Interview

100 Jahre BBC

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Das BBC Broadcasting House in London.

Am 18. Oktober 1922 wurde in Großbritannien die BBC gegründet. Sie ist die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt. Über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der British Broadcasting Corporation führte hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg ein Interview mit dem Historiker Prof. Miles Taylor.

hpd: Herr Prof. Taylor, für die meisten Nicht-Briten gehört die BBC so sehr zu Großbritannien wie Sherlock Holmes und Tea Time. Was verbinden die Menschen in Großbritannien mit der BBC – und was assoziieren Sie persönlich mit ihr?

Miles Taylor: Heutzutage, wo die BBC mit so vielen anderen Medien konkurriert, verbinden die meisten Menschen in Großbritannien die Marke BBC mit populären Programmen. Jeder hat seinen eigenen Favoriten, wie die Soaps ("East Enders") oder die Unterhaltungsshows am Samstagabend wie "Strictly Come Dancing" oder Sport wie "Match of the Day". Auch als Quelle für Nachrichten und öffentliche Informationen genießt die BBC großes Vertrauen. Vorbei sind allerdings die Zeiten, in denen die BBC den Rundfunk – insbesondere das Fernsehen – dominierte und in gewisser Weise für die ganze Nation sprach. Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist, wie ich mit dem Rest meiner Familie "Dr. Who" auf einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher im fernen Neuseeland gesehen habe: eine sehr surreale, aber auch der Bestätigung dienende Version der britischen Identität, die auf die andere Seite der Welt exportiert wurde!

Die BBC ist die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt und wurde am 18. Oktober 1922, also heute vor 100 Jahren, gegründet. Allerdings wurde sie nicht aus edlen journalistischen Gründen geschaffen, sondern aus recht profanen wirtschaftlichen ...

Verschiedene kommerzielle Unternehmen stellten die Kontrolle der britischen Post über die telegrafische Kommunikation in Frage. Im Jahr 1922 gründeten sechs von ihnen, darunter Marconi und General Electric, eine Gesellschaft mit dem Namen "British Broadcasting Company Ltd", die von der Post lizenziert wurde, um Signalstationen im ganzen Land einzurichten, und auch, um Radiogeräte zu verkaufen. 

Prof. Miles Taylor
Miles Taylor ist Professor für Britische Geschichte und Gesellschaft am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin. (Foto: privat)

Die BBC war also zunächst ein privates Unternehmen, aber das hat sich dann ja recht schnell geändert. Wie kam es dazu und was genau änderte sich?

Das neue Konsortium scheiterte in finanzieller Hinsicht, da nicht genügend Einnahmen aus dem Verkauf von Radiogeräten erzielt werden konnten. Daher setzte sich die BBC unter der Leitung ihres Generaldirektors John Reith für eine Ausweitung der Rundfunkgebühren ein, was bedeutete, dass der Dienst aus Steuermitteln finanziert werden sollte. Die britische Regierung war davon nicht überzeugt. Der Wendepunkt kam 1926, während des Generalstreiks, als die BBC das Vakuum füllte, das durch die Schließung der Zeitungen und anderer Schlüsselindustrien entstanden war. Nachdem er die Notwendigkeit eines öffentlichen Rundfunks während eines nationalen Notstands nachgewiesen hatte, gewann Reith die Diskussion und die British Broadcasting Corporation nahm am 1. Januar 1927 ihren Betrieb auf.

Heute ist es schwer vorstellbar, aber die BBC hatte tatsächlich jahrzehntelang ein Monopol im Bereich Radio und Fernsehen. Hatte das irgendwelche positiven oder negativen Auswirkungen?

John Reith wollte das Monopol nicht nur aus Gründen der finanziellen Stabilität, sondern auch, um sich der Kommerzialisierung nach amerikanischem Vorbild zu widersetzen. Reith, ein schottischer Calvinist, sah die Aufgabe der BBC nicht nur in der Unterhaltung, sondern auch in Information und Bildung. Er brachte ein starkes moralisches Ethos in das BBC-Radio ein, das auch in späteren Jahrzehnten, als die BBC ihre Fernsehkanäle und andere Formen der Produktion entwickelte, Bestand hatte. Ohne große Konkurrenz (das kommerzielle Fernsehen kam erst in den 1950er Jahren auf, und selbst dann nur auf regionaler und nicht auf nationaler Ebene) und mit einem festen Publikum (durch die Rundfunkgebühr) verließ sich die BBC auf ihren Ruf und vermied Risiken, weil sie ja versuchte, sich an den allgemeinen Zuschauer zu wenden. Viele Neuerungen im britischen Rundfunk – zum Beispiel investigativer Journalismus (z.B. "World in Action") oder kulturelle und intellektuelle Programme (z.B. "Horizon", "South Bank Show") – wurden von ITV, dem kommerziellen Sender, eingeführt. Auch bei der Förderung der Vielfalt tat sich die BBC schwer. Der erste schwarze Nachrichtensprecher (Trevor McDonald) trat bei ITV auf und es waren Soaps wie "Brookside" (Channel 4), die durch die Einbeziehung von LGBT-Figuren Grenzen verschoben haben.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die BBC trotzdem einen ausgezeichneten Ruf für Unterhaltung und Dokumentarfilme, aber vor allem für Journalismus erarbeitet. Kritischer Journalismus wird jedoch nicht von allen im Vereinigten Königreich (und weltweit) begrüßt. Vor allem die konservative Regierung scheint es auf die BBC abgesehen zu haben. Wann hat dieses Zerwürfnis begonnen?

Von Anfang an – der Generalstreik von 1926 ist ein gutes Beispiel – war die Beziehung zwischen der BBC und der Regierung von Spannungen und Debatten geprägt, da die BBC versucht, ihre Unparteilichkeit zu wahren. Beide Seiten brauchen sich gegenseitig. Ohne öffentliche Gelder kann die BBC nicht überleben – oder wenigstens nicht mit anderen Sendern konkurrieren, insbesondere jetzt, wo es Streaming-Dienste wie Netflix, Apple und Amazon Prime gibt. Ohne die BBC verfügt die Regierung aber auch nicht über einen zuverlässigen und maßgebenden Kommunikationskanal. Deshalb gab es immer wieder Kontroversen: die Suezkrise 1956, Nordirland in den 1970er und 1980er Jahren, der zweite Golfkrieg 2003 und natürlich der Brexit 2016. Aktuell ist die Stimmung ziemlich vergiftet. Das spiegelt jedoch eine allgemeine Polarisierung der Politik im Vereinigten Königreich seit 2016 wider. Gleichzeitig hatte die BBC viele eigene interne Probleme, wie die Enthüllungen über Jimmy Saville (der berühmte Moderator, der in zahlreiche historische Fälle von Kindesmissbrauch verwickelt war) und auch Auseinandersetzungen über die mangelnde Gleichstellung der Geschlechter bei der Bezahlung von Top-Moderatoren. Diese Kontroversen machen die BBC anfällig für Kritik, was die derzeitige Regierung zu ihrem Vorteil nutzt.

Die BBC ihrerseits scheint in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst um sich selbst inzwischen aber doch auch eine gewisse Beschwichtigungsstrategie für Konservative zu fahren. Anlässlich des Todes der Königin gab es zum Beispiel allerlei Kritik, weil antimonarchistische Stimmen bei der BBC nicht oder kaum zu Wort kamen.

Die Monarchie ist meiner Meinung nach ein Sonderfall. Das moderne Königshaus und die BBC haben sich in den letzten 100 Jahren gemeinsam entwickelt. Darüber gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten. Es ist eine wechselseitige Beziehung. Aus Sendungen wie Martin Bashirs Panorama-Interview mit Prinzessin Diana im Jahr 1995 oder Prinz Andrews katastrophalem "Newsnight"-Interview im Jahr 2019 wissen wir, dass die königliche Familie die BBC gerne nutzt, um ihre Botschaft zu verbreiten. Und obwohl es stimmt, dass die BBC der Monarchie gegenüber respektvoller und rücksichtsvoller ist als die meisten britischen Medien (insbesondere die Boulevardpresse) – beispielsweise verbot sie 1977 anlässlich des silbernen Thronjubiläums der Königin den monarchiefeindlichen Song "God Save the Queen" der Punkrockband Sex Pistols –, hat die BBC allein dadurch, dass sie der königlichen Familie so viel kostenlose Berichterstattung bietet, dazu beigetragen, die Monarchie zu entmystifizieren und sie zum Gegenstand von Sensationslust und Klatsch zu machen.

George Orwell vor der BBC
Statue von George Orwell vor dem BBC Broadcasting House in London. (© JRennocks, Wikimedia Commons,

CC BY-SA 4.0)

In Deutschland sind vor allem Konservative und Rechte oft ebenfalls nicht gut auf die öffentlich-rechtlichen Medien zu sprechen. Manche wollen sie sogar ganz abschaffen – ebenso wie in Großbritannien. Halten Sie es für eine gute oder schlechte Idee, öffentlich-rechtliche Medien abzuschaffen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass öffentlich-rechtliche Medien wie die BBC abgeschafft werden, auch wenn die Atmosphäre im Vereinigten Königreich derzeit ziemlich vergiftet ist. Das vergangene Jahrhundert deutet darauf hin, dass eher die Marktkräfte als politische Eingriffe die Zukunft der BBC bestimmen werden. Die BBC ist bereits eine stark kommerzialisierte Organisation. Seit der Generaldirektion von John Birt in den 1990er Jahren wird sie weniger wie ein staatliches Unternehmen und mehr wie ein kommerzielles Unternehmen geführt. Die BBC hat immer wieder bewiesen, dass sie sich anpassen kann, zuletzt mit der Einführung des i-Players und ihrer Social-Media-Plattformen. Und bisher ist es keiner anderen Nachrichtenorganisation gelungen, die Vormachtstellung der BBC im Radio und Fernsehen anzufechten, obwohl es inzwischen Sky News, Times Radio und andere Kanäle gibt.

Was wünschen Sie dem heutigen Geburtstagskind für seine Zukunft?

Weitere 100 Jahre natürlich! 2017 enthüllte die BBC eine Statue von George Orwell vor dem Broadcasting House, ihrem Hauptsitz im Zentrum Londons. Orwell hat für die BBC gearbeitet, aber er wusste auch um die schrecklichen Gefahren der Propaganda (das Ministerium für Wahrheit in seinem Roman 1984 ist der britischen Kriegspropaganda nachempfunden). Unter der Statue stehen seine Worte "Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen". Hoffen wir, dass die BBC dies auch im Jahr 2122 noch tut!

Das Interview wurde auf Englisch geführt. Übersetzung: Daniela Wakonigg.

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