Au contraire Monsieur... en peu

(hpd) In seinem Buch "Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott" tritt André Comte-Sponville den Versuch an, Spiritualität und Atheismus miteinander zu versöhnen. So neu ist dieser Versuch ja nicht und leider auch mit einigen Stolperfallen behaftet.

 

„Woran glaubt ein Atheist?", so der Titel des französischen Professors für Philosophie, André Comte-Sponville, der offensichtlich schon ein wenig provozieren soll, denn der Atheist glaubt ja gerade nicht - zumindest nicht an eine der vielen tausend Gottheiten, die sich seine Mitmenschen im Lauf der Jahrhunderte so ausgedacht haben. Und hier beginnt auch schon die Crux des Versöhnungsversuchs, denn „Atheist" ist ein schwammiger, fast inhaltsleerer Begriff, welcher sich nur über eine Negativabgrenzung definiert. Historisch gesehen ist das auf Grund der klerikalen Propaganda sehr gut erklärbar, kontextbezogen ergibt das aber so viel Sinn, wie irgendeine Person zu fragen, ob sie A-Rassist ist.

Abgrenzungsproblem

Dieses Problem „meistert" Comte-Sponville im ersten Teil des dreigeteilten Buches mit Hilfe eines schärfer umrissenen Begriffs des Atheismus, nämlich des „bekennenden Atheisten". Es mag vielleicht an der Begriffsarmut der deutschen Sprache, der Übersetzung aus dem Französischen oder der theologischen Besetzung solcher Begriffe liegen, jedoch führt genau diese Begrifflichkeit zu einer gegensätzlichen, einer wiedersprüchlichen Dialektik, ähnlich einer schwarzen Sonne oder eines stummen Schreis. Verstärkt wird dieser Verdacht noch durch den vom Autor eingeführten Begriffs der „Kommunion", deren Bedeutung zwar erklärt wird, aber an der Begrifflichkeit des deutschen Wortes vorbeigeht (hier ist nämlich explizit der Empfang des Altarsakraments gemeint) und nicht ein sozio-kulturelles Zusammenleben und ausbilden gemeinsamer Werte. Weiters wirkt es etwas befremdlich, doch auf Grund seiner Herkunft und familiären Bindungen erklärlich, dass er dem Christentum, speziell auch dem Neuen Testament, ein Übermaß an Wohlwollen entgegenbringt - und das bei gleichzeitiger Betonung des Laizismus, wie es für französische Autoren üblich zu sein scheint - , wohingegen Fanatismus und Nihilismus aufs strengste verurteilt werden. Eine Begründung zu dieser Vorgehensweise wird zwar erbracht, konnte aber nicht durchgängig überzeugen und würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Gottesgegenbeweise

Im zweiten Teil - nach Auffassung des Rezensenten der beste Teil des Buches - führt Comte-Sponville Schwächen der Belege für eine göttliche Existenz an. Dies reicht vom ontologischen Beweis eines Anselm von Canterbury bis zur Theodizee. Man gewinnt hier, im Gegensatz zum ersten Teil, wirklich den Eindruck, dass es der Autor mit seiner gottlosen Haltung ernst meint und es sich bei seinem Atheismus nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt.

Atheistische Spiritualität

Der dritte Teil ist ganz der Spiritualität gewidmet. Die Bandbreite reicht hier von der persönlichen Schilderung spiritueller Erfahrungen des Autors über sinnstiftende Allgemeinplätze zu Immanenzen, Evidenzen und Transzendenzen - also all das, was sich zwischenmenschlich sehr schwer vermitteln lässt. Leider gewinnt man nicht selten den Eindruck, als wäre dies alles dem Dalai Lama auf seiner letzten Pressekonferenz herausgerutscht. Sätze wie:

  • „Wenn alles immanent ist, ist der Geist es auch. Wenn alles natürlich ist, ist die Spiritualität es auch. Das spricht mitnichten gegen das spirituelle Leben, sondern macht es überhaupt erst möglich. Wir sind auf der Welt und von der Welt: Der Geist ist Teil der Natur."
  • „Dass die Natur vor dem Geist existiert, der sie denkt, davon bin ich überzeugt. Und da führt der Naturalismus zum Materialismus."
  • „Atheist sein heißt nicht, die Existenz des Absoluten zu verneinen, sondern nur dessen Transzendenz, Spiritualität, Personalität, also zu verneinen, dass dieses Absolute Gott sei."
    „Auch wenn das Absolute unsagbar ist, muss die Erfahrung, die auf das Absolute zielt oder es berührt, noch lange nicht unaussprechlich sein."
  • „Mysterium und Evidenz sind ein und dasselbe, und das ist die Welt. Mysterium des Seins - Licht des Seins."

erscheinen auf den ersten Blick zwar beeindruckend, auf den zweiten haben sie dennoch diesen religiösen und/oder mystischen Beigeschmack (Immanenz des Geistes, Existenz des Absoluten usw.), den man gerade von einem atheistischen Autor nicht lesen möchte, existiert doch gerade auf diesem Gebiet eine stupende Fülle von Material, welches aber zugegebenermaßen meist weniger intellektuell, philosophisch und eloquent ist, als das vorliegende Buch. Bestenfalls kann der eine oder andere Leser die geschilderten spirituellen Erlebnisse nachvollziehen oder auf eigene projizieren, schlimmstenfalls jedoch wird man damit nichts anzufangen wissen oder es als eine subjektive, vielleicht auch egozentrische, Betrachtung eines Einzelnen verstehen.

Drahtseilakt

Comte-Sponville begab sich mit diesem Buch auf einen Drahtseilakt zwischen einer kritisch rationalistischen Einstellung einerseits, die Atheismus fast zwangsläufig bedingt, und einer spirituellen Herangehensweise, die genauso zwangsläufig zu einer unkritischeren Betrachtung führen muss, denn der prüfende Blick, die erklärende Instanz, kann jedes noch so schöne emotional-geistige Erlebnis zunichtemachen. Er hat dieses Kunststück aus Sicht des Rezensenten nicht gemeistert, ist aber dabei auch nicht abgestürzt, sondern hängt irgendwie zwischen den Seilen bzw. sitzt zwischen den Stühlen. Es handelt sich bei „Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott" um ein schönes, eloquentes, populär-philosophisches Buch, das durchaus den einen oder anderen neuen Denkanstoß vermitteln kann und zwar für alle weltanschaulichen Lager. Hierin liegt auch das große Plus, denn mangels Polemik oder provokanter Formulierungen ist dieses Buch auch für Gläubige aller Couleur - abgesehen von Fanatikern, aber diese haben meist ihre Lektüre schon gefunden - gut lesbar. Niemand sollte sich vor den Kopf gestoßen, niemand beleidigt fühlen können. Es ist aber nicht der große Brückenschlag zwischen eben diesen, denn dazu ist es zu trivial, dass auch Atheisten emotional-geistige Erlebnisse haben bzw. viele Gläubige um der Irrationalität ihres Glaubens (credo, quia absurdum) wissen.

Insofern muss die abschließende Frage offen bleiben, für welchen Leser dieses Buch geeignet scheint. Es definiert einen Atheismus, bleibt dabei aber viel zu sehr an der Oberfläche um hier z.B. eine Leitkultur definieren zu können, es wendet sich mit guten Argumenten gegen den Theismus, ohne jedoch z.B. einen gottesfürchtigen Christen wirklich überzeugen zu können und es ruft schließlich zu einer Spiritualität auf, die sich - wie jede Spiritualität - schlecht in Worte fassen lässt oder so es doch versucht wird, in wenig greifbaren Vorstellungen endet und letztendlich unverstanden bleibt. Wer also das Ambivalente liebt, wer sich für (transzendente) französische Philosophie interessiert oder wem bei Dawkins, Hitchens & Co. die Ehrfurcht vor der menschlichen Gefühls- und/oder Geisteswelt fehlen bzw. zu kurz kommen, der möge einen Blick riskieren.

Oliver Muhr

 

Andrè Comte-Sponville - „Woran glaubt ein Atheist?: Spiritualität ohne Gott" (Gebundene Ausgabe), 224 Seiten, Diogenes Verlag 2008, ISBN-13: 978-3257066586, 19,90 €