MASTERSHAUSEN (hpd) Das im Titel angekündigte unmoralische Angebot unterbreitete der Philosoph Michael Schmidt-Salomon in seinem ersten Vortrag bei der Giordano-Bruno-Stiftung. Er referierte souverän, anregend und amüsant über sein neues Buch: Jenseits von Gut und Böse.
Vor einem voll besetzten Forum begann der GBS-Sprecher seine Ausführungen mit dem Sündenfallmythos, den er als „Mutter allen Übels“ vorstellte. Er selbst habe sich als Kind über Eva geärgert, die vom Baum der Erkenntnis gespeist und damit der Menschheit die Erbsünde eingebracht habe. Später sei ihm jedoch klar geworden, dass diese „Erbsünde“ de facto in einem „Obstraub beziehungsweise in der unzulässigen Inanspruchnahme eines Bildungsangebots“ bestanden habe.
Das „Sündenfallsyndrom“ stellt, so Schmidt-Salomon, eine spezifische Normierung des Denkens, Handelns und Empfindens des biblischen Konzepts von Schuld und Sühne dar. Dieses Konzept basiertauf zwei Axiomen:
- Menschen verfügten angeblich über eine Freiheit des Willens, woraus geschlossen werde, sie verfügten zu einem gegebenen Zeitpunkt, in einer gegebenen Situation über alternative Möglichkeiten und hätten sich anders entscheiden können als sie es taten.
- Gut und Böse existierten als absolute moralische Kategorien, die religiös interpretiert würden als Gott vs. Teufel oder als über den Dingen schwebende philosophische Ideen, wie „das Gute als sich“ vs. „das Böse an sich“.
Die Folgen dieses Konzepts bestehen darin, dass Menschen im moralischen Sinne Verantwortung dafür zugesprochen werde, sich für „das Gute“ oder „das Böse“ frei entscheiden zu können. Darüber hinaus führe das Konzept zu einem moralischen Schuld-, Sühne- und Sündenprinzip. Insgesamt sei eine andere Herangehensweise für die meisten Menschen schwer vorstellbar, seien sie doch über Jahrhunderte hinweg entsprechend programmiert worden.
Die Erlösung von dem Bösen
An dieser Stelle kann eine alternative Sichtweise jedoch frei Haus genau das erbringen, was Gläubige betend erflehen: Die Erlösung von dem Bösen. Die alternative Sichtweise besteht, so Schmidt-Salomon, im Abschied von Gut und Böse. Denn auch politisch werde diese Zuschreibung genutzt, so z. B. von George W. Bush, der „das Böse“ in seine „Achse des Bösen“ einbrachte, und diese definierte als eine unabhängige Macht mit einer realen, eigenständigen Existenz. Das Böse als Wahnidee. Darin wird ein universeller Zusammenhang eines satanisch „Bösen“ unterstellt, ein im Übrigen hervorragender Nährboden für Verschwörungstheorien.
Eine Trennlinie ziehen zu können zwischen dem „so genannten Bösen“ in der Natur und dem „wirklich Bösen“ beim Menschen, wie ihn beispielsweise Konrad Lorenz postulierte, ist, so der Redner, illusionär. Stattdessen besteht die Grundlage aller Übel (und aller Freuden) im Prinzip Eigennutz und das Böse ist bloß eine Fiktion. Gut und Böse sind banale, substanzlose Begriffe, die immer wieder dazu dienten, Menschengruppen gegeneinander aufzuhetzen. Das Gut-und-Böse-Konzept war ebenso wichtig für die Erfindung der Kriegskunst wie Pfeil und Bogen. Stets sind es die anderen, die als böse definiert werden: Sie werden mit dieser Methode dehumanisiert. Am Beispiel der Nazis zeigt Schmidt-Salomon auf, dass diese die Juden mithilfe des "Böse“-Konzepts aktiv entmenschlichten, um sie besser foltern und töten zu können.