Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

I. Deutschland und sexueller Kindesmissbrauch

Deutschland und die Kinderrechtskonvention

Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 20. Januar 1990 ratifiziert. In Deutschland wurde sie am 5. April 1992 rechtskräftig.

Im jüngsten Bericht an die UN-Kommission für die Rechte des Kindes (1994-1999), führte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an, dass die Situation der Kinder recht gut sei, wies dabei aber durchaus auf weiterhin existierende Herausforderungen hin: Zitat: „Die meisten Kinder leben unter guten Bedingungen. Allerdings gibt es Kinder, die von Armut, chronischer Krankheit betroffen sind und unter schlechter Behandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung leiden und Kinder, die in materiellem Wohlstand leben, aber auf der Gefühlsebene verkümmert sind.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche: „Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen in Übereinstimmung mit Artikel 44, Abschnitt 1, Buchstabe (b) der Kinderrechtskonvention“, S. 8)

Was die Situation von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Kindern in Deutschland betrifft, so verzeichnet das Bundesministerium im Berichtszeitraum Verbesserungen in der Gesetzgebung und in speziellen Programmen, vor allem auch ein Programm zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Kinderpornografie und Sextourismus. Während des berichteten Zeitraums (1994-1999) wurde Deutschlands Strafrecht reformiert. Im Juni 1994 wurde das Gesetz zur Verjährung sexueller Straftaten dahingehend geändert, dass Opfer auch nach Verjährung einer Straftat noch vor Gericht gehen können. Seit 1998 werden Opfer besser geschützt und es gibt heute eine verbesserte Überwachung sowie therapeutische Fürsorge vor Ort. Trotz dieser rechtlichen Verbesserungen besteht noch immer ein Defizit in der praktischen Umsetzung.

Sexueller Missbrauch und Ausbeutung im deutschen Recht

Als Unterzeichnerstaat der UN-Kinderrechtskonvention hat die Bundesrepublik Deutschland in ihr Strafrecht für jede/n deutsche/n Staatsbürger/in bindende Maßnahmen festgeschrieben. In Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche oder Angestellte der Kirche ist vor allem Artikel 174b des deutschen Strafrechts relevant. Hiernach macht sich eine Person strafbar, die ein öffentliches Amt bekleidet und ihre Amtsautorität zum Missbrauch von Abhängigen ausnutzt. Allerdings gibt es keinen Unterparagraphen, der speziell auf Missbrauch durch Geistliche oder Therapeut(inn)en eingeht. Des Weiteren bezieht sich Artikel 332c des Strafrechts allgemein auf unterlassene Hilfeleistung; im Falle von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen drohen Haftstrafen bis zu einem Jahr. Allerdings gibt es keine genauere Regelung bezüglich der Fälle, in denen jemand von einem sexuellen Übergriff durch einen Dritten erfährt und einen solchen Missbrauch den staatlichen Behörden nicht zur Kenntnis bringt. Dies ist wohl immer dann der Fall, wenn die Hierarchie der römisch-katholischen Kirche eine Straftat verschleiert, um ihre Angestellten und den Ruf der Kirche zu schützen, ehe sie sich um das Wohl des Opfers kümmert.

Die römisch-katholische Kirche und deutsches Recht

Das Staatskirchenrecht reguliert die Beziehungen zwischen den deutschen staatlichen Behörden und den Kirchen, religiösen Gemeinschaften und Organisationen, deren Mitglieder eine besondere Weltanschauung teilen. Es stellt sicher, dass die Kirchen dem staatlichen Recht verpflichtet sind, soweit es ihre Verfassung, eigenen Gesetze und Verordnungen sowie Verträge zwischen Staat und kirchlichen Autoritäten betrifft. In Deutschland existieren zwei Sorten Recht nebeneinander: das staatliche Verfassungsrecht und das Kirchenrecht, in diesem Falle der Codex Iuris Canonici oder das Kanonische Recht, welches die internen Gesetze der römisch-katholischen Kirche regelt.

In Deutschland erkennt die Regierung Kirchen, religiöse Gemeinschaften und Organisationen mit besonderer Weltanschauung als öffentliche Körperschaften an.
Sie sind unabhängig vom Staat und - außer in spirituellen Fragen - unterstehen sie dem staatlichen Verfassungsrecht.

Die Rechte von Kirchen und religiösen Gemeinschaften umfassen die Anerkennung als Körperschaften öffentlichen Rechts, das Erheben von Kirchensteuern, den Besitz von Kircheneigentum und einige Vergünstigungen durch den Staat. Folglich betrachten sich die Kirchen als integraler Bestandteil der Gesellschaft. Als Folge der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus genießen Kirchen, religiöse Gemeinschaften und Organisationen mit besonderer Weltanschauung besonderen Schutz vor der Aufsicht und Gewalt staatlicher Behörden.

Die deutsche Verfassung garantiert
• Freiheit des religiösen Glaubens
• Freiheit der Religionszugehörigkeit
• Freiheit des Gewissens
• Freiheit der Religionsausübung

Diese Garantien bedeuten nicht, dass Angehörige und Angestellte von Kirchen, religiösen Gemeinschaften oder Organisationen vom staatlichen Recht ausgenommen wären. Der in das Grundgesetz übernommene Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung besagt, dass staatsbürgerliche Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt sind; Artikel 137 betont, dass es in Deutschland keine Staatskirche gibt. Absatz 3 in Artikel 137 besagt, dass jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb des für alle deutschen Staatsbürger/innen geltenden staatlichen Rechts selbständig ordnet und verwaltet. Folglich unterliegt die römisch-katholische Kirche als öffentlich-rechtliche Körperschaft der Verfassung ebenso wie dem Strafrecht, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Rechte wie auch ihrer Pflichten.

Im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch bedeutet dies, dass die Artikel 174-182 des deutschen Strafgesetzes zu sexuellem Missbrauch, sexueller Nötigung und Vergewaltigung für die römisch-katholische Kirche und ihre Mitglieder ebenso bindend sind wie für jede andere Institution oder Person, die Teil der deutschen Gesellschaft ist. Dies betrifft auch Artikel 332c, wonach jemand, der von einer unzüchtigen Handlung Kenntnis erlangt, dem Opfer zu helfen hat und die Straftat der Polizei oder dem Staatsanwalt anzuzeigen hat. Bei Nichtbefolgung liegt eine Straftat vor.