FRANKFURT/M. (hpd) “Es waren immer wenige, die die Welt verändert haben.” Mit diesem lächelnd vorgetragenen Bonmot eröffnete die Berliner Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates vor den rund 30 Gästen die Herbstvortragsreihe der “Säkulare Humanisten – Freunde der gbs” (in Zusammenarbeit mit DiKom e.V.) in Frankfurt am Main. Die, die den Weg zu uns nicht gefunden hatten, verpassten die Gelegenheit, die jüngst mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnete Referentin hautnah zu erleben.
“Wann fahren Sie wieder in Ihre Heimat?”
Ausschlaggebend für ihr 2006 veröffentlichtes Buch “Der Multi-Kulti Irrtum” war ihre Unzufriedenheit mit dem Status der deutschen Einwanderer. Nicht nur wurden Seyran Ates und viele ihrer Freunde des öfteren gefragt, wann Sie gedenken, wieder nach Hause zu fahren. Solche Formulierungen brachten gerade die Juristin in ihr zum Nachdenken: Denn Deutschland ist kein Einwanderungsland, da es an den Einwanderungsgesetzen mangelte. Und es waren nicht zuletzt diese Erfahrungen, die sie zu ihrer Meinung veranlasste, “Multi-Kulti sei organisierte Verantwortungslosigkeit”. Dabei empfand sie Deutschland längst als ihre Heimat.
So hält die gläubige Muslimin Ates das Verschweigen und Verharmlosen von Gewalt selbst für Gewalt und kritisiert hierbei, dass sich Deutschland (und Europa) hier quasi einbunkert und dort eine Unterscheidung trifft zwischen sogenannten Ur-Deutschen und “den Anderen”.
Die Entstehung von Parallelgesellschaften wird dadurch begünstigt, wenngleich auch ein geringer Teil anderer Kulturen aus sich heraus keine Assimilation und keine Annäherung an demokratische Werte wünsche und auf radikale Abgrenzung pocht. Nicht nur die weltweiten aktuellen religiös-politischen Entwicklungen sprechen hierbei eine deutliche Sprache. Auch in Deutschland sind die ersten Anzeichen schon seit langem nicht mehr zu übersehen. Ates: “Die (Islamisten -Red.) hassen uns, so wie wir sind”.
Ihr Gegenmodell ist das der Transkulturalität, welches sie sich als europäische Leitkultur wünscht und in der die Beachtung und Wahrung der Menschenrechte unumstößlich sind. Einen Kultur-Relativismus, der fremden Kulturen einen eigenen gesellschaftlich-rechtlichen Entfaltungsraum ermöglicht, lehnt sie scharf ab. Identitäten sollen sich verzahnen, erstrebenswert ist ein Zusammenleben in Vielfalt: Das sei positiv.
Bereits vor acht Jahren wies Ates – damals als Mitglied der Deutschen Islam Konferenz – auf besorgniserregende Entwicklungen der Radikalisierung hin, doch stand sie mit ihrer Meinung weitgehend alleine. Inzwischen hat sich die bundesdeutsche Politik dafür entschieden, mit den Verbänden ins Gespräch zu kommen, statt auf Einzelpersonen zu setzen. Die Referentin bezweifelt hierbei, ob die unterschiedlichen Stimmen und Stimmungen von Verbänden, die sich medial mitunter gerne mit einem Feigenblatt schmücken, zu einem Mehr an Miteinander führen.
“Multi-Kulti ist organisierte Verantwortungslosigkeit”
Die anschließende Diskussionsrunde mit dem Publikum verlief engagiert, bisweilen hitzig. Neben der Zustimmung nach dem Finden und Leben gemeinsamer Wertvorstellungen entzündete sich der Streit um den richtigen Königsweg: Multi- oder Transkulturalismus?
Die einen wollen von ihrem Wunsch eines gleichberechtigten Miteinander nicht loslassen: “Wurde früher von Türken gesprochen, rede man heute nur noch von Muslimen.”
Dahinter könnten sich in der Tat Ressentiments des Okzidents gegenüber dem Orient verbergen. Der bundesdeutsche Fokus veränderte sich in den beiden letzten Dekaden weg von den Kulturen hin zu den Religionen, wobei eine gegenseitige Beeinflussung augenfällig erscheint. Ein Klassenkampf der Ideologien: hier der sogenannte christlich-abendländische Westen, der sich allerdings zu Unrecht die Werte der Aufklärung auf die Fahnen schreibt, dort der als mitunter rückständig gekennzeichnete Islam, der sich mit Demokratie schwer tut und daher in der Entwicklungsstufe scheinbar unter uns steht. Gestrandet und zerrieben erscheint der einzelne Mensch, der den Ort seiner Geburt nicht auszuwählen vermochte und mit all seinen Sorgen und Sehnsüchten diesseits und jenseits des Mondes als gleichwertig anzusehen ist.
Die anderen sehen in der Überwindung der kulturellen Grenzen die Grundlage für ein gegenseitiges Anerkennen eigener und fremder Einflüsse geschaffen.
Die Gemeinsamkeit von Multi- und Transkulturalismus erfordert jedoch eine unabdingbare Voraussetzung: Das Mittel der Argumentation ist die Kraft der Sprache und niemals die Kraft einer körperlich angedrohten Gewalt. Das Christentum hat sich dieser Einsicht nach Jahrhunderten anscheinend gefügt. Der Islam hat seine Ränder nicht im Griff.
Das Spektrum des Hasses ereilte auch Seyran Ates selbst, die von mutmaßlichen Vertretern der Organisation “Graue Wölfe” im Alter von 24 Jahren niedergeschossen wurde.
Sind es also nur die reaktionär-religiös begründeten Kräfte wie die “Grauen Wölfe”, die Ates nach dem Leben trachten? Existieren überhaupt eher pluralistisch aufgestellte Strömungen des Islam, die zudem über politische Durchsetzungskraft – nach innen wie nach außen - verfügen? Die ihre Stimme erheben über Massaker, die im Zeichen des Islam verübt werden? Darüber muss man demokratisch-unaufgeregt streiten dürfen.
Überlegungen, ob es eigentlich einer Religion oder unterschiedlichen Religionen bedarf, um friedlich miteinander auszukommen, wurden zwar nur gestreift; es schälten sich jedoch zügig Anzeichen eines Konsens heraus, beispielsweise hinsichtlich eines gemeinsamen und verpflichtenden Erkenntnisunterrichts im religiösen Schulunterricht.
Der Abschlussfrage, ob ein Islam schlechthin reformierbar sei, der den Weg der Aufklärung noch nicht bestritten hat, entgegnete eine gut aufgelegte Ates voller Zuversicht: “Natürlich, genau daran arbeiten wir.”
Nächste Veranstaltung der Säkularen Humanisten – Freunde der gbs: 23.10.2014 – Prof. Dr. Edzard Ernst: Wirksam ohne Wirkstoff? Homöopathie und der Placebo-Effekt
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