Humanismus im 21. Jahrhundert

BERLIN. Es ist schon eine kleine Sensation, dass sich die große Berliner Bildungseinrichtung URANIA in mehreren Veranstaltungen im Jahre 2007 dem Thema „Humanismus im

21. Jahrhundert“ widmet. Man kann es auch eine Heimkehr zu den Wurzeln nennen, gehörte doch Alexander von Humboldt zu den geistigen Vätern der Volksbildungsidee und war doch der Gründer der URANIA 1888, der Astronom Wilhelm Foerster, nahezu zeitgleich der Initiator der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“. Der Berliner Ortsverein nannte sich sogar offiziell „Humanistengemeinde“.

Der Grundgedanke dieser Vorlesungsreihe, die von Prof. Dr. Frieder Otto Wolf bestritten wird, besteht darin, dass nach dem Epochenbruch der 1990er Jahre auch eine grundsätzliche politisch-kulturelle Neubestimmung erforderlich wird – und dass nicht, wie neuerdings gelegentlich behauptet, die Religionen dies leisten können. Allerdings kann auch nicht länger erwartet werden, dass die Wissenschaften bzw. eine auf sie allein begründete Philosophie dies zu leisten vermag. Schon gar nicht ergeben sich die nötigen Neuorientierungen ganz einfach von selbst aus den demokratischen Beratungsprozessen. Und: Humanismus gibt es nur, wenn Humanisten ihn leben und öffentlich denken.

Die Folgen daraus sind problematisch, denn die strukturelle Krise des organisierten Humanismus ist unleugbar. Die Lücke, die dadurch entstanden ist, kann auch nicht von einem theoretischen Humanismus geschlossen werden, der das Sein „des Menschen“ als metaphysische Grundlage beansprucht. Vielmehr ist dafür ein engagierter praktischer Humanismus der Menschheit erforderlich, der die Position menschlicher Vernunft vertritt und daraus elementare Anforderungen begründet. Auf deren Grundlage könnten ohne Rückgriff auf höhere Mächte in demokratischen Prozessen tragfähige Orientierungsentscheidungen getroffen und aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen nützliche Ratschläge für eine menschliche Lebenspraxis gewonnen werden.

Sich diesen Themen in der Vorlesung zu nähern, so Frieder Otto Wolf gegenüber dem hpd, wird zunächst die Auseinandersetzung mit einigen Auffassungen erfordern, die den Namen des Humanismus für sich im 20. Jahrhundert beanspruchten und teilweise noch in dieser Tradition beanspruchen: „Dritter Humanismus“ als konservativer Bündnispartner der deutschen Nazis; „Realer Humanismus“ des Stalinismus und „wissenschaftlicher Humanismus“ eines zeitgenössischen Neopositivismus).

Dann werden die philosophischen Grundlagen eines erneuerten Humanismus näher zu artikulieren sein – in Abgrenzung zu den wahrheitspolitischen Ansprüchen von Religionen und Wissenschaften sowie durch eine reflektierte Überwindung der im Zeichen der Postmoderne verbreiteten Skepsis. In dem derart aufgespannten Rahmen folgt dann eine Bestimmung der geistigen Situation der Zeit, wie sie sich seit dem Ende der 1990er Jahre, tatsächlich mit dem neuen Jahrhundert, ankündigt.

Dies bildet den Ausgangspunkt für eine Konkretisierung elementarer humanistischer Gesichtspunkte, die in Politik, Kultur und Lebensweise zur Geltung gebracht werden können, um die große Transformation des 21. Jahrhunderts in einer breiten und offenen Selbstverständigung der globalen „Menge der Vielen“ über die Wünsche und die Kämpfe der Zeit auf den Weg zu bringen. Das schließt die Reflexion der theoretischen Traditionslinien mit ein, auf die sich diese Selbstverständigung stützen kann: Kritik der politischen Ökonomie, politische Ökologie, feministische Theorie der Geschlechterverhältnisse, kolonialismuskritische Kulturtheorie, radikale Philosophie.

Damit eröffnet sich noch abschließend ein weitergehender Ausblick auf die Aufgaben eines Humanismus, der sich jenseits der gegenwärtigen Krisen- und Übergangszeit entfalten wird.

Das zum Inhalt der Vorlesungsreihe – Termine, Themen und organisatorische Hinweise am Ende des Beitrags.

Der Referent, Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, wurde 1943 in Kiel geboren. Er studierte Anfang der 1960er Jahre Philosophie und Politikwissenschaft, war von 1971-1976 Assistent an der Universität des Saarlandes und promovierte 1969. Die Habilitation folgte1973. 1977-1979 Assistenzprofessor an der Freien Universität Berlin, später im Ausland. Von Juni 1984 bis Juli 1999 war Wolf grüner Europapolitiker und von 1994 bis 1999 MdEP. Detaillierte Angaben zu Lebenslauf, Publikationen, gesellschaftlichen Aktivitäten und Forschungsprojekten finden sich auf seiner <homepage>.

Prof. Wolf ist Präsident der „Humanistischen Akademie Deutschland“ (HAD) und hat sich zu deren <Aufgaben> bei der Erneuerung des Humanismus umfänglich geäußert. In "humanismus aktuell" bezog er zu verschiedenen Themen Stellung. 2003 erschien beim „Humanistischen Verband Deutschlands“, dessen stellvertretender Bundesvorsitzender er ist, in der Reihe „Zur Theorie und Praxis des Humanismus“, s. Anhang, seine Schrift „Humanismus und Philosophie: Vor der westeuropäischen Neuzeit – Elf Lektüren zur Vorgeschichte des modernen Humanismus.

Noch ein Aspekt dieser Vorlesungsreihe ist hervorzuheben: das radikale Fehlen eines akademischen Diskurses über Humanismus, der entsprechende Studiengänge im Hintergrund hat. Das ist tragisch zu nennen in einer Zeit, in der die diskursive Ausarbeitung von Geschichtsdeutungen, Erfahrungen und Handlungsmodellen zunehmend von arbeitsteilig institutionalisierten Bildungsgängen und Forschungsinstitutionen wahrgenommen wird. Das bedeutet, dass sich der Schwerpunkt einer Diskurspolitik des organisierten Humanismus von einem konfessionellen Zirkelwesen in Richtung auf Formen anerkannter akademischer Institutionalisierung verlagern muss – sonst hat er keine Chance. Das kann grundsätzlich sowohl in eigenen Einrichtungen, als auch in entsprechend staatlich institutionalisierten Zusammenhängen (Hochschulen) erfolgen.

Die gegenwärtigen Umbrüche im deutschen Studiensystem bieten vielleicht eine Gelegenheit, <„Humanistik“> als Disziplin der Hochschulausbildung zu etablieren, mit den beiden Schwerpunkten der Ausbildung von Lehrern für „Humanistische Lebenskunde“ als Schulfach und „Humanistische Beratung“, vor allem für Institutionen, in denen individuelle Lebenskrisen zu bearbeiten sind – der christlichen „Seelsorge“ vergleichbar, aber alternativ.

Die Vorlesungsreihe an der URANIA ist somit Teil einer großen Initiative, am Humanismus auch wissenschaftlich zu arbeiten, damit er im „Kampf der Kulturen“ zu bestehen vermag.

Am 16. Januar, 18:00 Uhr, startet die Vorlesungsreihe zum „Jahr der Geisteswissenschaften“ mit dem Thema
<Humanismus – zum Verständnis und Missverständnis eines viel gebrauchten Begriffs>
13. Februar:
Freiheit, Solidarität und Verantwortlichkeit – Humanismus und globales Ethos
13. März:
Falsche Humanismen – Fehlschlüsse der Erziehungs- und Expertenideologien
17. April:
Humanismus und Glaube - Religionen und Wahrheitspolitik
15. Mai:
Humanismus und Wissenschaften – Forschung und Wahrheit
19. Juni:
Die globale Strukturkrise als Chance – Humanismus, Skepsis und die geistige Situation der neuen Zeit
16. Oktober:
Aufgaben eines radikal zeitgenössischen Humanismus in Politik, Ökologie und Kultur
13. November:
Humanismus als Lebensform und die Zukunft des Humanismus – Bei sich selbst immer wieder mit der Arbeit der Freiheit anfangen

 

Veranstaltungsbeginn:
18:00 Uhr

Veranstaltungsort:
An der <Urania> 17; 10787 BerlinTelefon: (030) 2 18 90 91, Fax: (030) 2 11 03 98

Fahrverbindungen:
U-Bahn: U1, U2, U12, U15 (Wittenbergplatz), U4 (Nollendorfplatz)
Buslinien: M19, M29, M46, M85, 187

Parkplätze:
Kostenlose Parkplätze finden Sie auf dem Hof und in der Tiefgarage (Zufahrt von der Kleiststraße bzw. An der Urania).

 

GG