hpd: Sie gehören ja zu den ersten wissenschaftlichen Beiräten der Giordano Bruno Stiftung und das „Manifest des evolutionären Humanismus“ hat, obwohl es sehr anerkannt ist und viele Themen berührt, noch einen ‚weißen Fleck’, die bisher fehlende Wirtschaftsethik. In dieser Hinsicht wäre das doch ein möglicher Einstieg? Die Selbstbestimmtheit der eigenen Entscheidung wäre das eine Primat und die ethische Einbindung in eine Gesamtheit der andere Bezugspunkt. Und die Frage, wie man das miteinander verbindet.
Streminger: Genau. Das wäre auch ein unerlässlicher Blick in eine gedeihliche Zukunft. Denn für das Überleben des gar nicht mehr so blauen Planeten Erde wäre wohl nichts wichtiger, als das es Menschen gelänge, die Grundlagen einer öko-sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln. Ökologie – ich glaube jeder vernünftige Mensch weiß inzwischen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Erde ist für uns, so wie wir wirtschaften, einfach zu klein. Es wäre also dringend vonnöten zu lernen, mit Weniger besser zu leben. ‚Mit Weniger leben’ gilt zunächst natürlich nur für Wohlhabendere, aber das Ziel müsste sein: die Grundbedürfnisse aller zu sichern, nachhaltiger zu wirtschaften und schließlich mit Weniger besser zu leben. Das wäre die erste, die ökologische Komponente, und hier wären gerade auch Philosophen gefordert, nämlich aufbauend auf dem alten Wissen der Stoiker und Epikureer sich immer wieder neu zu fragen: Was ist denn heute überhaupt noch ein gutes Leben! Sind nicht viele der besten Dinge im Leben ohnedies umsonst?
Die soziale Komponente einer öko-sozialen Marktwirtschaft ist genau das, was die Altvorderen mit den schrecklichen Erfahrungen der 1930er Jahre noch präzise vor Augen hatten: dass es eines Sicherheitsnetzes für Schwächere bedarf. Denn auch sie haben das Recht, dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind, und sie dürfen sich nicht deshalb radikalisieren, weil sie sich von der Gesellschaft in Stich gelassen fühlen. Die neoliberalen Marktschreier haben diese Sicherheitsnetze dann als Fesseln beschimpft, auf subtile Weise erfolgreich Lobbyismus betrieben, und die Folge? Der Sozialstaat wird nicht mehr als eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften Europas gesehen, sondern beginnt immer mehr zu bröckeln – und damit auch die Kohäsion innerhalb der Gesellschaft, das Gefühl der grundsätzlichen Verbundenheit mit anderen.
Die einen werden immer reicher – das sagen alle Theoretiker, linke wie rechte – und diese Reichen empfinden die anderen immer mehr als Bedrohung; und die da unten werden immer zahlreicher, haben immer weniger Aufstiegschancen und stehen somit der Gesellschaft zunehmend fremd gegenüber. Durch die mangelnde Kohäsion – Ghettos hier, eingezäunte Siedlungen dort – sinken schließlich bei allen die Aggressionsschwellen. Bei uns ist das natürlich noch um vieles besser als anderswo, aber die Tendenz ist eindeutig: Der Wohlfahrtsstaat wird vielerorts fast schon als Übel gesehen und als unfinanzierbar behauptet.
Meinens Erachtens enthüllt die neoliberale Behauptung, dass es der Gesellschaft dann gut geht, wenn es vielen schlecht geht, nicht nur eine rüde Gleichgültigkeit gegenüber Schwächeren, sondern auch historische Scheuklappen. Wie üblich, vermag der Glaube – hier: der Glaube an die Allmacht des Marktes und an eine übernatürlichen Unsichtbare Hand – wieder einmal Berge von Wissen zu versetzen. Jahrzehnte lang wurde der politische Diskurs zu einem Gutteil von Leuten bestimmt, die ein wenig an Dagobert Duck erinnern, der bekanntlich nicht mehr schwimmen konnte, weil er sein Schwimmbad mit Geld voll gestopft hatte. Aber selbst Planschbecken scheinen zu genügen, um die politische Debatte weiterhin zu dominieren. Denn anders ist wohl kaum zu erklären, dass es nun von überall her tönt: Sparen, Sparen, Sparen. Aber warum heißt es nicht: Zahlen, Zahlen, Zahlen, gerichtet an Superreiche, an Banken und an Finanzjongleure, die ohne Verantwortungsgefühl ihrem Spieltrieb frönten und die halbe Weltwirtschaft ins Chaos stürzten? Diese musste dann vom ach´ so bösen Staat, also von uns allen, wieder so halbwegs ins Lot gebracht werden. Und zum Dank werden nun jene, die die Krise gar nicht verursacht haben, auch noch zur Kasse gebeten.
Aber wir dürfen das Kind natürlich nicht mit dem Bade ausschütten. Ich sagte, dass ich Anhänger einer öko-sozialen Marktwirtschaft bin. Wir benötigen – die Erfahrungen des Ostblocks haben das wohl mit aller Deutlichkeit gezeigt – einen funktionierenden Markt mit jenem Individualismus, der damit notwendigerweise einhergeht. Aber der Markt sollte primär nicht auf Konkurrenz basieren, sondern auch auf Kooperation und Nachhaltigkeit. Der Handel müsste, was auch Adam Smith hoffte, imstande sein, ein Band der Freundschaft zu knüpfen.
Das klingt ziemlich verrückt, aber völlig utopisch ist es nicht. Denn wenn zum Beispiel die Person A etwas von der Person B haben möchte, das für diese nicht so wichtig ist (weil B genügend davon hat, zum Beispiel Geld), und wenn die Person B etwas von der Person A für den Tausch bekommt, beispielsweise etwas von deren Arbeitskraft, also vom Eigentum (!) der Person A, das laut Verfassung vom Staat geschützt werden muss …. Eine solche Situation wäre grundsätzlich Gewinn bringend für beide. Wenn alles mit Rücksicht und in Fairness abläuft, und alle Markteilnehmer gut informiert sind, dann kann der Handel wie in diesem Beispiel tatsächlich ein Band der Freundschaft knüpfen, auch über Grenzen hinweg, und so den Frieden sichern bzw. erst ermöglichen.
Hier benötigen wir aber dringend einen großen Entwurf, einen neuen Wealth of Nations, in dem die jeweiligen Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen werden. So kann beispielsweise der freie Handel über große Entfernungen hinweg zum Frieden beitragen, schafft aber gleichzeitig beträchtliche ökologische Probleme. Eben diese ökologische Seite hat Smith in seiner Politischen Ökonomie noch nicht bedacht, wohl aber die ethische.