CODEX ATHEOS - Die Kraft des Atheismus

Nach dem Studium der Theologie war Dr. Paul Schulz als Pastor von St. Jacobi in Hamburg sehr bekannt und als „Ketzerpastor" erlangte er

eine gewisse Berühmtheit in seiner Vaterstadt. Es gelang ihm, mit seinen „weltlichen Predigten" sehr viele Menschen anzusprechen und seine Kirche war stets gut besucht. In einem Interview mit der Zeitung „Die Welt" in den 1970er-Jahren, in dem er sagte, dass „es Gott so nicht gäbe, wie es die Bibel und die Kirche verkündigen würden", erregte er das Missfallen der evangelischen Kirche. In einem Kirchenprozess, der 1979 begann und vier Jahre dauerte, wurde Paul Schulz das Amt als Pastor abgesprochen und damit verlor er alle geistlichen und materiellen Rechte (z.B. die Beamtenpension). Damit ist Dr. Paul Schulz bis heute der einzige Pastor, der von der evangelischen Kirche verurteilt und ausgeschlossen wurde.

Bisher sind von Dr. Paul Schulz folgende Bücher erschienen: „Ist Gott eine mathematische Formel?" (Rowohlt, 1977) „Weltliche Predigten" (Rowohlt, 1978) und „Der Fall Paul Schulz" (Verlag Wissenschaft und Politik, 1979).

Mit seinem neuesten Werk „Codex Atheos" setzt sich Paul Schulz noch einmal mit den Fragen auseinander, die ihn sein Leben lang beschäftigt und umgetrieben haben: Der Mensch, Religion und Gott / Die Gesellschaft und die Religion / Geist und Materie.

Mit seinen Antworten hat er sich völlig von den hergebrachten Vorstellungen von Religion und Gott losgelöst und ist beim eigenständigen und eigenverantwortlichen Menschen gelandet, beim Atheismus.
Das umfangreiche und kenntnisreiche Werk ist übersichtlich geordnet und mit seiner Gliederung gelingt es dem Leser sofort, sich zu Recht zu finden. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen und kann infolgedessen für sich betrachtet und gelesen werden. Das Vorwort führt auf gelungene Weise in die Materie ein und auf den letzten Seiten (483 bis 491) fasst der Autor noch einmal seine Vorstellungen über den Atheismus in unserer Zeit und seine Möglichkeiten zusammen.

Der Bogen dieses Werkes ist weit gezogen und doch ist dieses weite Ausholen bis in die Anfänge der Philosophie und den kritischen Denkens im klassischen Griechenland notwendig. Der Autor erbringt den Nachweis, dass unser sich christlich nennendes Abendland eben nicht erst mit dem Christentum begonnen hat, sondern das die Wurzeln des unabhängigen europäischen Denkens sehr viel weiter reichen und vieles aus diesem Denken bis in unsere Neuzeit hinein reicht. Und er zeigt damit, dass das Abendland zur Initialkultur der säkularen Vernunft wurde.

Er zeigt folgerichtig, dass erst durch die Renaissance eine Wiederentdeckung der heidnisch-antiken Humanität gelang und nur damit der Durchbruch der säkularen Vernunft gegen die beinahe allmächtige Kirche ermöglicht wurde.

Der Autor folgt dann auf über 120 Seiten dem Leben und Wirken Jesus und setzt sich auf eine neue Weise mit dem Leben Jesu auseinander, welches zeigt, dass im Denken und Handeln Jesus Grundzüge einer utilitaristischen Humanität liegen.

Es liegt auf der Hand, dass der Autor nicht am Leben von Martin Luther vorbeikommt und hierbei besonders auf den Verrat Luthers an der säkularen Welt und der weltlichen Vernunft eingeht.
Er hinterfragt dann den Sinn so genannter „Christlicher Wertegemeinschaften" in unserer Zeit und macht die Verzahnung und Verquickung der Kirchen mit den politisch Mächtigen deutlich.

Es folgt die Darstellung der Ideen von Ludwig Feuerbach (Gott ist nur eine Projektion des Menschen) und Hegel, sowie Marx dürfen in diesem Zusammenhang nicht fehlen und runden diese philosophischen Aspekte ab.

Auf den folgenden Seiten wird die Entwicklung des kritischen und eigenständigen Denkens, sowie der säkularen Rationalität in aufschlussreicher Weise dargestellt.
Die Frage nach der Stellung des modernen, säkularen und demokratisch verfassten Staates - also letztlich die Frage nach dem Menschenrecht contra Gottesrecht- wird klar herausgearbeitet und wer Paul Schulz kennt, wundert sich nicht, wenn er zum Schluss dieses Kapitels dringend nach einem neuen Sozialismus ruft.
Obwohl zum Atheisten geworden, verschweigt der Autor auf den abschließenden Seiten nicht das Versagen des politischen Atheismus im 20. Jahrhundert und die damit verbundene weltweite Diskriminierung.
Auf den letzten Seiten plädiert er für eine multikulturelle Welt unter der Leitung einer säkularen Weltregierung und das erinnert dann doch wieder an Immanuel Kant, der ähnliche Gedanken bereits vor über 200 Jahren als Utopie gedacht hat.

Für selbständige und kritische Geister wird sich dieses umfangreiche Buch als ein kenntnisreiches und lesenswertes Nachschlagewerk erweisen.

 

Manfred Tepel

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Nachtrag:

Zu diesem Buch hat Dr. Jürgen Moll im Juli 2007 bei amazon.de eine sehr kritische Rezension veröffentlicht, die sich insbesondere mit den politischen Vorstellungen von Dr. Paul Schulz auseinandersetzt.

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Paul Schulz: „CODEX ATHEOS - Die Kraft des Atheismus". Verlag Aug. Rauschenplat, 490 Seiten, Euro 29,80.