AMSTERDAM. (nvve/hpd) In einer Pressekonferenz am 4. Februar kündigte die Organisation NVVE (Niederländischer Verband für ein freiwilliges Lebensende) vom 08.02 bis 13.02 die Durchführung "Der Woche des vollendeten Lebens“ an. Der Verband bittet um Aufmerksamkeit für alte Leute "die mit dem Leben abgeschlossen haben" und "auf humane Weise", ihrem Leben ein Ende setzen wollen.
In diesem Rahmen wird auch eine Untersuchung in Altersheimen organisiert, um die Einstellung der älteren Menschen zu ihrer letzten Lebensphase festzustellen. Die Resultate dieser Untersuchung werden am 10. Februar bekannt gegeben.
Grundlage der Aktion ist das NVVE-Dokument „‘Voltooid leven. Waar praten we over?’ (Vollendetes Leben. Worüber reden wir? - In englischer Sprache). Die NVVE nimmt in ihm keine Position ein, sondern stellt auf der Grundlage des Problems Fragen und Antworten, Fakten und die Ergebnisse der Diskussionen der letzten Jahre in einer Reihe nebeneinander. In der Hoffnung, dass es zu einer klaren Aussprache beiträgt, die dazu führen soll, eine Lösung für dieses - sehr empfindliche und schwierige - Problem von Menschen zu finden, die ihr Leben als vollendet betrachten und daher den Tod dem Leben vorzuziehen wünschen.
Der Verband hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1973 für Sterbehilfe und die Legalisierung der ärztlichen Beihilfe beim Suizid eingesetzt. Mit dem Gesetz „Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid“, das ab 2002 gültig ist, wurde dieses Ziel großenteils erreicht. Menschen, die ihr Leben als vollendet betrachten, leiden medizinisch gesehen jedoch nicht an einer unbehandelbaren Krankheit und fallen daher nach Ansicht des Obersten Rates nicht unter das Gesetz über Sterbehilfe. Sie leiden aber wohl an einem für sie zu langem Leben. Jährlich machen über 400 ältere Menschen in den Niederlanden im Alter von 60+ ihrem Leben ein Ende, und dies oft auf grausame Art. Die NVVE hat Grund dafür zu glauben, dass diese Zahl wahrscheinlich höher liegt. Diese Alten sehen sich z. B. genötigt, mit dem Auto ins Wasser zu fahren, sich zu erhängen oder sich selbst zu verbrennen. Dies geschieht zu Hause oder in Pflegeheimen. Nicht, weil das Pflegeheim nichts tut, um diesen Menschen ein glückliches Alter zu gewähren, sondern weil diese Leute ihr Leben als vollendet betrachten und niemand da ist, ihnen bei einem humanen Tod zu helfen. Diese Nachrichten werden aber selten oder nie veröffentlicht.
Für Menschen, die ihr Leben als vollendet betrachten und würdig sterben wollen, ist es praktisch unmöglich, die notwendigen Medikamente zu bekommen. Ein würdiger Suizid ist nur möglich mit einer großen Menge (etwa 130) Pillen, die in den Niederlanden legal nur auf Rezept erhältlich sind. Es ist daher eine Pattsituation. Menschen, die am Leben leiden und ihr Leben beenden wollen, können legal keine Hilfe erhalten und haben wenig oder keine Möglichkeit, die Medikamente zu bekommen.
„Es sind Menschen, die ihr Leben nicht mehr so erfahren, dass sie weiterleben wollen, die am Leben leiden“, erklärte die Direktorin der NVVE Petra de Jong. "Oft ist es, weil sie sich vom Leben lösen. Ihre Freunde, Familie und Freunde fallen weg, sie bleiben allein und sie fühlen sich nicht mehr mit der Gesellschaft verbunden.'' Leiden am Leben im Alter ist jedoch noch "etwas anders als Einsamkeit" meint De Jong.
Die Kampagnenwoche ist erst der Anfang. Der NVVE sieht das Problem des vollendeten Lebens als eine der Kernpunkte seiner Politik für die kommenden Jahre und will eine öffentliche Debatte über das Thema bewirken. Menschen, die "fertig sind, mit dem Leben" und keinen Anspruch auf Sterbehilfe haben in den Niederlanden. Das ist für die NVVE ein Problem, denn "sie leiden an einem für sie zu langen Leben."
Während der Pressekonferenz wurden die Ergebnisse einer Stichprobe bei 1.200 Niederländern bekannt gegeben. Drei Viertel von ihnen könnte sich vorstellen, dass alte Menschen, die nicht krank sind, doch ihr Leben als vollendet betrachten. CDA-Wähler (Christendemokraten) können sich das am wenigsten vorstellen (37%), D66-Wähler (linksliberal) die meisten (94%). Auch SP-Wähler (Sozialisten) haben eine hohe Zustimmung, 92%. Auf die Frage, ob sie alte Menschen kennen, die ihr Leben als vollendet betrachten, antworteten 44% der Befragten bejahend. Nicht weniger als 24% kannten jemanden, der auch tatsächlich sein Leben beenden wollte. Die Umfrage ist jedoch nicht sehr repräsentativ, weil der NVVE die Befragten über die eigene Website gefunden hat.
Die Unterstützung der Aktion ist erheblich. So sendet Human, der humanistische Fernsehsender, die Dokumentation Unheilbar über eine 93-jährige Frau, die feststellt, dass sie ihr Leben gelebt hat und die selbst die Zeit ihres Todes bestimmen will (Trailer). Auch der öffentliche Fernsehsender NCRV sendet verschiedene Radio- und Fernsehprogramme zu dem Thema. So der Film Der letzte Wunsch des MOEK, über eine Frau von fast hundert Jahren, die, unterstützt von ihrem Sohn, ihr Leben beenden will.
Eine Initiative, deren Mitglieder noch nicht bekannt sind, will in den kommenden Monaten Unterstützung organisieren, um ein Volksbegehren zu starten. Diese Woche will die Gruppe sich vorstellen.
Die Sinngebung im Alter kann schwierig sein, erkennt auch die Niederländische Patienten Vereinigung (NVV) an, ebenso wie Relief, eine Vereinigung von christlichen Pflegediensten. Die christlichen Organisationen wollen zusammen Freiwillige trainieren, um "Lebensbücher" für ältere Menschen zu machen. In diesen Büchern werden die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Menschen erzählt. Relief hat eine Methode zur Herstellung eines solchen Buches entwickelt. Sie trainieren Freiwillige, die mit einem Älteren in acht Sitzungen die Geschichte seines Lebens erarbeiten. Thijs Tromp, Direktor von Relief: "Man schreibt kein Lebensbuch, weil das Leben" abgeschlossen " ist, sondern um am Ende des Lebens den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft zu schärfen. Die Forschung zeigt, dass die Bücher zur besseren Lebensqualität und Sinneserfahrung beitragen. Es gibt Hoffnung für die Zukunft.''
Dr. A. A. Teeuw, Arzt und Vorsitzender der niederländischen Patientenvereinigung, meint jedoch, dass "Christen durch diese Kampagnen einen Spiegel vorgehalten bekommen. Debatten wie diese fragen zunächst nach einer grundsätzlichen Haltung der Christen”, sagt Teeuw. "Wir sollten an dem Bekenntnis festhalten, dass nicht der Mensch, sondern Gott über das Leben verfügt." Darüber hinaus sagt Teeuw: "Ich möchte den Finger auf das Risiko legen, dass die Gesellschaft durch solche Kampagnen in einseitiger Weis auf einzelne Senioren schauen wird. Als ob die letzten Jahre, die eine Person in der Einsamkeit verbringen muss, per Definition sinnlos sind, als ob Versuche, isolierten, älteren Menschen Perspektiven zu bieten, vergeblich sind. Eine solche Betrachtung ist einseitig und spiegelt nicht die Realität wieder.”
Auch der Humanistische Verband der Niederlande unterstützt die Aktionswoche. So erklärt der Vorsitzende des Verbandes Rein Zunderdorp: "Wir meinen, dass diese älteren Menschen (über 70) festlegen können, wie ihr Leben auszusehen hat und selbst definieren können, wie und wann sie sterben wollen. Niemand hat die Pflicht zu leben. Wir wollen ausdrücklich anerkennen, dass das Leben eines Menschen zwar mehr ist als eine physische Existenz. Es ist möglich, dass unser Körper länger existiert, als unser Willen zu leben. Speziell für Menschen, die schon immer bewusst lebten, ist es aber wichtig, selbst bestimmen zu können, wann es vollendet ist. Unfreiwillige Verlängerung des Lebens kann, ihren Gefühlen nach, seinen Wert verringern."
Der Humanistische Verband will, dass sich das ändert. Auch in den Fällen des vollendeten Lebens muss Beihilfe zum Suizid möglich sein, vorbehaltlich der Einhaltung deutlicher Sorgfaltsanforderungen, betonte Zunderdorp.
Diese Anforderungen sind:
- dass die Entscheidung freiwillig war;
- dass der Ältere zurechnungsfähig ist;
- dass die Nachfrage nach Sterbehilfe konsistent und die Anfrage daher wohldurchdacht und authentisch ist;
- die Älteren (jetzt) 70 Jahre oder älter sind.
Um diese stetig größer werdende Zahl älterer Menschen nicht allein zu lassen, ist ein Angebot an Hilfe nötig. Dadurch können ältere Menschen Raum bekommen, um ihren Wunsch zu sterben zu diskutieren und können legal Medikamente bekommen. Wie das Angebot der Hilfe genau auszusehen hat, ist Gegenstand der Debatte und der Forschung. Im Wesen gehen die Gedanken des HV in folgender Richtung:
- Die Hilfeleister müssen qualifiziert sein und über eine besondere Lizenz verfügen.
- Falls Ärzte bereit sind, im Falle des vollendeten Lebens Sterbehilfe zu leisten, ist die Beteiligung eines Arztes zu bevorzugen. Nicht, weil das Problem medizinischer Natur ist, sondern weil ein würdevoller Tod manchmal medizinisches Wissen erfordert.
- Wenn Ärzte nicht bereit sind, diese Form des Sterbens zu begleiten, müssen andere Wege gefunden werden. Wenn der Beruf des Arztes sich auf Sterbehilfe bei medizinischen Krankheiten beschränkt, kann dies kein Grund sein, die existenziellen Leiden auszuschließen. Existenzielles Leid verschwindet nicht, weil es kein medizinischer Zustand ist.
(Übersetzung aus dem Niederländischen: Rudolf Mondelaers)