BERLIN. (hpd) Zur gleichen Zeit, in der die Kirchen zwei Olympiapfarrer nach Vancouver schicken, klagen sie über drohende Einnahmeverluste bei einer weiteren Steuerreform. (“Dann schreien wir laut aua“.) Natürlich nicht ohne den Hinweis, man werde “als erstes bei den Beratungsleistungen und den Kindertagesstätten sparen müssen, um den Kernaufgaben der Kirche weiter nachkommen zu können.”
Ein Zwischenruf von Matthias Krause
Damit lassen die Kirchen endlich mal die Katze aus dem Sack – nachdem sich insbesondere die Evangelische Kirche in den vergangenen Monaten bereits mehrfach gegen weitere Steuersenkungen ausgesprochen hatte. Allerdings (so z.B. die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann) mit der Begründung, diese seien angesichts der Staatsverschuldung ”ethisch nicht mehr vertretbar”. Auch der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hatte eher die Frage der sozialen Ausgewogenheit bei der Steuerreform betont. Dass die Kirchensteuereinnahmen als Annexsteuer der Einkommenssteuer durch die Steuerreform betroffen sein würden, war nur ein Randthema und über die Androhung möglicher Konsequenzen herrschte noch Stillschweigen.
Kein Grund zur Panik!
Mit gute Grund. Für die beiden Kirchen wäre es äußerst unattraktiv, in den beiden oben genannten Bereichen zu sparen. Und zwar aus zwei Gründen:
- Die Kirchen schneiden sich dabei ins eigene Fleisch, da es um den kirchlichen Nachwuchs bzw. die Auslastung ihrer eigenen Einrichtungen geht.
- Aufgrund des niedrigen finanziellen Eigenanteils in diesen Bereichen ist hier das Verhältnis von “Schaden” zu Einsparpotenzial extrem unattraktiv.
Das heißt, die Kirchen werden dort nicht als erstes, sondern als letztes sparen.
Das “Problem”, das keines ist
Wenn die Kirchen jammern – anders kann man es wirklich nicht nennen – dass sie bei Steuersenkungen Einnahmeausfälle zu erwarten haben, dann wird dabei unterstellt, dass der so genannte “Kirchensteuerhebesatz” – also der Prozentsatz von der Einkommensteuer, der zusätzlich als Kirchenfinanzierungsbeitrag in Form von Kirchensteuer zu entrichten ist - nicht verändert werden kann. Dieser Prozentsatz beträgt je nach Region 8 bzw. 9 Prozent.
Würde also eine Steuerreform bei diesem Hebesatz tatsächlich zu Mindereinnahmen bei der Kirchensteuer in Höhe von 15 Prozent führen, so bräuchte bloß der Hebesatz soweit angehoben zu werden, dass die Kirchenmitglieder – in absoluten Beträgen – wieder soviel Kirchensteuer zahlen wie zuvor.
Um 15% Ausfall zu kompensieren müsste der Hebsatz von 8 auf 9,4 Prozent und der Hebesatz von 9 auf 10,6 Prozent angehoben werden. Um es noch einmal deutlich zu machen: Dies erhöht die tatsächliche Belastung der Kirchenmitglieder nicht, sondern kompensiert nur die niedrigere Bemessungsgrundlage (Einkommensteuer). Die Kirchenmitglieder würden ziemlich genau soviel zahlen wie vorher.
Offensichtlich scheuen die Kirchen aber eine Erhöhung der Hebesätze (noch dazu über die psychologische 10-Prozent-Marke) wie der Teufel das Weihwasser. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die obigen Einwände der Kirchen unerheblich sind – von der Unverschämtheit einmal abgesehen.
Im Übrigen nehme ich an, dass die Kirchen die Hebesätze bei einer Steuerreform auch tatsächlich erhöhen würden – aber lieber wäre es ihnen offensichtlich, es käme gar nicht erst dazu, dass sie diesen (zu Unrecht) unpopulären Schritt tun müssen.
Kirchliche Kosten-Nutzen-Rechnung bei Kindertagesstätten
In den kirchlichen Kindergärten wird nicht nur der christliche Nachwuchs herangezogen, sondern es ergeben sich auch Möglichkeiten, die Eltern zum Eintritt oder Wiedereintritt in die Kirche zu motivieren (vgl. EKD-Studie “Schön, dass Sie (wieder) da sind!“, S. 72).
Dem stehen zwar in ihrer Gesamtheit verhältnismäßig hohe, auf die einzelnen Einrichtungen bzw. “pro Kopf” bezogen (und nur darauf kommt es hier an!) aber relativ niedrige Kosten gegenüber. In dem einschlägigen Standardwerk “Caritas und Diakonie in Deutschland” von Carsten Frerk heißt es dazu auf S. 190, der kirchliche Anteil an der Finanzierung konfessioneller Kindertagesstätten läge (bundesweit) bei etwa 10 Prozent. 15 Prozent sind Elternbeiträge, der Staat übernimmt 75 Prozent der Kosten. Außerdem heißt es: „[Die staatlichen] Zahlungen werden sich in den nächsten Jahren nicht nur um die üblichen Steigerungsraten erhöhen, sondern deutlich stärker ansteigen, da die konfessionellen Träger ankündigen, dass sie ihre Kindertageseinrichtungen schließen werden, wenn der Staat sie nicht höher als bisher finanziert, so dass die Kirchen keinerlei Zuschüsse mehr zu bezahlen haben. Im Bundesland Hamburg ist dieser „Einstieg in den Ausstieg“ im Juli 2001 bereits flächendeckend gelungen. Der Senat erhöht nicht nur seine bisherigen Zahlungen, sondern „alle neuen Plätze in kirchlichen Kitas im Rahmen des künftigen Ausbauprogramms werden zu 100 Prozent von der Stadt finanziert“.
Das heißt, die Schließung von Kindertagesstätten ist für die Kirchen mit gravierenden langfristigen Nachteilen verbunden, während das Einsparpotential gering – oder sogar gleich Null! – ist. Um ein Beispiel von Carsten Frerk (S. 192) aufzunehmen: Die Schließung einer kompletten evangelischen Kindertagesstätte mit 6,5 MitarbeiterInnen würde den kirchlichen Haushalt lediglich um die Finanzierung einer halben Stelle entlasten.
Kirchliche Kosten-Nutzen-Rechnung bei Beratungsstellen
Bei den kirchlichen Beratungsstellen wird der kirchliche Anteil an der Finanzierung auf ca. ein Viertel bis ein Drittel geschätzt (Carsten Frerk nennt in “Caritas und Diakonie in Deutschland” auf S. 180 die Zahl 27,6%, weist allerdings darauf hin, dass andere kirchliche Quellen auf einen wesentlich niedrigeren Anteil (2%) hindeuten.) Damit liegt der kirchliche Finanzierungsanteil – und damit das Einsparpotential – zwar u.U. höher als bei den Kindertagesstätten, allerdings erfüllen die kirchlichen Beratungsstellen eine wichtige “Zubringerfunktion” für andere kirchliche Einrichtungen:
Da auch in kirchlichen Gremien hart um die Verteilung der Gelder gerungen wird, braucht es schon eine überzeugende Begründung, warum Beratungsstellen bezuschusst werden sollen. Der Zweck wird deutlich wenn man berücksichtigt, dass die unterschiedlichen Einrichtungen eng miteinander verflochten sind und die Beratungsstellen nur die ihnen (konfessionell) zugeordneten Einrichtungen ‘bedienen’. Da diese stationären Einrichtungen (wie Krankenhäuser, Suchtkliniken, Erziehungsheime betreutes Wohnen, Familienferienstätten etc.) entweder komplett oder weitestgehend öffentlich finanziert werden oder Leistungsentgelte erheben, die sie von kirchlicher Finanzierung freistellen, bedarf es ihrer entsprechend kostendeckenden Auslastung. In diesem Sinne sind die Beratungsstellen dann so etwas wie ein Trichter, der die Auswahl von Maßnahmen und die Empfehlungen geeigneter stationärer Einrichtungen auf den eigenen Verband verengt bzw. beschränkt. (Caritas und Diakonie, S. 180)
Einsparungen bei den Beratungsstellen bergen also die Gefahr eines “Domino-Effektes”, der auf andere kirchliche Einrichtungen durchschlägt. Bei wiederum begrenztem Sparpotential.
Fazit
Die Äußerungen der Kirchen zeigen, dass die Kirchen ihre Eigeninteressen über alles stellen: Obwohl sie jede Steuerreform durch die Anpassung des Kirchensteuerhebesatzes einfach und aufkommensneutral kompensieren könnten – und die Kirchen somit überhaupt keinen Grund haben, sich einzumischen –, versuchen sie, den Gesetzgebungsprozess aufgrund rein “marketingtechnischer” Erwägungen in ihrem Sinne zu beeinflussen – selbst, wenn sie dadurch (oder besser gesagt: mit dem erklärten Ziel) eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger verhindern! (Ob es sich um eine tatsächliche Entlastung handelt, sei hier mal dahingestellt – entscheidend ist hier, dass die Kirchen offensichtlich selbst in diesem Fall dagegen sind.)
Im Zuge weiterer Steuerentlastungen werden die Kirchen, anstatt den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen, meiner Einschätzung nach lieber zähneknirschend den Hebesatz für die Kirchensteuer anpassen. Und außerdem natürlich auf weitere Kostenübernahmen durch den Staat drängen.