Die Entmystifizierung des Glaubens in Dahlem

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Veranstaltungsplakat

BERLIN. (hpd) Das Institut für Religionswissenschaft in Kooperation mit dem Dahlem Humanities Center der Freien Universität Berlin in Berlin-Dahlem hatten zu einem Gastvortrag von Daniel Dennett eingeladen und die verfügbaren Plätze waren bereits lange vor der Veranstaltung komplett ausgebucht.


Ein Bericht von Laura Kase

Wenn man an die international bekannte und angesehene Elite im debattierfreudigen Feld des so genannten „Neuen Atheismus“ denkt, so führt kein Weg an den vier Namen Dawkins, Hitchens, Harris und Dennett vorbei. Vermutlich hat jeder, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, bereits mehrere Bücher dieser großartigen modernen Denker und Wissenschaftler im Regal stehen und auch die online verfügbare 12-teilige Diskussion der „Four Horsemen“ (dt. „apokalyptische Reiter“) ist mittlerweile zu einem kleinen „Must-See“ in der Welt der jüngeren, Internet affinen Freidenkergemeinschaft geworden.

So war es nicht verwunderlich, dass die ca. 300 verfügbaren Plätze bei dem Vortrag von Daniel Dennett, der vergangenen Mittwoch, den 23. Juni 2010, am frühen Abend an der Freien Universität in Berlin statt fand, in kürzester Zeit vollständig reserviert waren. Organisiert wurde der Vortrag von den Religionswissenschaftlern und dem Dahlem Humanities Center, welches sich als Netzwerk geisteswissenschaftlicher Forschung an der FU Berlin versteht und es sich zum Ziel gesetzt hat, enge Kooperationen sowohl international mit anderen Universitäten als auch regional mit außeruniversitären Forschungs- und Kultureinrichtungen einzugehen.

Genauso wissenschaftlich orientiert wie das Team, welches also hinter der Durchführung des Vortrags stand, war auch Dennetts Thema mit dem Titel „Die Evolution und Domestizierung der Religionen“. Entsprechend studentisch und wissbegierig wirkte auch das Publikum und die einzige Gruppe von FU Studierenden, die sich nicht begeistert von Dennetts Anwesenheit zeigte, waren die „Kritischen PolitikwissenschaftlerInnen“, welche – nur durch eine Person vor Ort vertreten- direkt vor dem Hörsaal Handzettel an die Besucher ausgaben, auf denen sie vor der zu stark neoliberalisierten Kultur der FU warnten und Dennetts Werk als biologistisch und atheistisch-fundamentalistisch bezeichneten.

Die üblichen Vorwürfe, möchte man meinen, jedoch wurde sein Werk hier auf eine Stufe mit dem Sozialdarwinismus und Sexismus gestellt, was eine nicht ganz übliche und daher etwas erschreckende Form der Diffamierung des aufklärerisch-kritischen Humanismus darstellte.

Während man sich gerade wieder mit der ernüchternden Erkenntnis abgefunden hatte, dass selbst unter vermeintlich frei denkenden, aktiv engagierten Studenten die fundamentalen Ideen von Persönlichkeiten wie Dennett und Dawkins immer noch solch extremen ideologischen Protest hervorrufen, begann Daniel Dennett seine Vorlesung und ließ einen mit seiner fesselnden Redeweise schnell die Kritiker vergessen. Inhaltlich orientierte sich seine etwa einstündige Präsentation stark an seinem 2006 erschienenen Bestseller „Breaking the Spell“ (dt. „Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen“) und stellte vermutlich für alle jene, die sein Buch noch nicht allzu gut kannten, eine ganz besonders spannende neue Sichtweise auf das Thema der modernen Betrachtung der Religionen dar.

Entmystifizierung und Enttabuisierung der Religionen

Seine Hauptaussage ist die notwendige Entmystifizierung und Enttabuisierung der Religionen als ein Feld der wissenschaftlichen Forschung, die sich insbesondere die kulturelle Evolution der modernen Religionen als Angelpunkt ausgewählt hat. Damit knüpft Dennett direkt an Dawkins an, der auch bereits weit entwickelte Thesen zum Thema Ursprung und biologischer Zweck von Religiösität vorgestellt hat.

Dabei kamen Dennett, der auch Professor an der Tufts University ist, nicht nur seine besonders charmante und entspannt-sachliche Art, seinen Thesen vorzutragen, zugute, sondern auch sein Händchen dafür, einen sehr wissenschaftlichen Sachverhalt mit der richtigen Portion Humor und leicht zugänglichen Metaphern und Gleichnissen äußerst illustrativ zu gestalten. Für alle Anwesenden, die des Englischen mächtig waren, war dieser Vortrag ein wahrer Ohrenschmaus, der einen mit dem Wunsch zurück ließ, regelmäßig Vorlesungen dieses faszinierenden Philosophen besuchen zu dürfen.

Natürlich ließ es Dennett sich nicht nehmen, seinen Vortrag mit einem eindringlichen Plädoyer für die aktive Religionskritik zu beenden, wobei er insbesondere auf das politische Phänomen der alltäglichen Verhaftung und gar Hinrichtung von „Kriminellen“ hinwies, die sich das opferlose „Verbrechen“ der Blasphemie zu Schulden haben kommen lassen.

Solange solch unzivilisierte und nicht tolerierbare Ereignisse im Namen irgendeiner Religion oder irgendeines Gottes stattfänden, wäre der Bann seiner Meinung nach noch nicht erfolgreich gebrochen, sagte er gegen Ende des Abends.

Der beste Satz am Schluss

Der beste und schönste Schlusssatz folgte jedoch seinerseits am Ende der Frage und Antwort Runde, als ein ungeduldiger junger Mann darauf bestand, Religionen mit sofortiger Wirkung beseitigen zu müssen und den Vortragenden um Rat fragte, wie dies zu erreichen sei. Mit einem ruhigen Lächeln antwortete Dennett, dass wir uns alle gedulden sollten, da die Zeit ganz klar auf unserer Seite sei und nicht die vollständige Verbannung von Religionen die ultimative Lösung sei, sondern die grundlegende Veränderung derselben. „Denken Sie immer daran - Religionen haben sich in den letzten 100 Jahren mehr verändert, als sie es in 1000 Jahren getan haben, und sie werden sich vermutlich in den nächsten zehn Jahren mehr verändern, als sie es in den letzten Hundert getan haben.“

Wenn man also eine Lektion aus diesem Abend ziehen konnte, so war es das, was Dennett als die ganz natürliche, verständlicherweise immense Angst der Theologen vor den Wissenschaftlern bezeichnete. Gerade weil der wissenschaftliche Humanismus, Atheismus und Naturalismus so schnell an Einfluss gewinnt und weil das Schutzfeld der Religion merklich verschwindet, ist die Resonanz an vielen Stellen so negativ gegenüber dieser intellektuellen Strömung. In diesem Licht betrachet war auch die Anwesenheit der kritischen PolitikwissenschaftlerInnen am Beginn des Abends eventuell einfach nur das - ein Kompliment für die aufklärerische Renaissance der Streitkultur und ein weiterer Beweis dafür, dass unsere großen Denker wie Dennett nur noch die Wenigsten wirklich kalt lassen. Und vielleicht ist das ja auch schon der erste und wichtigste Schritt, um den scheinbar ewigen „Bann“ bald endgültig zu brechen.

(Fotos: Laura Kase)

 

Nachtrag (29.6.2010)

Dazu gibt es jetzt den hpd-podcast 16/2010: Philipp Möller im Gespräch mit Daniel Dennett.