„Ethik und Religion - ergänzend/alternativ?"

BERLIN. (hpd) Die Initiative „Pro Reli" hat noch acht Tage Zeit, die bislang fehlenden Unterstützungsstimmen für ein Volksbegehren zu sammeln. Auch die Informationsveranstaltungen finden weiterhin statt. Bericht über die Veranstaltung eines SPD-Kreises in Berlin.

 

Der Kreis Steglitz / Zehlendorf der Berliner SPD hatte am Montagabend in den Bürgersaal des Rathaus Zehlendorf eingeladen: „Ethik und Religion - ergänzend oder alternativ?" Wer gemeint haben könnte, das Thema interessiere inzwischen niemanden mehr, sah sich getäuscht, denn der große Saal war gut besucht. Auf dem Podium saßen Felicitas Tesch, MdA und Mitglied im Koordinierungskreis „Pro Ethik", Christoph Lehmann, Vorsitzender der Initiative „Pro Reli" sowie Peter Kriesel, Bundesvorsitzender des Fachverbandes Ethik, ebenfalls für „Pro Ethik". Die Moderation hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter.

Als Einleitung referierten die Podiumsteilnehmer kurz ihre jeweiligen Auffassungen. Peter Kriesel verwies unter anderem auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Religionsunterricht und zum Ethikunterricht. Der Kern des Religionsunterrichts sei die jeweilige Bekenntnisgebundene Wahrheit, während der Ethikunterricht zu interkultureller Kompetenz und Dialogfähigkeit führe. Ethik nutze dabei die Vielfalt der religiösen und weltanschaulichen Auffassungen innerhalb einer Klasse während die Forderungen von „Pro Reli" diese verschiedenen Auffassungen in bekenntnisgleiche Gruppen trennen würde.

Christoph Lehmann betonte, dass es im gesamten Schulunterricht zwar auch um Werte ginge, der Religionsunterricht aber der einzige Ort sei, wo die Wissensvermittlung zu diesen Werten durch die Lehrer auch authentisch stattfinden würde. Das könne und dürfe der Ethikunterricht nicht, da er zur Neutralität verpflichtet sei. Die Kinder müssten in der Schule erst ihre eigene religiöse Sprachfähigkeit gelernt haben, bevor sie miteinander darüber reden könnten.

Felicitas Tesch bekräftigte, dass eben dies in Berlin bereits geschehe, da drei Viertel aller Grundschüler an einem Religions- oder Weltanschauungsunterricht teilnähmen und erst danach der Vergleich und die Abwägung kämen. Das Wesentliche sei das gemeinsame Fach in einer multi-kulturellen Stadt. Insofern wolle „Pro Reli" einen Wahlzwang einführen und keine Wahlfreiheit. SchülerInnen, die am Ethikunterricht und auch am Religions- und Weltanschauungsunterricht teilnehmen wollten, müssen sich für eines davon entscheiden. Insofern trenne „Pro Reli" die Schüler, während das Fach Ethik verbinde.

Der moderierende Klaus Uwe Benneter, der sich als aktiver Christ bekannte, bemerkte, dass ihn die Frage der Wahrhaftigkeit beschäftige, denn bei „Pro Reli" entstehe sehr leicht der Eindruck, als ginge es in dieser Frage um die großen Themen Freiheit gegen Unfreiheit.

Der „Pro-Reli"-Vorsitzende konnte die meisten Zuhörer jedoch nicht für sich einnehmen, als er die von „Pro Reli" geforderte Wahlfreiheit erläuterte. „Wenn ich in einem Restaurant etwas essen möchte, und es gibt Pommes oder Nudeln als Beilage, dann will ich nicht erst die Pommes essen müssen und darf danach auch noch die Nudeln essen. Ich will die Freiheit haben, eines von beiden auswählen zu können."

Aus der Mitte der Zuhörer meldeten sich primär Ethik- und Religionslehrer zu Wort und so waren zwei Aspekte in ihren Ausführungen zentral. Zum einen die Frage: „Wie sollen die Migranten in Berlin (42 % der SchülerInnen) in einen demokratischen Grundkonsens einbezogen werden?", zum anderen die Darstellung: „Eine Gesellschaft ohne Religion ist eine Gefahr."

Die ZuhörerInnen verhielten sich sehr diszipliniert und am wechselnden Beifall wurde deutlich, dass die große Mehrheit für „Pro Ethik" war, was allerdings bei einer Veranstaltung der SPD zu erwarten war.

Klarstellungen des HVD

Der Landesvorsitzende des Humanistischen Verbandes in Berlin, Bruno Osuch, der sich unter den ZuhörerInnen befand, nutzte die Gelegenheit, um den Vorsitzenden von Pro Reli direkt und öffentlich zu mehr Wahrhaftigkeit aufzufordern. Er wies entschieden sowohl die Darstellungen von „Pro Reli" zurück, dass der Humanistische Verband sich nur aus taktischen Gründen für „Pro Ethik" einsetze, denn die Integration in einer multi-kulturellen Stadt wie Berlin müsse im Mittelpunkt stehen, nicht die Partikularinteressen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Es müsse verhindert werden, dass in der Stadt Parallelgesellschaften entständen. Wenn „Pro Reli" mit der Wahlpflicht durchkäme, dann hätte auch die Islamische Föderation das Recht, einen Unterricht nach ihren eigenen Bekenntnisrichtlinien zu bestimmen und als staatlich sanktionierten Unterricht zu erteilen. Als zweites bezog er sich auf den Slogan der „Wahlfreiheit", mit dem seiner Erachtens „Schindluder betrieben werde", denn jeder, der Religionsunterricht haben wolle, könne ihn bekommen.

Bruno Osuch bekräftigte, dass niemand von „Pro Ethik" gegen Religion oder gegen die Kirche eingestellt sei. Insofern seien die Darstellungen von „Pro Reli" in den vergangenen Tagen, dass der HVD religionsfeindlich sei, schlicht infam. Im Übrigen sei der Lebenskundeunterricht 1985 von der CDU-Senatorin Hanna Renate Laurien eingeführt worden.

Endspurt für „Pro Reli"

Dieser Abend hat vermutlich wenig für die Unterschriftenlisten von „Pro Reli" beigetragen. Die Zeit könnte jedoch für einen Erfolg von „Pro Reli" zu knapp werden.

Am vergangenen Freitag hatte der Landeswahlleiter bekannt gegeben, dass bis zum 8. Januar, also 13 Tage vor dem Ende der Eintragungsfrist, rund 155.000 Unterschriften eingereicht worden seien. Davon seien bislang 75.828 Unterstützungsunterschriften geprüft und 69.328 als gültig anerkannt worden. Etwa weitere 80.000 ungeprüfte Unterschriften lägen derzeit noch in den Bezirkswahlämtern.

Eine genauere Berechnung zeigt, dass der Anteil der ungültigen Stimmen im Zeitverlauf ansteigt. Bis zum 25. November 2008 waren 32.248 Unterschriften geprüft worden, von denen 30.333 gültig waren. Ein Prozentsatz von 5,9 % ungültiger Stimmen. Von den weiteren 43.580 eingereichter Stimmen, die seit Ende November bis zum 9. Januar geprüft wurden, waren 38.996 gültig. d.h. der Anteil der ungültigen Stimmen liegt bei 10,5 %.

Nach Auskunft eines Bezirkswahlamtes ist bekannt, dass gegen Ende der Eintragungsfristen der Anteil der ungültigen Stimmen deutlich ansteige. Der überwiegende Grund seien doppelte oder Mehrfachunterschriften derselben Wahlberechtigten, die entweder vergessen haben, dass sie vor Wochen oder Monaten bereits einmal unterschrieben haben oder die gut meinend eine ihrer Ansicht nach gute Sache mehrfach unterstützen wollen.

Insofern ist ein durchschnittlicher Anteil von 10 % (oder mehr) ungültiger Stimmen anzunehmen, was heißt, dass „Pro Reli" mindestens etwa 190.000 Unterschriften beibringen müsste, um auf der sicheren Seiten von rund 170.000 gültigen Stimmen zu sein. In dieser Hinsicht sind es noch etwa 35.000 Stimmen, die in den letzten 13 Tagen gesammelt und beim Landeswahlleiter abgegeben werden müssen. Ob das gelingt, wird sich am Abend des 21. Januar zeigen.

C.F.