Veranstaltung des AK Säkulare der SPD Düsseldorf

Das ignorierte Gefahrenpotential des legalistischen Islamismus

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Die Kölner DiTiB-Moschee ist inzwischen ein Symbol für den politischen Islam.
Die Kölner DiTiB-Moschee

Unter der Überschrift "Das ignorierte Gefahrenpotential des legalistischen Islamismus" stand der dritte digitale Themenabend 2022 des Arbeitskreises (AK) Säkulare Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Düsseldorf. Mit dem Extremismus- und Terrorismusforscher Armin Pfahl-Traughber, Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, und der Diplom-Sozialarbeiterin Fatoş Aytulun konnten die zahlreichen Zugeschalteten zwei der hierzulande profiliertesten Kenner der Thematik als Referenten begrüßen.

Im Vortrag von Armin Pfahl-Traughber wurde in einer Analyse der Muslimbruderschaft (MB), ihrer Genese und Ausbreitung zunächst in der arabischen, dann auch in der westlichen Welt, ein dichtes Bild der Ideologie, der Organisation und ihr nahestehender Gruppierungen in den letzten Jahrzehnten gezeichnet.

Politische Fallstricke

Referent Pfahl-Traughber machte deutlich, dass es sich, wissenschaftlich betrachtet, beim legalistischen Islamismus um eine Extremismusvariante handelt, die ideen- und realgeschichtlich in erster Linie die Muslime selbst beschädigt hat. Forschung und Studien zum Thema als muslimen- oder islamfeindlich zu bezeichnen, obwohl es vor allem um Aspekte der Menschenrechte für Muslime geht, kommt zwar häufig vor, ist jedoch ebenso verfehlt wie die Instrumentalisierung der Kritik am Islamismus durch Rechte oder Rechtsextremisten für die eigene politische Agenda.

Das Gefahrenpotential der legalistischen Variante des Islamismus wird bislang deswegen ignoriert, so Pfahl-Traughber, weil in Politik und Öffentlichkeit der Begriff des Islamismus vor allem mit gewaltförmigen Handlungen in Verbindung gebracht wird.

Die legalistische Variante hingegen distanziert sich von Gewalt und hält sich formal an geltende Gesetze. Als Triebfeder wirken jedoch auch hier drei problematische Aspekte der inhaltlichen Zielsetzung:

  1. Der Islam soll auch eine Lebens- und Staatsform sein; eine Trennung von Religion und Staat soll nicht umgesetzt werden.
  2. Gottessouveränität, keine Volkssouveränitat – Widerspruch zur Demokratie
  3. Ideologische Durchdringung der Gesellschaft

Das langfristige Ziel des legalistischen Islamismus ist die Erreichung eines – durch Identitätsbildung bei Muslimen – fortschreitenden Einflussgewinns innerhalb von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Entgegen der Selbstdarstellung und der Präsenz in Medien bilden die ideologischen Anhänger jedoch nur eine kleine Minderheit innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und suggerieren, so der Referent, oftmals eine Größe der Anhängerschaft, die es de facto so gar nicht gibt.

Auch erläuterte der Referent Verbandsstrukturen und europäische Dachorganisationen sowie ihre deutschen Gruppierungen innerhalb der Netzwerksstrukturen der Muslimbruderschaft.

Kritikimmunisierung

Ein wichtiger Aspekt des Gefahrenpotentials des legalistischen Islamismus ist der problematische Einflussgewinn auf die Gesellschaften in Form von "Kritikimmunisierung", bei der – wie bereits eingangs erwähnt – kritische Betrachtungen zum legalistischen Islamismus häufig als Ausdruck von "Islamophobie" diffamiert würden, selbst wenn diese Kritik von Muslimen erfolgt. Den Akteuren geht es um eine Ideologisierung, die nicht zuletzt eine desintegrative Wirkung für die hier lebenden Musliminnen und Muslime entfalten soll.

Eindringlich berichtete im Anschluss die säkulare Aktivistin Fatoş Aytulun vom gesellschaftlichen Wandel, den sie in den letzten fünf Jahrzehnten in Köln, aber auch in der Türkei erlebt und beobachtet habe. Köln sei, so die Referentin, mittlerweile eine Hochburg des politischen, legalistischen und institutionellen Islam in Deutschland.

Mit den "Gastarbeitern" und dem Zuzug der Familien seien auch die Imame aus den Heimatländern eingewandert. Schon damals fand in den "Nähkursen" für Mädchen religiöse Indoktrination in Deutschland statt. Es wurden Hinterhofmoscheen eröffnet, aus denen in den 80er/90er Jahren Dachverbände hervorgingen.

Über die Jahre sei eine "muslimische Identität" kreiert worden, hinter der das Individuum auf einmal verschwunden sei, so die Referentin. Der 11. September bildete einen Wendepunkt durch eine zunehmende Unterwanderung von Organisationen, Verwaltungen und Politik durch Islamisten und durch eine schleichende Akzeptanz salafistischer Positionen innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Selbst Kinder ohne muslimische Wurzeln hätten auf einmal begonnen, von "halal" zu sprechen, während Kinder aus muslimischen säkularen Familien auf einmal gemobbt wurden, weil sie Schweinefleisch gegessen haben. Das Kopftuch wandelte sich zu einem Symbol des "Feminismus". Seit wann, so die Referentin, ist eine Verhüllung von Mädchen und Frauen ein Symbol von Demokratie und Feminismus? War die Türkei in den 70er Jahren noch ein säkularer Staat, in dem zumeist nur die älteren Frauen Kopftuch trugen, hat sich das Blatt vollständig gedreht.

Die Referentin warnte eindringlich vor einem Fortschreiten dieser Entwicklungen auch in Deutschland.

Überflüssig an dieser Stelle zu erwähnen, dass der mutige und verzweifelte Kampf der Frauen im Iran gegen den dortigen Gottesstaat nicht zuletzt ein Kampf gegen die Folgen genau solcher Entwicklungen ist.

Den an Intensität und Information reichen Vorträgen schloss sich eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmenden an.

Es ist an der Zeit, das Gefahrenpotential des legalistischen Islamismus in den politischen, gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Fokus zu nehmen, denn auch die deutsche Islamwissenschaft habe die skizzierte Thematik bisher vernachlässigt, so Armin Pfahl-Traughber.

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