Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

III. Die römisch-katholische Kirche in Deutschland und die Einhaltung der Kinderrechtskonvention durch die BRD

Innere Widersprüche

Es gibt offensichtliche Widersprüche bezüglich des Anspruchs des Heiligen Stuhls auf Umsetzung der Konvention für die Rechte der Kinder, wenn man seine politische Verfahrens- und Vorgehensweise in Fällen von sexuellem Missbrauch durch Priester und Geistliche in Ländern wie Deutschland betrachtet.

In seinem Bericht an die UN-Kommission für die Rechte des Kindes von 1994 erwähnte der Vatikan sexuellen Missbrauch an Kindern in der Kirche mit keinem Wort, obwohl das Thema schon zum Skandal in der Kirche geführt hatte. Angesichts der schon lange andauernden Problematik körperlichen und sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter und Ordensleute in der ganzen Welt ist es beunruhigend, dass sich der Heilige Stuhl zumindest vorsätzlich ignorant, wenn nicht schuldhaft nachlässig verhält, was sexuellen Missbrauch durch Kirchenvertreter angeht, und institutionelles Schweigen zu Lasten der Kinder, die zu schützen die Kirche vorgibt, vorzieht. Nichts weist darauf hin, dass kirchliche Dienststellen Verfahren weltlichen oder kirchlichen Rechts nutzten, noch dass der Heilige Stuhl zum Einhalten des eigenen Rechts oder der Konvention ermutigte, obwohl Amtsträger des Heiligen Stuhls sehr wohl die Brisanz des Problems erkannt haben.

In Deutschland kamen Bischöfe ihrem Anspruch, für die Opfer sexuellen Missbrauchs zu sorgen und die Konvention einzuhalten, nicht nach. Es gibt einige offensichtliche Widersprüche und Unzulänglichkeiten in den früheren politischen Leitlinien der deutschen Bischöfe. Bischof Holst aus der Diözese Hildesheim gibt in einem Interview zu: Zitat:„Sicherlich hat die Kirche wenig getan um auf Fälle von sexuellem Missbrauch zu reagieren.....Es war aber auch mein Fehler zu denken, es genüge, wenn der Täter in ein Kloster geschickt würde, um hier für seine Tat zu sühnen“. (Presseamt der Diözese Hildesheim: Interview mit Bischof Holst, veröffentlicht auf der Homepage der Diözese)

Es ist daran zu zweifeln, ob die Deutsche Bischofskonferenz etwas aus jüngsten Vorfällen gelernt hat. In den Richtlinien der Bischöfe finden sich einige eklatante Widersprüche. Und mit Ausnahme von Bischof Holst erkennen nur wenige die Notwendigkeit an, solche Fälle direkt an staatliche Behörden weiterzuleiten, so dass diese Fälle unabhängig und objektiv untersucht werden könnten. Die Politik bezüglich sexuellen Missbrauchs unterliegt dem pontifikalen Geheimnis; lang andauernde kirchliche Ermittlungen werden von Personen durchgeführt, die nicht bei den staatlichen Behörden arbeiten. Dies macht es unmöglich, effektive, unabhängige und transparente Untersuchungen durchzuführen. Die Zusammensetzung kirchlicher Untersuchungsausschüsse, die sich mit Fällen sexuellen Missbrauchs befassen, ist mehr als fraglich. In den meisten Diözesen wird der Personalbeauftragte der Diözese vom Bischof dazu bestimmt, die Untersuchungen zu Fällen sexuellen Missbrauchs durchzuführen.

Widersprüche zum deutschen Recht

Wie zuvor beschrieben, besteht nach dem deutschen Strafrecht eindeutig eine rechtliche Verpflichtung, Fälle sexuellen Missbrauchs staatlichen Behörden anzuzeigen, sowie Opfern von unzüchtigen Angriffen beiseite zu stehen, sobald man hiervon erfährt. Die Praxis der Deutschen Bischofskonferenz mit Blick auf sexuellen Kindesmissbrauch steht nicht im Einklang mit deutschem Recht, denn es findet ein langer Prozess innerhalb der römisch-katholischen Kirche statt, ehe der Kontakt zum Opfer aufgenommen wird, falls dies überhaupt geschieht. Dies impliziert, dass die römisch-katholische Kirche einige Zeit Kenntnis von einer verdächtigen unzüchtigen Handlung hat, ehe sie staatliche Dienststellen informiert. Die Kirche ist durch ihre eigenen Richtlinien gehalten, kanonisches Recht und das neue Gesetz des Heiligen Stuhls zur Verschwiegenheit zu befolgen. Das kanonische Recht führt aus, dass die Glaubenskongregation die absolute Autorität über die Untersuchungen und Beschlüsse hinsichtlich von Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in der Kirche inne hat. Dies sollte für die Bundesrepublik Deutschland ein schwerer Grund zur Besorgnis darstellen, da das Recht und die Rechtspraxis des Heiligen Stuhls den deutschen Staat daran hindern, die Kinderrechtskonvention in vollem Umfang umzusetzen.

Empfehlungen

An die deutsche Bundesregierung

  • In ihren Berichten an die UN-Kommission sollte Deutschland auch Informationen über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs durch Geistliche einbeziehen und darüber, welche Maßnahmen die deutsche Regierung unternommen hat, um Kinder vor zukünftigen sexuellem Missbrauch oder Ausbeutung durch Kirchenangehörige zu schützen.
  • Deutsche Behörden sollten eine Analyse des Rechts des Heiligen Stuhls und im Vergleich zur deutscher Gesetzgebung vornehmen und Felder aufzeigen, in denen die katholische Kirche in Deutschland unter Umständen der deutschen Gesetzgebung zum Schutze des Kindes zuwider handelt.
  • Um die Kinderrechtskonvention in Deutschland umzusetzen, sollte die Regierung sich dazu entschließen, die Konvention in das deutsche Grundgesetz zu integrieren, wie dies von vielen Organisationen und Lobbyisten angestrebt wird, nicht zuletzt auch vom deutschen Parlament und der nationalen Kinderrechtskommission.

An die UN-Kommission für die Rechte des Kindes

  • Wenn sich am 6. Oktober 2003 Vertreter/innen der deutschen Bundesregierung mit der UN-Kommission treffen und dann im Januar 2004 der UN-Kommission der Bericht der Bundesregierung vorgelegt wird, sollte die UN-Kommission wegen Vorfällen von sexuellem Missbrauch durch Geistliche nachfragen und die deutsche Regierung um Aufklärung bitten, wie deutsches Strafrecht die Amtsträger der katholischen deutschen Kirche und andere kirchliche Führungskräfte in Fällen von sexuellem Missbrauch und der Ausbeutung Minderjähriger zur Verantwortung zieht. Die deutsche Regierung sollte gefragt werden, welche Maßnahmen sie ergriffen hat, um das Ausmaß solcher Fälle zu untersuchen und ein wiederholtes Vorkommen zu verhindern.
  • Die UN-Kommission sollte die Bundesregierung anhalten, Wege zu suchen, die katholische Kirche gemäß ihren Strafgesetzen in Deutschland zur Verantwortung zu ziehen, vor allem entsprechend jener Gesetze, die den Schutz von Kindern vor Missbrauch zum Ziel haben und die im Widerspruch zum Verschwiegenheitsgesetz des Heiligen Stuhls stehen.

An den Heiligen Stuhl

  • Der Heilige Stuhl, einer der Unterzeichnerstaaten der Kinderrechtskonvention, kommt seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Vatikan hat der UN-Kommission seine Berichte für 1997 und 2003 noch nicht vorgelegt. Er sollte dies unverzüglich nachholen und hierin einen ausführlichen Bericht über das Ausmaß von Kindesmissbrauch durch Geistliche und Ordensleute, verbunden mit einem konkreten Maßnahmenkatalog ablegen, um zukünftig Missbrauch effektiv zu verhindern. Der Heilige Stuhl sollte der deutschen Regierung ebenso einen Bericht vorlegen, um das Ausmaß von Fällen sexuellen Missbrauchs in Deutschland, sowie Maßnahmen, die der Heilige Stuhl ergreift um zukünftigen Missbrauch zu verhindern, zu veröffentlichen.
  • Zusätzlich sollte der Heilige Stuhl anderen Unterzeichnerstaaten aufzeigen, welche Maßnahmen er getroffen hat, um sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche und Ordensleute in den jeweiligen Ländern unmöglich zu machen, und welche Maßnahmen er für die Sicherheit der Kinder vorschlägt.
  • Der Heilige Stuhl sollte mit lokalen staatlichen Behörden zusammenarbeiten, indem er Beweismittel liefert und die Verfolgung katholischer Geistlicher unterstützt, die in den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen involviert sind.
  • Des Weiteren sollte der Heilige Stuhl in solchen Fällen seine Vorschrift der Verschwiegenheit aufheben. Er sollte in seinen eigenen Bestimmungen die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche schaffen, dass sie oder ihre gesetzlichen Vertreter ihre Rechte in Anspruch nehmen und verteidigen können. Der Heilige Stuhl sollte ihnen prozessuale Integrität in innerkirchlichen gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren zusichern.
  • Der Heilige Stuhl sollte jenen Kirchenvertretern, die des Kindesmissbrauchs überführt wurden, jegliche Verbindung mit bzw. Anschluss an Aktivitäten und Organisationen verbieten, die ihnen erlauben würden, in die Nähe von Kindern zu gelangen; solche wären: Kirchengemeinden, Schulen, Kindertagesstätten, Freizeitgruppen und -aktivitäten (wie katholische Jugendgruppen oder Gruppen in Zusammenhang mit dem Weltjugendtag), Krankenhäuser, Beratungseinrichtungen, missionarische Aktivitäten bei Kindern und Jugendlichen, Seminare und Konvente (diese Aufzählung ist nicht vollständig und letztgültig abgeschlossen).
  • Um die Erreichung dieser Ziele zu unterstützen, sollte der Heilige Stuhl eine öffentlich zugängliche Datenbank einrichten und unterhalten, in der Geistliche und Ordensleute, die als Täter sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen überführt wurden, aufgelistet sind, so dass diese Täter nicht einfach den Einsatzort wechseln können, um den Folgen ihrer kriminellen Handlungen zu entgehen.

An die römisch-katholische Kirche in Deutschland

  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte mit Regierungsbeamten zusammen arbeiten, um sicher zu stellen, dass sich die deutsche katholische Kirche im Falle von sexuellem Missbrauch in der Kirche an nationales Strafrecht hält.
  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte finanzieller Verantwortung nicht ausweichen, sondern sollte dem Beispiel der katholischen Kirche in Irland folgen und finanzielle Verantwortung für jegliche Verpflichtung übernehmen, die aus Ansprüchen oder Urteilen zu Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche oder Ordensleute entstehen.
  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte Anspruchssteller in ihrem Bemühen unterstützen, Geistliche zu finden, um sie wegen sexuellen Missbrauchs zu belangen.
  • Die vorhandenen Richtlinien konzentrieren sich auf den Täter. Dies beunruhigt Organisationen, wie z.B. Jugendverbände, die auf dem Gebiet der Prävention von sexueller Gewalt arbeiten. Nicht nur für die Verbände, sondern auch für Kirchengemeinden, Ministrant/innen und kirchliche Schulen muss die Prävention sexueller krimineller Handlungen ein Thema sein. Jegliche Forderung gegen Geistliche wegen sexuellen Missbrauchs muss nicht nur mit finanziellen Mitteln unterstützt werden, sondern die Verfolgung der Täter muss auch integraler Bestandteil zukünftiger Programme werden.
  • In die Untersuchungsausschüssen der Diözesen zu sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Minderjährigen durch katholische Geistliche und Angestellte müssen unabhängige Personen und Beobachter/innen integriert werden, um einen angemessenen Schutz der Opfer zu gewährleisten. In dem Ausschuss sollten die Opfer von unzüchtigen Handlungen und deren Familienmitglieder sitzen.
  • Sämtliche Fälle sexuellen Missbrauchs sollten in einer Aufstellung veröffentlicht werden– unter Wahrung der Privatsphäre von Opfern und Tätern – einschließlich krimineller Fälle und solcher, die dem Heiligen Stuhl bekannt wurden.