Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

ANHANG

Überblick über angezeigte Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche in Deutschland (1993-2002)

Mit einem offiziellen Brief an jede Diözese in Deutschland bemühte sich die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche um Informationen, um das Ausmaß von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker der römisch-katholischen Kirche feststellen zu können. Dreizehn von insgesamt siebenundzwanzig Diözesen haben gar nicht geantwortet; andere antworteten, indem sie fast gleichlautende Presseinformationen zusandten. Selbst bei der Beantwortung der konkreten Frage zu der Anzahl bekannt gewordener Fälle in der jeweiligen Diözese gab es eine Standardantwort. Die übliche Antwort lautete, dass es sich um vereinzelte Fälle handele. Einige Diözesen gaben an, dass etwa ein Prozent aller geistlichen Frauen und Männer in der Diözese als Täter bekannt sind. Vergleicht man diese Angabe mit der Zahl, die an staatliche Dienststellen weitergegeben wurde, stellt sich die Frage ob die römisch-katholische Kirche in Deutschland wirklich ihrer Verpflichtung nachkommt, dem Staatsanwalt alle Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern durch Kirchenangehörige zu melden.

Während die internen und vertraulichen Verfahrensweisen des Heiligen Stuhls verhindern, dass eine umfassende Erfassung des Ausmaßes und der Schwere von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche und Ordensleute vorgelegt wird, liefert dieser Anhang eine Auswahl von Fällen:

• 1993: Ein 44-jähriger Priester aus der Region Bergstraße in Hessen wird wegen zwei Fällen von sexueller Nötigung für schuldig befunden und zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er gestand, zwei Schwestern im Alter von 14 und 16 Jahren wiederholt missbraucht zu haben.
• 1994: Ein Priester aus Krefeld wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er einen neun-jährigen Jungen missbraucht hatte.
• 1995: Ein Priester aus der Nähe von München wird wegen Besitz von Kinderporno¬grafie suspendiert.
• 1995: Ein 67-jähriger Priester aus Hildesheim wird in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, nachdem er eingestanden hat, mehrere Minderjährige sexuell belästigt zu haben. Wegen Verjährung gab es keine Untersuchung von Seite der Kirche.
• 1996: Ein 47-jähriger Priester aus Bayern wird wegen Anschuldigungen, er habe Minderjährige missbraucht, des geistlichen Amtes enthoben. Hiernach wurde der Strafprozess abgebrochen.
• 1998: Ein 67-jähriger Priester aus Baden-Württemberg wird zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten und einer Geldstrafe von 5000 DM verurteilt. Er hatte mehrmals Mädchen während des Religionsunterrichts missbraucht.
• 1999: Ein 39-jähriger Priester aus Baden-Württemberg wird zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt,, nachdem er des Missbrauchs an zwei Mädchen und einem Jungen in fünfundneunzig Fällen für schuldig befunden wurde.
• 2000: Ein katholischer Priester aus Bayern erhält eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Missbrauchs an drei Jungen. Die Anschuldigung wurde von einem Vater während des Weihnachtsgottesdienstes ausgesprochen.
• 2000: Ein 45-jähriger Priester aus Baden-Württemberg und Mitglied eines konservativen Ordens wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zwei Jungen wurden von ihm mehrmals zu sexuellen Handlungen gezwungen.
• 2002: Ein 40-jähriger Priester aus Bayern gesteht, einen Jungen missbraucht zu haben. Er erhält eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten und eine Geldstrafe von 2000 €. Die Kirche hat ihn von allen Ämtern suspendiert und dem Vatikan den Fall angezeigt. Dies war das erste Mal, dass eine solche Anzeige öffentlich bekannt wurde.
• 2002: Ein Priester der Diözese Mainz wird suspendiert, nachdem es über Jahre Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs gab. Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann von Mainz, kündigt an, dass er den Anschuldigungen unverzüglich und intensiv nachgehen wird.
• Aktuelle Fälle: Zwei neue Fälle wurden kürzlich bekannt. In der Diözese Münster/Westfalen wurde ein Diakon nach einer Sommerfreizeit wegen Verdachts sexuellen Missbrauchs an Kindern suspendiert. Seither gibt es von der Diözese Münster keine Verlautbarungen mehr hierzu (Stand: 23. August 2003). Die letzte Neufassung der Homepage der Diözese Münster fand am 30. August 2002 statt, hier wird das Interesse der Diözese an der Behandlung des Falls und an einer Veröffentlichung der Erkenntnisse bekräftigt.
In der Diözese Paderborn hat eine staatliche Untersuchung gegen einen 38-jährigen Priester begonnen, der beschuldigt wird, einen 13-jährigen Jungen missbraucht zu haben. Das Hauptgerichtsverfahren hat noch nicht eingesetzt.

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Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Initiative Kiche von unten (IKvu). Den aktualisierten Überblick findet man auf der Internetseite der IKvu. Der dokumentierte Bericht ist dort ebenfalls als .pdf und .rtf-Datei, sowohl in Deutsch wie in Englisch vorhanden.