Sind Freidenker eine Religionsgemeinschaft?

MenschenGehend_1.jpg

Menschen, gehend / Foto © Evelin Frerk

WIEN. (fdbö/hpd) Immer wieder werden Freidenker mit der Vorstellung konfrontiert eine Ersatzreligion zu bieten und eine Religionsgemeinschaft zu sein. Die Giordano Bruno Stiftung wurde sogar als Sekte bezeichnet.

Betrachtungen zur Situation in Österreich von Ronald Bilik.

Eine Definition der Freidenker im Sinne einer Religionsgemeinschaft wäre in der Tat mit vielen Vorteilen verbunden. Als Religionsgemeinschaft hätten wir z. B den gesetzlichen gesicherten Anspruch auf den Schutz unserer religiösen Gefühle. Wir könnten uns also auf den §188 StGB berufen, der die Herabwürdigung religiöser Lehren verbietet. Somit wäre auch die Möglichkeit gegeben, gegen jede Religion rechtlich vorzugehen, die uns Atheisten direkt herabwürdigt. So etwa bezeichnete der Papst bei seiner Tschechien Reise die Atheisten als die Ursache des Übels. Aber auch indirekte Herabwürdigungen könnten gerichtlich belangt werden. Angesichts der Tatsache, dass uns Freidenkern die Vernunft wichtig ist, und diese von den Religionen sowohl durch deren Grundlagen als auch durch die aktuellen Äußerungen ihrer Vertreter permanent beleidigt wird, würde sich hier ein weites und lukratives juristisches Betätigungsfeld bieten. Da sogar eine apokalyptische Sekte wie die Zeugen Jehovas den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft verliehen bekam, erscheint eine derartige Gleichstellung für den Freidenkerbund als durchaus realistisches Ziel. Leider sind die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Freidenkerbund und den Religionsgemeinschaften zu erheblich, um eine derartige Deklaration ernsthaft ins Auge fassen zu können.

Uns fehlen die heiligen Bücher und die damit darin geforderten moralischen Werte. Die Arbeiten von Richard Dawkins sind keine heiligen Offenbarungen, die unwidersprochen akzeptiert werden müssen. Wir berufen uns bei den ethischen Werten auf die Deklaration der Menschenrechte, im Unterschied zu den Religionen gehen wir mit unserer „Heiligen Schrift“ allerdings soweit konform, dass wir nicht permanent Aussagen treffen müssen wie etwa: „ Das ist doch nicht wörtlich gemeint!“ oder „Diese Passage muss man neu interpretieren!“

Ein weiteres Manko ist die Nichtexistenz einer diskriminierten Randgruppe. Die Freidenker hetzen nicht gegen Homosexuelle und Ungläubige. Da wir keine Angst vor Frauen haben ist uns ferner auch die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts fremd. Kein Freidenker vertritt die etwa - wie z.B. Paulus - die These, dass Frauen zu schweigen hätten. Ebenso wenig wird von uns die Forderung nach einer partiellen oder totalen Verhüllung der Frauen erhoben. Im Unterschied zu den Vertretern diverser religiöser Gemeinschaften sind die männlichen Freidenker der hormonellen Herausforderung, die eine unverhüllte Frau für viele Gläubige darstellt, durchaus gewachsen. Während die monotheistischen Religionen ihre Konkurrenten oft auch physisch vernichten wollen, distanzieren sich die Freidenker von der Gewalt. Freidenker verstehen sich als Aufklärer und Säkularisten, die vor den Gefahren der Religionen warnen. Wir wissen, dass die Religionen auch über einen gewissen Unterhaltungswert verfügen und daher auch eine kulturelle Bereicherung darstellen. Eine völlige Vernichtung derselben liegt uns also ferne. Um bei der Diskriminierung der Schwachen zu bleiben: Auch im Verhältnis zu Kindern gibt es erhebliche Differenzen. Die Freidenker haben keinerlei pädophile Tradition vorzuweisen. Das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit wird auch Kindern zuerkannt. Wir lehnen daher mit aller Entschiedenheit die Beschneidung von Säuglingen und die Genitalverstümmelung von minderjährigen Mädchen ab. Auch erscheint es uns als eine überflüssige Tierquälerei, wenn dem Schlachtvieh ohne Betäubung die Kehle durchgeschnitten wird um es langsam auszubluten zu lassen.

Unterschiede sind auch im Verhältnis zu Nationalsozialismus zu verzeichnen. Während der Freidenkerbund damals eine verbotene Organisation war, konnte die Kirche mit dem Führer Konkordate abschließen, die dieser Institution bis zum heutigen Tag Privilegien einräumen. Im Gegensatz zu den Muslimen, die mit eigenen SS - Einheiten, welche unter dem besonderen Schutz Heinrich Himmlers standen, aktiv für die Interessen der Nazis arbeiteten, war so mancher Freidenker zur KZ - spezifischen Passivität verurteilt.

Dem Freidenkertum fehlen ferner die Tröstungen und Drohungen des Jenseits. Ein Ergebnis dieses Umstandes ist die geringe Motivation der Freidenker sich für Heilige Kriege oder Selbstmordattentate zu engagieren. Es macht einfach mehr Sinn in einen gottgewollten Krieg zu ziehen, wenn man in der Gewissheit lebt, dass der furchtlose Gotteskrieger auf der anderen Seite schon sehnsüchtig von einer (bzw. 72) heiligen Jungfrau(en) erwartet wird.

Ein weiteres Defizit stellt das Fehlen von Ritualen und Fetischen dar. Freidenker veranstalten keine Versammlungen, in denen die Mitglieder mit Gesängen und Gebeten in Trance versetzt und manipuliert werden. Wir betreiben keinerlei Personenkult und verehren auch keine antiken Hinrichtungsinstrumente. Auch die klassischen Unterwerfungsrituale wie das Einhalten von Speisevorschriften oder das mehrmalige tägliche Beten wird man vergeblich suchen.

Dieser kurze Überblick zeigt die unüberwindbaren Gegensätze zwischen Freidenkertum und Religion. Den moralischen und göttlich sanktionierten Werten der Religionen haben wir in der Tat nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Angesichts der bald anbrechenden Weihnachtszeit sei abschließend noch auf das unterschiedliche Reiseverhalten eingegangen. Wenn ein Freidenker ein Flugzeug benutzt, dann besteigt er dieses, wie jeder andere Mensch auch, an einem Flughafen A. Sein Ziel dabei ist allerdings auf einem Flughafen B zu landen und nicht in einem Wolkenkratzer.