Warum Affen für die Liebe zahlen

(hpd) Mit ironischem Augenzwinkern widmet sich der studierte Biologe Zittlau dem Thema Evolution. Anhand ausgewählter Beispiele will er mit gängigen und weniger offensichtlichen Fehlinterpretationen der Evolutionstheorie aufräumen. Zudem fügt er ihr weitere Überlegungen hinzu, wobei er dem Survival of the Fittest das Survival of the Luckiest gegenüberstellt.

Alles in der Natur habe Vor- und Nachteile. Perfektion gäbe es nicht und sie sei für das Überleben auch nicht unbedingt erforderlich. Die Evolution funktioniere gerade wegen und trotz Pleiten und Pannen. Der Mensch sei keine „Krone der Evolution“. Intelligent Design? – Keine Spur!

Nach „Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen. Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur“ erscheint mit „Warum Affen für die Liebe zahlen. Noch mehr Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur“ die Fortsetzung. Die Darlegungen Zittlaus folgen der entstehungsgeschichtlichen Chronologie, wobei anhand der Tierklassen der Wirbellosen (u.a. Schnecken, Mini-Bär, Mistkäfer), Fische (u.a. Killi, Kardinalbarsch, Guppy), Lurche (u.a. Schreifrosch, Salamander), Reptilien (u.a. Dornenteufel, Komodowaran, Schlangen) und Vögel (u.a. Raben, Fregattvogel) jeweils die Unvollkommenheiten bestimmter Arten diskutiert werden. Verhältnismäßig die meisten Seiten widmet Zittlau danach den Säugetieren (Ziesel, Füchse, Beutelteufel, Hamster u.v.m.). Den Abschluss bildet ein eigener Teil über die Affen und Menschen (Muriqui, Javaneraffen, Schimpansen, Homo sapiens).

Kurzweil stellt Zittau durch Berichte von kulturellen Auffassungen über die jeweiligen Tierarten her. Er greift aber auch auf menschliche Klischees zurück, um diese zu widerlegen: „Lemminge begehen zwar keinen kollektiven Selbstmord, wie wir glauben, doch ihr Leben ist in Anbetracht unendliche vieler Feinde und endlich vieler Nahrungsreservoirs so schwer, dass man verstehen würde, wenn sie Selbstmordgedanken hätten“. Die Quelle dieses populären Irrtums wird gleich mit genannt: Der Disney-Film „White Wilderness“ (1958), in dem Aufnahmen so zusammengeschnitten und kommentiert wurden, als ob Lemminge kollektiven Massenselbstmord begehen würden. Des Weiteren erfahren wir u.a. von Nashörnern dass und warum sie vom Aussterben bedroht sind. Der Tenor des Werkes wird durch zahlreiche nicht aufdringlich ins Karikaturhafte gehende Illustrationen unterstrichen. Um nicht den falschen Eindruck von reiner Unterhaltungsliteratur zu erwecken sei angefügt, dass der Autor noch nicht geklärte Fragen nach dem Warum bestimmter Merkmale oder Verhaltensweisen thematisiert. Er zitiert viele seiner KollegInnen und deren Studien.

Die Entgöttlichung der Natur

Sein Anliegen schildert Zittlau im ersten der beiden Bücher wie folgt: Leonardo da Vinci sei ein demütiger Christ gewesen und habe die Natur, weil er sie für eine göttliche Schöpfung hielt, für vollkommen erachtet. Er habe jedoch zugleich angenommen, dass das menschliche Erkenntnisvermögen von Perfektion weit entfernt wäre: „Wenn wir etwas doch nicht vollkommen finden, dann liegt der Fehler in unserem Verständnisvermögen. Irren ist menschlich doch die Natur ist göttlich und damit makellos.“ Trotz dessen sich der Glaube inzwischen überlebt habe, werde die Natur nach wie vor unkritisch als perfekt gehandelt. Und gerade gegen diese Haltung wendet sich der Autor, indem er „Pleiten und Pannen“ im Bauplan der Natur schildert. Zittlau wirft einen unkonventionellen Blick auf die Evolution, er nimmt eine Akzentverschiebung in der Betrachtung der Evolution vor.

Nobody is perfect

Unter der Überschrift „Irren ist tierisch“ erklärt der Autor sein Vorhaben, Kritik zu üben an den in Schulbüchern und in gängigen Darstellungen der Evolution implizierten Annahmen über die Perfektion der Natur und die Überlegenheit des Menschen. Diese würden die evolutionäre Entwicklung oft auf die Entstehung des Menschen hin ausrichten, als ob andere Gattungen lediglich seine unbedeutenden Vorstufen wären. Die Unterscheidung in niedere und höhere Tierarten lehnt Zittau ab: es sei falsch z.B. Fische lediglich wie eine „Übergangserscheinung auf dem Weg zu weiteren, höheren Lebensarten“ zu behandeln. Mit ca. 30.000 Arten stellen sie die Hälfte der Wirbeltiere – „eine Erfolgsgeschichte“. Die menschliche Anmaßung sei schon in der Bezeichnung als ‚Primaten’ offensichtlich, die der Autor nicht führt. Eine Sonderstellung verweigert Zittlau dem Homo sapiens auch dadurch, dass er ihm kein eigenes Großkapitel widmet, sondern ihn anhand der biologischen Verwandtschaft mit den Menschenaffen zusammen abhandelt. Den Ausdruck ‚wirbellose Tiere’ hält der Autor für „fast schon rassistisch“. Die Wirbelsäule fehle ihnen durchaus nicht.

„Als Gott die Seepferdchen schuf, muss er besoffen gewesen sein“

Für Zittlau überleben Tiere trotz ihrer Macken und nicht weil sie perfekt wären. Sie bilden Organe in einer nicht sinnvollen Weise aus oder legen – nach bisherigem Erkenntnisstand – überflüssiges Verhalten an den Tag bzw. pflegen sogar nachteilige Verhaltensweisen, ohne deswegen auszusterben.

Die Balzrufe der Insektenmännchen locken auch Feinde an, die ihre Beute dank der Rufe zielsicher finden können. Bei der Vermehrung der roten Landkrabbe beispielsweise sterben so viele erwachsene Individuen, dass sich die Frage stelle: „Hätte es keinen leichteren Weg zur Fortpflanzung gegeben?“ Aber da ihr Fressfeind, eine Rattenart, wegen einer Seuche ausgestorben sei, hätten die roten Landkrabben einfach Glück gehabt. Allerdings wurde in ihr Gebiet ein neuer Feind, die Spinnerameise, eingeschleppt, sodass sie vielleicht doch aussterben werden. Überhaupt sei die Fortpflanzung vieler Tierarten so riskant und opferreich, dass sie gerade noch dem Aussterben entgingen, und viele Arten würden verschwinden, sobald sich die Lebensbedingungen geringfügig änderten.

Als einen „Running Gag der Evolution“ bezeichnet Zittlau den Umstand, dass die Prahlerei vieler Männchen diesen das Leben koste. Die Meerechsen sparten hingegen allgemein so sehr an Energie, dass sie von Katzen und Hunden gefressen werden, weil sie nicht weglaufen. Komodowarane würden einen nicht notwendigen Kannibalismus pflegen, egal um wessen Nachwuchs es sich handele. „Das ist eine riskante Panne der Evolution.“ Salamanderweibchen verprügelten ihre Männchen nach dem Fremdgehen, weil sie sie wegen des Geruchs anderer Weibchen für Konkurrentinnen halten. Da aber viele Männchen (Mitversorger) daraufhin verschwinden, wäre es eigentlich vorteilhafter, die Prügel sein zu lassen.

„Aber man kann nicht alles haben, die Evolution ist kein Wunschkonzert.“

Auch Tierarten, die besonders angepasst und erfolgreich erscheinen, haben mit beträchtlichen Hindernissen zu kämpfen. Schlangen seien zwar ausgezeichnete Jäger, aber während sie ein sehr großes Essen runterschluckten und auch danach, seien sie unbeweglich und wehrlos. Das würden Hyänen nutzen, die dann die Schlange und das von ihr gefressene Tier im Doppelpack verspeisen. Verschlingen die Schlangen eine besonders große Beute, dehnen sich ihre inneren Organe aus und auch das Herz müsse sich wegen eines erhöhten Sauerstoffbedarfs weiten und enorme Arbeit leisten. Viele Schlangen würden nach der Mahlzeit daher einfach am Herzinfarkt sterben. Zwar erreiche der Wärmesinn der Schlangen eine für Menschen unvorstellbare Präzision, die mit einer Genauigkeit im zweistelligen Kommabreich brilliere. Trotzdem werden die Schlangen von Erdhörnchen ausgetrickst. Diese könnten erkennen, mit welcher Schlangenart sie es zu tun hätten und erzeugten durch das Schlagen mit ihrem Schwanz Wärme, sodass sie der Schlange größer und gefährlicher vorkämen. Bei Schlangen ohne Wärmewahrnehmung warnen die Erdhörnchen aber ihre Artgenossen. Selbstverständlich stehen Schlangen mit solchen Ambivalenzen nicht allein da: Der Winterschlaf beschere dem Ziesel fortgeschrittene Demenz und Amnesie, während er ihnen zugleich das Überleben erst ermögliche.

Nach Zurkenntnisnahme der zahlreichen „Fehlgriffe der Natur“ gewinnt die kreationistische Behauptung eines „intelligent design“ eine völlig neue Dimension der Absurdität.

„Die Evolution stellt nicht immer sinnvolle Dinge an“

Nicht nur Menschen, auch Tiere seien Gourmets. Nur des Geschmacks wegen nehmen Ratten unnötige Risiken und Strapazen auf sich. Hyänen an der Küste Namibias würden Robbenbabys nur töten, um deren Gehirne zu fressen. Schwertwale an der Monterey Bay würden Grauwalbabys töten und nur deren Zungen verspeisen. Davon hätten sie keine Vorteile. Sie pflegten einfach auch einen Hedonismus. Ähnlich verhalte es sich mit dem „Drogenkonsum“ von Affen.

Was bedeutet diese Perspektive für Menschen?

Der Begriff „Primaten“ bedeute „Herrentiere“, was Zittlau für eine Selbstüberschätzung erachtet, die suggeriere, dass der Mensch die „Spitze der Evolutionshierarchie“ bilde. Dem hält er entgegen, dass sich die Intelligenz der Spezies Mensch deshalb entwickeln musste, weil die Vorfahren der Menschen, als sie die Bäume verließen, allen vierbeinigen Räubern unterlegen waren. Wäre die Intelligenz nicht als Antwort auf diesen Nachteil entstanden, gäbe es keine Menschen. Ob sie ein sinnvolles Rüstzeug darstellt, lasse sich noch gar nicht beurteilen, da es sich bei ihr um ein evolutionsgeschichtlich junges Modell handele. Auch seien die Zerstörungen, die durch die Menschen verursacht werden, ein großes Risiko für die Erde insgesamt.

Im letzten Kapitel mutmaßt der Autor – er behauptet aber nicht – dass die Kultur als Kompensation von Pleiten und Pannen entstanden sein könnte. Dabei bezieht er sich auf Johann Gottfried Herder, der den Menschen für ein „Mängelwesen“ erklärte, das sich wegen der Härten der Natur eine „zweite Natur“ geschaffen habe. Von dieser Überlegung ausgehend meint Zittlau, dass die gesellschaftliche Entwicklung evolutionären Regeln nicht unterliege, wie er in „Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen. Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur“ erläuterte. Kulturelle Phänomene bezeichnete er dort als „bionegativ […]“ und prangerte die Übertragung von evolutionären Prinzipien auf menschliche Gesellschaften als Sozialdarwinismus an.

Die Akzentverschiebung auf Pleiten und Pannen empfindet der Autor als tröstlich, da sie es ermögliche, „die zahlreichen Fehler und Irrtümer als notwendige Etappen des Fortschritts [zu] interpretieren“. Dogmatisch will Zittlau nicht verstanden werden: alles gelte, bis es wiederlegt werde und der Blinddarm habe doch einen Sinn – auch wenn er zugleich ein Risiko darstellt…

Fazit

Besonders empfohlen werden kann das Buch allen, die an einer unterhaltsamen und spannenden Lektüre über die Unvollkommenheit von tierlichen und menschlichen Lebewesen ihre Freude hätten – die angeführten Beispiele bilden lediglich einen Bruchteil aller Schilderungen. Zum genussvollen Lesen ist weiter die Bereitschaft erforderlich, sich nicht von der Entthronung des Homo sapiens stören zu lassen sowie sich von der Annahme der Perfektion in der Natur zu verabschieden. Aber auch wer Zittlaus Überlegungen zur kulturellen Entwicklung nicht teilt, dürfte sich amüsieren und viel Neues erfahren, weil es dem Biologen hauptsächlich um biologische Phänomene und nicht um Kultur geht.


Katharina Eichler

Jörg Zittlau, Warum Affen für die Liebe zahlen. Noch mehr Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur, Berlin 2009 (Ullstein Buchverlage GmbH), 199 S., 7,95 €