Podiumsdiskussion "Religion und Kritik"

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v.l.n.r. Holtbernd, Deterding, Moderator Meyer, Topcuk / Foto: Constanze Cremer

OBERHAUSEN. (hpd) Am vergangenen Freitag fand im Rahmen der Ralf König-Ausstellung "Eros der Nasen" in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen eine Podiumsdiskussion statt. Eigentlich sollte man meinen, dass man, mittlerweile Diskussionen dieser Art gewöhnt, insoweit nicht viel Neues und Spannendes mehr erleben würde; aber der kurzweilige Abend bot überraschenderweise doch noch nie Dagewesenes.

Podiumsgäste waren Thomas Holtbernd (Katholischer Theologe und Psychologe), Joachim Deterding (Superintendent der ev. Kirche Oberhausen), Ali Topcuk (Bildungs- und Dialogreferent der DITIB, Duisburg Merkez Moschee) Michael Schmidt-Salomon (Giordano Bruno Stiftung). Die Moderation hatte der WDR-Reporter Wolfgang Meyer.

Zunächst einmal fehlte überraschenderweise der sonst ja fast schon obligatorische "Unsympath" in der Runde: Man erlebte einen stets sanft und leicht irritiert lächelnden Moslem, der einem – offensichtlich von der Situation überfordert – schon fast ein wenig leid tat, einen emotionaleren und engagierteren Michael Schmidt-Salomon als üblich, mit Argumenten, die man noch nicht (oder zumindest noch nicht so oft) gehört hatte, einen beohrringten und höchst entspannten Superintendenten, der ein Extrem an "Weichgespültheit" darbot, sowie einen Katholiken, dem, Letzterem darin nach Kräften nacheifernd und ihn tatsächlich sogar übertreffend, niemals sein überlegenes Dauer-Lächeln verging; und das, trotz harter Angriffe seitens Schmidt-Salomons und des Publikums und des Appells vom – in der ersten Zuschauerreihe sitzenden – Mit-Diskutanten Ralf König, die Sache endlich einmal ernst zu nehmen, denn sie sei leider bitterernst. Es ginge um das Recht auf freie Meinungsäußerung, ohne bedroht zu werden. Er selbst wolle mit seinen Werken nicht verletzen, sondern provozieren.

Dieser Aufforderung zu mehr Ernsthaftigkeit wurde jedoch allgemein nicht nachgekommen, so dass die fröhliche Plauderrunde – lediglich durch die von Schmidt-Salomon und Publikum mit Verve vorgetragenen aber an der lächelnden Gegenseite abprallenden Argumente unterbrochen – nie ihre naive Leichtigkeit verlor: perfekt passend zur fröhlich-bunten Kulisse, auf der ein dickes Pärchen völlig unbehelligt und konsequenzenlos, "sündigte": nicht nur einen verbotenen Apfel essend, sondern einen ganzen Haufen davon – ein echter Ralf König: nackig-zufrieden.

Der Katholik Holtbernd blieb jedoch angezogen, als er – Vatikan und Meisner in sicherer Entfernung wissend (er selbst steht nicht im Dienst der Kirche, sondern verdient als Leiter von Humor-Seminaren seine Brötchen) – ebenfalls voller Wonne "sündigte": breit lächelnd genau das tat, was einem seiner Zunft normalerweise so absolut verboten ist, nämlich die katholischen Institutionen nicht ernst zu nehmen – und dabei seinem evangelischen Kollegen in Sachen „Weichgezeichnetheit“ und Unangreifbarkeit sogar tatsächlich den Rang ablief.

So konstatierte er, dass man Meisner in der „Entartete Kunst“-Sache nicht ernst nehmen könne, denn er habe kein gewachsenes Kunstverständnis; man solle aber auch nicht so streng mit ihm sein, der Arme sei nun einmal in einer Diktatur aufgewachsen – jemand aus dem übervollen Saal korrigierte ihn: "In zweien!"

Zudem stellte er fest, dass gemäß der Bibel Wahrheit gleichbedeutend sei mit der Treue zu Gott, also nicht verbunden sei mit Richtigkeit. (Ein Argument der Gegenseite, sollte man meinen - aber es ging sofort weiter...) Die Aufklärung sei gescheitert, auch Sloterdijk sage, dass der Mensch nach der Aufklärung nicht vernünftig geworden sei. Die Katholiken verträten eine doppelbödige Moral, erst sündigten sie, um dann beichten zu können, eine Art Borderline-Symptomatik. Und niemand glaube mehr an die Jungfrauengeburt, die Gläubigen seien so gut, dass sie die Schriften immer wieder neu interpretieren könnten, so wie sie es gerne hätten. Da blieb Schmidt-Salomon nichts weiter übrig - als ihm voll zuzustimmen...

Sein evangelischer Kollege Deterding erklärte, er wisse wohl, dass die Bibel von Menschen erdacht sei, aber trotzdem sei sie ihm "heilig". Auf die Frage hin, was das denn sein solle, führte er aus, sie sei für ihn persönlich „besonders herausgehoben“. Von Ralf König auf das Thema Homosexualität gebracht, sagte er, in seinem Glauben sei diese zwar als schlecht angesehen, der homosexuelle Mensch selbst aber nicht, und in seiner Kirche würden diese Paare gesegnet.

Der Moslem Topcuk hätte von seiner Weltanschauung her als einziger Angriffsfläche für ein tatsächliches Streitgespräch bieten können. Zu Beginn sah es auch noch ganz danach aus, als er, im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit, höchst provokant behauptete, dass die „Meinungsfreiheit eines Menschen dort aufhöre, wo die Meinung eines anderen anfinge“.

 

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Foto: Fiona Lorenz
Schmidt-Salomon protestierte natürlich laut: dass wir zum Glück in einer Streitkultur der Aufklärung leben und es in der Welt leider so viel Stagnation gebe, weil eine falsche Vorstellung von Respekt herrsche, nämlich nicht richtigerweise der vor Personen, sondern vor Meinungen.

Er führte aus, dass eigentlich die Atheisten die einzigen seien, die das Bilderverbot ernst nähmen – sie würden nichts über Gott sagen, wenn nicht andere bestimmte Vorstellungen davon hätten.

Es sei nicht einzusehen, warum Gläubige über andere fantasieren dürften, das umgekehrt aber nicht ginge (z.B. Salman Rushdi). Er selbst bekomme seit 15 Jahren Morddrohungen, Religionsführer nicht. Skandalös sei der Kommentar der Süddeutschen Zeitung zum kürzlich statt gefundenen Anschlag auf den dänischen Karikaturisten, dass dieser ja selber schuld gewesen sei. Als ob das Recht auf Kritik nicht die wesentliche Voraussetzung für eine offene Gesellschaft sei! Muhammad Kalisch habe in einem wunderbaren Aufsatz geschrieben, dass Respekt bedeute, den anderen nicht zu behandeln wie ein kleines Kind. – Woraufhin er von "Ditib und Co.“ gleich abgesetzt worden sei.

Doch nach diesem ersten Streitthema ließ Topcuk sehr nach, sagte prinzipiell nur dann etwas, wenn er gefragt wurde und antwortete dann stets, wie auf Knopfdruck, mit einer – mehr oder weniger passenden – Koran-Sure, einer von denen, die er sich für den Abend wohl unbedingt vorzutragen vorgenommen hatte.

Als eine Sure einmal ganz eindeutig nicht passte und die Frage an ihn (Woher kommt der Mensch?), daher noch einmal klar und dezidiert wiederholt wurde, ließ er durchblicken, wie sehr er sein "Sapere non aude!" verinnerlicht hatte und sagte sinngemäß, er wisse die passende Sure im Moment nicht, sie stehe aber sicher in seinem Buch, dort stehe es, was er glaube. Sein Schluss-Statement lautete dann noch, dass der Islam mit Terroristen nichts zu tun habe und dass Terroristen keine Menschen seien.

Und trotzdem ist der Diskussions-Abend als Erfolg zu werten, denn Schmidt-Salomon brachte das Phänomen der beiden Theologen auf den Punkt: Sie seien eigentlich clevere und aufgeklärte Burschen, müssten aber leider so tun als ob, und fast nur durch ihre antiquierte Sprache würden sie sich vom aufgeklärten Humanisten unterscheiden...

Und da die Mehrheit des sehr aktiven, fast geradezu aggressiven Publikums sich nicht täuschen ließ: gab es für die Theologen keine positiven Statements bzw. Fragen.

Ein Zuschauer sagte, er sei noch Christ, aber ihn überzeuge das Ganze immer weniger. Und auch dieser Abend hätte sehr dazu beigetragen.

Schmidt-Salomon erklärte in seinem Schluss-Statement, wir bräuchten für unsere Gesellschaft ein aufklärerisches Verständnis der alten Schriften. Leider werde im öffentlichen Diskurs dazu ständig übersehen, dass auch z.B. Zwangsverschleierung Terror sei. Und die einzig richtige Reaktion auf den Karikaturenstreit sei: "Mehr Mohammed-Karikaturen! Bis auch der letzte Moslem mitkriegt, dass man nicht stirbt, wenn man eine Karikatur sieht!"

Constanze Cremer