Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

Der Vatikan und die römisch-katholische Kirche in Deutschland

Seit die Krise des sexuellen Missbrauchs in der Kirche öffentlich wurde, hat der Vatikan gerechtfertigterweise in Erklärungen die Handlungen misshandelnder Priester verurteilt. In einem am Gründonnerstag 2002 veröffentlichten Dokument (Johannes Paul II, „Schreiben des Heiligen Vaters Johannes Paul II. an die Priester zum Gründonnerstag 2002“ (4. April 2002)) wandte sich der Vatikan direkt an die deutschen Bischöfe. Das Dokument befasst sich mit dem Sakrament der Buße und wie diese angenommen werden soll - weder zu streng noch zu locker. Der Beichtvater sollte gut vorbereitet sein, sich persönlich mit dem Beichtenden treffen und für ihn Verantwortung übernehmen. Vor allem sollte der Beichtvater selbst einen guten Charakter haben und Vorbild sein, besonders bezüglich der angesprochenen Vergehen! Der Heilige Stuhl bringt weiterhin vor, dass Priester, welche die Gnade ihrer Weihe verrieten und schwerwiegende Skandale in der Kirche verursachten, auf die Gemeinschaft aller Priester ein zweifelhaftes Licht werfen, auch auf jene, die über alle Anschuldigungen erhaben sind.

Trotz ihrer Schärfe und Gefühlsbetontheit zeigen die Erklärungen doch nicht die Verbindlichkeit, die von Unterzeichnerstaaten der Konvention zu erwarten ist. Die volle Verpflichtung gegenüber und die Einhaltung der Konvention erweist sich erst bei der Betrachtung der Handlungen der jeweiligen Partei und der Vorgehensweise, die im Umgang mit Missbrauch angewandt werden.

Im September 2002 veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz neue Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch an Minderjährigen in der Kirche (Deutsche Katholische Bischofskonferenz, „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. Leitlinien mit Erläuterungen“ (26. September 2002)). Die Richtlinien beziehen sich auf verschiedene kirchliche Verfahrensweisen. Sie sind eine Reaktion auf die pontifikale Verschwiegenheit, wie sie im Sacramentum sanctitatis tutela eingefordert wird, und erkennen den Heiligen Stuhl als uneingeschränkte, unmittelbare und universelle Macht in der katholischen Kirche an, ebenso wie die Tatsache, dass Bischöfe auf Anweisung des Vatikans zu handeln haben.

In der Einleitung zu den Richtlinien betonte die Deutsche Bischofskonferenz ihr Mitgefühl für die Opfer von sexuellem Missbrauch durch Geistliche. Allerdings schien den Bischöfen im Haupttext der Schutz ihrer Angestellten und das Ansehen der Kirche in Deutschland wichtiger zu sein als Aussöhnung, Entschädigung oder therapeutische Hilfe für die Opfer. Lediglich in der Einleitung, Abschnitt 5 (Hilfen für Opfer und Täter) und Abschnitt 7 (Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen) beziehen sich die Bischöfe überhaupt auf die Opfer. Der gesamte restliche Text der Richtlinien konzentriert sich auf die Täterperspektive.

Den Richtlinien folgend erscheint es, dass die Diözesanbischöfe und der Vatikan der Opferperspektive keine hohe Priorität einräumen. Es gibt keine Anweisung, während der Untersuchungen direkt mit dem Opfer zu kommunizieren. Erst wenn die Anschuldigungen durch die mit der Untersuchung beauftragten Angestellten der Diözese, durch den Bischof der Diözese und dann durch die Glaubenskongregation bewiesen werden, wird überhaupt ein persönlicher Kontakt zwischen der Kirche und dem Opfer hergestellt. Die Richtlinien sehen nicht einmal vor, dass der Täter selbst die Tat bereuen sollte - oder der Diözesanbischof, der mit dem spirituellen Wohlergehen der Mitglieder seiner Diözese betraut ist -; diese Aufgabe kommt einem bischöflichen Delegierten zu, der mit dem Opfer und dessen Familie sprechen und um Entschuldigung für das Vergehen bitten soll.

Ermittlungen der deutschen katholischen Bischöfe bei sexuellem Missbrauch

Als Oberhaupt der Diözese benennt der Bischof eine Person aus den Reihen der amtskirchlichen Struktur der Diözese zur Bildung eines Untersuchungsausschusses. Dieser kann - muss aber nicht - Experten wie Rechtsanwälte, Ärzte oder Psychotherapeuten umfassen. Die Experten können unabhängig von Diözesanstrukturen arbeiten oder Teil der kirchlichen Hierarchie sein. Namen und Aufgaben der Ausschussmitglieder sind in angemessener Form zu veröffentlichen.

Jede von der katholischen Kirche in einer Diözese angestellte Person ist gehalten, dem Bischof oder dem designierten Ermittler Missbrauchsfälle anzuzeigen. Der Untersuchungsausschuss akzeptiert keine anonym erhobenen Anschuldigungen. Der Ausschuss beginnt eine Untersuchung, in der zunächst der Täter, nicht das Opfer kontaktiert wird. Das Gespräch, dem ein unabhängiger Jurist beiwohnt, wird aufgezeichnet. Nachdem der Bischof der Diözese unterrichtet wurde, beschließt er, welche Unterstützung dem Täter zukommen soll und ob der Fall öffentlich gemacht wird. Bei seiner Entscheidungsfindung muss der Bischof den Ruf des Priesters schützen, für das Opfer sorgen und das Ansehen der Kirche bewahren. Wenn die Anschuldigung erhärtet wird, muss, dem Kirchenrecht folgend, eine Voruntersuchung eröffnet werden. Diese Voruntersuchung erfolgt gemäß den Bestimmungen nach canon 1717 CIC: Im Laufe einer solchen Untersuchung muss die Entscheidung getroffen werden, ob der Täter für die Dauer des Verfahrens von seinen Ämtern suspendiert oder ob er lediglich beurlaubt wird. Wenn die Voruntersuchung die Anschuldigung bestätigt, wird der Fall in die Hände des Vatikan übergeben und unter dem Schirm der Glaubenskongregation fortgeführt.

Dieses Vorgehen bedeutet, dass die Untersuchung ab diesem Zeitpunkt dem pontifikalen Geheimnis unterliegt, wie in Sacramentorum sanctitatis tutela vorgesehen. Dies bedeutet auch, dass die römisch-katholische Kirche in Deutschland gemäß ihrem eigenen Recht nicht verpflichtet ist, staatlichen Behörden Missbrauchsfälle anzuzeigen, damit diese Untersuchungen durchführen könnten. Dies ist eine direkte Verletzung des deutschen Rechts, vor allem von Artikel 332c.

Ein Missbrauchsfall in der römisch-katholischen Kirche wird der Polizei oder staatlichen Behörden erst dann angezeigt, wenn er nicht bereits verjährt ist. Nur in solchen Fällen, die angezeigt und somit öffentlich werden, erwähnen die Richtlinien die Opferperspektive. Der vom Bischof der Diözese bestimmte Ermittler muss das Opfer dahingehend beraten, wo er/sie therapeutische oder pastorale Hilfe bekommen kann, und der Täter muss sich wegen des Missbrauchs bei dem Opfer entschuldigen. Nur in einzelnen, von den Richtlinien nicht näher benannten Fällen kann für die Beratung des Opfers eventuell eine finanzielle Hilfe bereit gestellt werden. Die Diözese muss Hilfe anbieten, um „Irritationen zu beseitigen“, sowohl des Opfers als auch für den Täter. Falls Beweise vorliegen, dass eine unzüchtige Handlung durch einen Geistlichen ausgeübt wurde, untersteht diese Person kirchlichem Strafrecht. Dies kann eine Form von Buße oder eine andere Form von kirchlicher Strafe sein, die vom Diözesanbischof oder der Glaubenskongregation ausgesprochen wird. Nur in einigen Fällen muss der Geistliche suspendiert werden.

Nachdem der Täter seine Strafe verbüßt hat, darf ihm keine Aufgabe mehr zugeordnet werden, bei der er mit Minderjährigen in Kontakt kommt. Er muss mit dem bischöflichen Ermittler in Kontakt bleiben und bei ihm Rat suchen. Die Öffentlichkeit muss angemessen informiert werden, wobei die Privatsphäre des Täters und des Opfers zu wahren sind.