„Leichen-Pauschale“ und Bestatterkonkurrenz

BERLIN. Wem die Leiche gehört, der hat auch für ihre gekühlte Lagerung zu blechen. Aber wer trägt die Kosten? Darüber ist jetzt

– vom Berliner Krankenhauskonzern „Vivantes“ angezettelt – ein Streit ausgebrochen, bei dem es um viel Geld geht, um eine „Lagergebühr“. Der <Rundfunk Berlin-Brandenburg> zitiert eine Meldung des Berliner „Tagesspiegel“ vom gestrigen Samstag (s.u.) so: „Jetzt lägen die Verstorbenen im Einzelfall bis zu 20 Tage in der Klinik. Offenbar wälzten Bestatter die Kosten für Kühlräume auf die Kliniken ab ... eine Lagergebühr zwischen zehn und 20 Euro pro Tag“ sei für „Vivantes“ realistisch.

Das Wort Lagergebühr kommt im „Tagesspiegel“-Artikel gar nicht vor, bringt das Problem aber auf den Kern. Der Berliner Kurier spricht heute gar von einer <„Leichen-Pauschale“>. Rechnet man nun hoch, dass jährlich über 800.000 Menschen sterben, davon ca. die Hälfte in <Krankenhäusern>, so ergibt dies etwa 400.000 Verstorbene und (die obigen Kosten von 10 bis 20 € zugrunde gelegt und drei „Lagerungstage“ veranschlagt) 12 bis 24 Millionen € – eine zu große Stange Geld, um sie einfach unbeachtet zu lassen. Und wohlgemerkt: Kosten, die anfallen; und möglicher Ersatz durch diejenigen, denen der Leichnam zu diesem Zeitpunkt „gehört“.


Seit dem Ende der Leibeigenschaft (Achtung: in diesem Jahr 200. Jahrestag in Preußen!) und dem der Sklaverei sowieso „gehört“ kein Mensch einem anderen, daran ändert kein Liebesschwur etwas („Ich will Dir ewig gehören!“) und keine Betreuungs- und Vorsorgevollmacht. Auch ein Leichnam kann niemandem „gehören“. Es gibt aber Menschen (im Extremfall Behörden) und Gesetze, die dafür zuständig sind bzw. regeln, wie mit ihm umzugehen ist.

Unstreitig ist der Nicht-Personen-Charakter des Leichnams. Nach dem Tod einer Person geht deren gesamtes Vermögen „von selbst“ unmittelbar auf den oder die Erben über (§ 1942 BGB). Sozusagen im Gegengeschäft fallen auf den Erben alle vom Erblasser herrührenden sowie die nun entstehenden Verbindlichkeiten, darunter auch die Beerdigungskosten (§ 1968 BGB), wobei über Bestattungsart und Grabstätte die nächsten Angehörigen entscheiden. Kommt es darüber zum Streit, entscheiden die Gerichte. Für unseren Fall heißt dies, dass jemand den Leichnam lagern und letztlich die Lagerkosten tragen muss – gewöhnlich ein Bestattungsunternehmen.


Ist die Person im Krankhaus verstorben, wird sich dieses (jedenfalls bis heute) schnellstmöglich darum bemühen, über die nächsten Angehörigen ein Bestattungsunternehmen dafür zu gewinnen. Wichtig für unseren Zusammenhang ist, dass es in Berlin den Versuch eines Großbestatters gegeben haben soll, mit „Vivantes“ diesbezüglich ins Geschäft zu kommen. Dagegen veröffentlichte der „Verband Deutscher Bestattungsunternehmen“ (VDB) am 2. Januar d.J. eine <Erklärung>, die mit Datum 18.12.06 auch auf der eigenen Homepage des VDB steht, in der es u.a. heißt: „Der Vorsitzende der Vivantes-Geschäftsführung, Holger Strehlau-Schwoll, äußerte sich beim Krankenhaustag im November 2006 in Düsseldorf öffentlich zum Kooperationsangebot ’eines großen Berliner Bestattungsunternehmens’. Ein großes Bestattungsunternehmen wäre bereit, für jeden verstorbenen Patienten, den Vivantes zur Bestattung an das Unternehmen vermittelt, Geld zu zahlen. Brisant für das ’große Berliner Bestattungsunternehmen’ ist nur, dass die oberste Geschäftsleitung von Vivantes dies offen benannt und strikt abgelehnt hat. Der VDB begrüßt die klare, ablehnende Haltung von Vivantes, zumal bekannt ist, dass andere Krankenhäuser, Kliniken und Pflegeeinrichtungen sich nicht so verhalten.“ Unterzeichnet ist diese Erklärung vom Vorsitzenden Dr. Rolf-Peter Lange, bis vor kurzem Pressesprecher von „AHORN Grieneisen“ in Berlin. Halten wir fest: Es gehen Gebote ein und es besteht ein Begehr. Dazu unten noch mehr.


Zwischen dem eingetretenen Tod eines Menschen in einem Krankenhaus (und nur um diesen Spezialfall des Ortes geht es hier) und seiner Bestattung bzw. Kremation vergehen mindestens einige Tage, ausnahmsweise sogar Wochen. Zwischenzeitlich ist die Leiche angemessen zu lagern, d.h. gekennzeichnet, individualisiert und vor allem gleichmäßig gekühlt (nicht unter null, möglichst nicht über vier Grad) zu verwahren. Das alles kostet Energie und Personal.

Kam bis zum Eintritt des Todes die Privat- oder Ersatzkasse für die Krankenhauskosten auf (plus Eigenanteil), sind nun die Kassen nicht mehr zuständig und auch der Zahler des Eigenanteils ist keine Rechtsperson mehr, die zahlungspflichtig ist. Den Folgevorgang – also die fachgerechte, gesetzlich vorgeschriebene wie kulturell und religiös übliche oder gewünschte Ent- und Besorgung der Leiche übernimmt ein Bestattungsunternehmen.

Daraus wachsen nun neuerdings einige Probleme in unserer immer mehr betriebswirtschaftlich sich orientierenden und auch auf diesem Feld arbeitsteilig wirkenden Industrie, der, wenn man so will, Pietätsausübungs- und -verwaltungswirtschaft.

Noch Ende 2005 wurde hier kein Problem gesehen, so Karin Lamsfuß im <Deutschlandfunk>: „Bei der Versorgung des Leichnams ist für den Bestatter unter hygienischen Gesichtspunkten erst mal keine Eile geboten. Denn in Großstädten sterben 75 Prozent aller Menschen in Einrichtungen, die über entsprechende Kühlhäuser verfügen: Altenheime, Krankenhäuser, Hospize.“

Eine hier ab jetzt und heute zu bedenkende Frage ist die, wann so ein Betrieb den oder die Verstorbene tatsächlich übernimmt? Gelingt es ihm, den Leichnam lange im Krankenhaus und möglichst viele Kosten dort zu belassen oder fallen die Kosten auf ihn? Wenn sie auf ihn fallen, muss er sie an den Kunden weiter reichen, was die Bestattungskosten noch mehr in die Höhe treibt.

Wer sich durch die Friedhofsordnungen klickt, erkennt schnell, um welche Summen es sich hier handelt. In <Lüchow-Dannenberg> z.B. kostet die Aufbewahrung einer Leiche im Kühlraum „ohne Kühlung“ 31,00 €, mit zusätzlicher Kühlung einen Aufschlag von 11,00 €, alles pro Tag. Das will umgelegt sein – und lässt Krankenhausbetreiber fragen, warum sie dies tragen sollen, wo sie doch für den Tod der Person selbst (gewöhnlich) nicht verantwortlich sind.

Ein Blick in diese Friedhofsordnungen zeigt zudem, wie niedrig diese Kosten in Deutschland gegenüber z.B. denen in der Schweiz noch berechnet werden. <Reinach> in der Schweiz nimmt 200 Franken täglich von Einheimischen ab dem 4. Tag; für Fremde ab dem ersten Tag 100, dann auch 200. Regionen mit einer großen Krankenhausdichte oder mit Berechnungen, dass in ihren Gegenden viele nicht hier Wohnhafte sterben, werden schnell – steht zu vermuten – an ihr Stadt- oder Gemeindesäckel denken.


Hier setzt eine weitere Frage ein: Hat das Bestattungsunternehmen überhaupt eine eigene Kühlanlage? Es gibt zwar ca. 4.000 Bestattungsunternehmen in Deutschland, aber bereits zehn Prozent aller Bestattungen liegen in den Händen des einen großen Anbieters „AHORN Grieneisen“. Dieser „Konzern“ ist an 220 Standorten aktiv und hat 1.500 Beschäftigte. Überhaupt schreitet der Konzentrationsprozess voran – „Der Tagesspiegel“ sprach bereits 1999 in einer Analyse vom <„Krieg der Bestatter“> – und nur die Großen werden eigene Kühlhäuser haben. In der nun wahrscheinlich beginnenden Schlacht um Kühlhauskapazitäten werden die Großen sicher weiter die Nase vorn haben.

Das Berliner landeseigene Krankenhaus „Vivantes“ hat sie eröffnet, ein geldklammes Land im Rücken, über sich das Damoklesschwert der Gesundheitskostensenkung, vor sich die Bestatter uneins zerfallen in ganz private, Innungs-Bestatter und Industrie- und Handelskammer-Bestatter. Auf der offenen und spannenden Internetplattform „Bestatter-Info“ mit dem passenden Untertitel „Der Tod in Deutschland in Realität und Rechtsordnung“ steht am 29. Dezember 2006 zu dem Vorgang <von einem „Gast“ zu lesen>: „Logischerweise kommen die Bestatterkollegen hier im Forum zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem ’großen Bestatter aus Berlin’ um Ahorn-Grieneisen handelt. Ein Bestatterkollege klärt uns auf, dass der Vorsitzende des VDB, Herr Dr. Lange, gerade als langjähriger Mitarbeiter bei Ahorn-Grieneisen ´rausgeflogen ist und nun beim Wettbewerber Otto Berg in Berlin arbeitet. Gibt es da etwa einen Zusammenhang zu dem blauen Weihnachts-Wunder?“


Das ist aber nur Begleitmusik. Das Verdienst, das tatsächliche Problem gestern an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, gebührt dem „Tagesspiegel“-Redakteur <Ingo Bach>. Er informiert über die eigentliche Strategie von „Vivantes“, dass nämlich die Ideen bereits über den Kühlkostenersatz hinausreichen: „Derweil gehen die Gedanken der Vivantes-Führung über die Gebühren für die Kühlraumnutzung schon hinaus. ’Wir müssen darüber reden, wann der von den Krankenkassen bezahlte Versorgungsauftrag eines Krankenhauses aufhört’, sagt Strehlau-Schwoll. Einige Kliniken kassieren nämlich schon jetzt auch für die Ausstellung des Totenscheins. Und die Herrichtung eines Verstorbenen für die Beerdigung, wie sie die Sektionsassistenten in der Pathologie bisher vornehmen, sei eigentlich auch schon eine Zuarbeit für die Bestatter – und sollte entsprechend auch bezahlt werden.“ Das Krankenhaus als Versorger über den Tod des Patienten hinaus mit dem Bedürfnis einer längeren Verweildauer im Kühlhaus bis zur Erledigung aller Formalitäten für die Hinterbliebenen. Warum nicht gleich als Bestatter? Was eigentlich spricht dagegen?


Halten wir fest: Die Katze ist aus dem Sack und die Krankenhäuser werden wohl vor ihre Kühlhäuser demnächst Gebühreneintreiber postieren. Die rentieren sich auf die Dauer. Und die Moral von der Geschicht’? Politökonomisch ausgedrückt, erobert sich das Kapitalverhältnis ein neues Operationsfeld. Das befördert historisch bewiesen die Säkularität, nicht nur, weil es Gläubige und Ungläubige gleichermaßen berührt, die sich dann ihren Reim drauf machen, sondern weil dem Sterben und dem Tod erneut ein Stück Mystik genommen wird: Es geht sachlich zu auf Erden, besonders bei allem, was sich rechnet.


Fritz Kummer