubau wird zum „Symbolbau der wiedervereinigten Republik" erklärt, die gesprengte Unikirche, ein Stilmix verschiedener Epochen, wird zu „einer der kostbarsten Kirchen Europas", die Universität wolle „einen Akt politischer Wiedergutmachung sabotieren". Das „Geistlich/Geistige" wird zum „Garanten kritischer Vernunft und aufgeklärter Moral". Der Universität wird unterstellt, sie freue sich über die von Ulbricht initiierte Kirchensprengung. Es wird darauf hingewiesen, dass hier im Zentrum der Stadt „kein Kaufhaus entstehe, sondern ein Mahnmal von höchstem öffentlichem Interesse".
Und ich dachte, es entstünde ein neues Universitätsgebäude, und dieses braucht eine Aula, keine Kirche. Doch diese (Aula) ist nach Meinung der Autorin und der von ihr zitierten Kirchenbefürworter ein „schändliches Monument eines ‚steinzeitlichen Wissenschaftsoptimismus', das verhindert gehöre" und es habe den „Charme eines sowjetischen Standesamtes", wobei sie uns nicht darüber aufklärt, bei welcher Gelegenheit sie diesen besonderen Charme bereits auf sich wirken lassen konnte.
Bert Kohlweyer