Mehr Sympathie für Autonomie?

Fragen Sie Ihren Abgeordneten, drängen Sie ihn, denn noch ist keineswegs sicher, wie die Kernfrage eines möglichen Patientenverfügungsgesetzes

 – mehr humanistische Autonomie am Lebensende durch Anerkennung von Patientenverfügungen oder mehr zurück zur christlich motivierten Lebenspflicht – entschieden wird. 

Es soll wohl nun doch schon bald (hpd berichtete darüber <Ende November>  und <vor Weihnachten>) aus dem Deutschen Bundestag ein Gesetz kommen über die künftigen Rechte von Schwerkranken und die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen – noch vor dem Herbst. Es wird der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion <Olaf Scholz> in der taz und anderswo zitiert, dass die Koalition auf der Klausurtagung der Fraktionsvorstände am kommenden Montag und Dienstag am Schwielowsee im Brandenburgischen Werder, Ortsteil Petzow, einen gemeinsamen Fahrplan für die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen festlegen will – „wahrscheinlich könne das Gesetz noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden.“ 

„Bis zu welcher Sommerpause?“, geht zwar schon der Witz um, verbunden mit der Botschaft, Frau Zypries sei dabei, auch dieses Gesetzgebungsverfahren auf ihre lange Warteschnur zu fädeln. Wenn all das, was aus ihrem Hause schon angesagt wurde, wirklich käme, müsste das Parlament Nachtsitzungen machen wie Stoibers auseinander stiebenden Truppenteile kürzlich im schönen Wildbad Kreuth. 

Gegen dieses Zeitfenster spricht auch, dass die meisten Abgeordneten noch gar nicht ahnen, was hier ethisch gesehen auf sie zukommt, von den Zumutungen, die die Kirchen an sie richten, mal ganz abgesehen. Die Katholische Kirche hat mit der Weigerung, den durch seine Euthanasie bekannt gewordenen Piergiorgio Welby kirchlich zu beerdigen, schon mal ein klares <Zeichen gesetzt>, „dass aktive Sterbehilfe in keinem Fall mit dem christlichen Glauben vereinbart werden kann." 

Gegen diese Eile sprechen zudem Einwände gegen die Gesundheitsreform. Ein solches Gesetz hier anzubinden, hätte zwar die Logik des sachlichen Zusammenhangs auf seiner Seite (Teil der Gesundheitspolitik). Doch einen Schritt hin zu einem liberaleren Umgang mit der Sterbehilfe unter dem Tenor des Sparzwanges auszuhandeln, würde die ethische Dilemmasituation, die nun einmal besteht, weil Menschen in ihr eigenes Leben verkürzend eingreifen und andere sie dabei unterstützen, auf die Ebene der Ökonomie heben. Darunter würde das Thema leiden, denn Leidensverkürzung ist etwas anderes als Krankenkassengeld sparen durch Lebensverkürzung. 

Gegen Pessimismus in dieser Sache spricht nun wiederum, dass es das Parlament selbst in die Hand nehmen will, die Verfügung über den Patientenwillen gesetzlich zu regeln. Schon im Februar soll es die erste Debatte im Plenum geben. Was spricht darüber hinaus für eine Wende hin zu einem Patientenverfügungsgesetz, das dem Patientenwillen folgt? 

  • Erstens gibt es in dieser Frage geistige Übereinstimmungen zwischen der FDP und („dominanten“?) Teilen der SPD. Der Entwurf des SPD-Rechtspolitikers Joachim Stünker sieht vor, dass eine Patientenverfügung „unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung“ generell bindend sein soll. Nur bei Zweifeln am mutmaßlichen Patientenwillen sei das Vormundschaftsgericht einzuschalten.
  • Zweitens werden dagegen stehende Positionen immer öfters von Experten öffentlich kritisiert, auch in Medien, die den Konservativen nahe stehen. So zitiert diese Woche die FAZ den bekannten Münchner Palliativmediziner Gian Domenico Borasio, der fordert, Ärzte gesetzlich zum Befolgen von Patientenverfügungen zu <verpflichten>: „Vorschläge, etwa des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU Bosbach und des SPD-Politikers Röspel, dass Patientenverfügungen nur bei unumkehrbar tödlichen Krankheiten Anwendung finden sollten, seien weltfremd, bevormundend und fundamentalistisch.“ 
  • Drittens gehen Politiker aus der Deckung, wie der schleswig-holsteinische Justizminister <Uwe Döring>, der in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ am 3. Januar gesetzliche Bestimmungen über Patientenverfügungen für geboten hält. Selbst Bayerns Justizministerin <Beate Merk> meint inzwischen öffentlich – auf der CSU-homepage! –, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht seien der sicherste Weg, um über sein Schicksal bei unheilbarer Krankheit zu bestimmen. Sie fordert eine gesetzliche Regelung, um Zweifel über die Rechtslage zu beseitigen.
  • Viertens geben die Medien immer mehr Prominenten das Wort, die für Patientenverfügungen auftreten. Seit 20 Jahren leidet der „Derrick“-Star Horst Tappert (83) an Diabetes. Er ist heute pflegebedürftig, doch weder ein tödlicher Verlauf noch ein Sterbeprozess sind bereits absehbar. Tappert hat sich Gedanken gemacht, was passiert, wenn sich die Folgen der schweren chronischen Krankheit verschlimmern oder er aus anderen Gründen bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert würde. „Focus online“ zitiert die „Neue Post“ vom 17. Januar, die wiederum Tappert selbst <das Wort gibt>: „Ich habe eine Patientenverfügung gemacht. Ich will nicht, dass mein Leben künstlich verlängert wird ...“. Er will bereits heute keine intensivmedizinischen Maßnahmen mehr, auch nicht im Koma erst noch lange Zeit auf ein Wunder warten müssen, bevor er sterben darf. 
  • Fünftens häufen sich Artikel, die sich der deutschen Sterbe-Realität zuwenden. Sie begrüßen zwar die Zunahme des Interesses für Palliativmedizin, verbreiten aber Skepsis hinsichtlich rascher Verbesserungen auf diesem Gebiet: Dreißig bis fünfzig Betten pro eine Million Einwohner brauchten die hundert Palliativstationen in Deutschland. Zur Verfügung stehen aber nur neun Betten – so in einer Rezension in der <„ZEIT“>.
  • Sechstens berichten Zeitungen zunehmend über öffentliche Veranstaltungen vor Ort zum Thema Patientenverfügungen, in denen kirchliche Autoritäten sich in Widersprüche verwickeln. So berichtet die „Münstersche Zeitung“ aus Metelen, wo die dortigen Landfrauen letzte Woche ihre Mitgliederversammlung abhielten, dass der Wettringer Diakon Bernhard Rathmer über „Christliche Patientenverfügungen“ <sprach>. In der Diskussion sei dann die Frage aufgekommen, ob der Mensch selbst über sein Leben verfügen könne oder ob er es in Gottes Hand lassen müsse. „Das Leben ist für uns Menschen nicht frei verfügbar, erklärte der Referent aus christlicher Sicht. ... Allerdings gehe man auch in der katholischen Kirche inzwischen von anderen Erkenntnissen aus. Nicht jede technische Möglichkeit müsse bis zuletzt eingesetzt werden, um ein Leben zu verlängern. Rathmers abschließendes Fazit: Der Mensch hat das Recht auf Selbstbestimmung und auf körperliche Unversehrtheit“ – also Selbstbestimmung und Nicht-Selbstbestimmung: Zumindest das Nachdenken setzt ein. 
  • Siebtens rufen inzwischen Patienten- und Betroffenenverbände dazu auf, im Sinne einer umfassenden, uneingeschränkten Wirksamkeit von Patientenverfügungen Bundestagsabgeordnete ihres Bezirks anzuschreiben und zu Aufklärungsveranstaltungen aufzufordern. Namhafte medizin-ethische Experten einer AG innerhalb der „Akademie für Ethik in der Medizin“ bieten in ganz Deutschland Hilfe bei Wahlkreisveranstaltungen an, um eine möglicherweise drohende restriktive Einschränkung der Patientenverfügungen abzuwenden. Die „Bundeszentralstelle für Patientenverfügungen des Humanistischen Verbandes Deutschlands“ bietet hier <Hilfe und Referentenvermittlung> an.

Zu den Betroffenenverbänden zählt auch der „Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener in Deutschland“, deren Pressesprecher René Talbot vorige Woche dem „Neuen Deutschland“ <erklärte>: „Wir fordern, dass die Patientenverfügung prinzipiell und unabhängig von dem Krankheitsstand gültig sein soll. Es ist Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts des Erwachsenen und somit der Würde des Menschen. Das ist auch der Wunsch vieler Menschen, mit denen wir zu tun haben. Wir empfehlen ihnen, an jeweils alle Bundestagsabgeordneten des Bezirks Briefe zu schreiben, in denen sie diese Position deutlich machen.“ 

Dieses Anliegen – Bürgerinnen und Bürger: Bewegt Euren Abgeordneten zur Stellungnahme! – ist unbedingt zu befördern, denn es besteht durchaus Anlass zur Sorge, dass eine gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit der Patientenverfügungen faktisch durch die Verabschiedung eines „flauen Kompromisses" unterlaufen wird, z.B. in Bezug auf Reichweitenbegrenzung, Formerfordernisse, durch die Hürde einer „Beratungspflicht" oder was Gegnern einer Autonomie am Lebensende sonst noch einfällt. 

GG