Argentinien

Habeas Corpus für eine Orang-Utan-Dame im Zoo

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Orang-Utan-Dame im Berliner Zoo
Orang-Utan-Dame im Berliner Zoo

BERLIN. (hpd) Die Tierschutzorganisation Afada forderte vor einem argentinischem Gericht in Buenos Aires eine “Habeas Corpus-Garantie” für Sandra. Sie ging davon aus, dass die Orang-Dame als Gefangene zu betrachten sei. Sie forderten für die 29-jährige, die derzeit noch im Hafenzoo der Hauptstadt leben muss, eine angemessene Unterbringung zusammen mit Artgenossen.

Im ersten Durchgang im November wurde die Klage vor Gericht abgewiesen, berichtet die Traditionszeitung “El Clarin”. Das Gericht ordnete lediglich an, zu untersuchen, ob die 29-jährige Sandra unter schlechter Behandlung zu leiden habe und der Zoo dem Tierschutzgesetz aus dem Jahr 1954 gerecht werde.

Die Frage war schon damals, ob man sie unrechtmäßig der Freiheit beraubt habe. Denn sie lebe ja in einem Zoo, und “Fotografien zeigten sie deutlich in Angst vor dem Eingeschlossensein”. Nach Anschauung von Afada leidet Sandra nicht nur wie eine Gefangene, sondern auch darunter, dem Publikum zur Schau gestellt zu werden. Das wies das Gericht im ersten Durchgang zurück, weil Sandras Rechte nicht mit denen eines Menschen verglichen werden können.

Der Fall war schon seinerzeit nach einer entsprechenden Klage vom Strafgerichtshof zu klären. Afada führte in ihrer Anklageschrift aus, dass es Sandra schlecht ginge, sie leide nicht nur unter der Eingeschlossenheit und der Zurschaustellung im Zoo, sie werde illegal ihrer Freiheit beraubt. Deshalb müsse sie mit den gleichen Rechten ausgestattet werden wie ein Mensch.

“Die Habeas Corpus-Garantie soll willkürliches Festhalten und Freiheitsentzug verhindern und die Mindestrechte eines Opfers sicherstellen. Davon sind einige so elementar wie: lebendig und bei Bewusstsein zu sein oder vom Gericht angehört zu werden oder zu erfahren, weshalb man angeklagt wird. Wenn eine Person sich darauf beruft, kann das Gericht die sofortige Freilassung anordnen, wenn es keinen hinreichenden Grund sieht, die Person im Gefängnis zu behalten”, schreibt “El Clarin”. Das Gericht entschied im ersten Durchlauf umstandslos, Sandra könne nicht Habeas Corpus beanspruchen, weil sie ein Tier ist und ihre Rechte nicht mit denen eines Menschen verglichen werden können.

Das Gericht versuchte jedoch die Kläger damit zu beruhigen, dass es eine Untersuchung in Auftrag gab, welche die Aussagen der Pfleger und alle nötige Information einschließe, um zu klären, ob dem Tierschutzgesetz gerecht würde, das schlechte Behandlung und Grausamkeit verhindern soll. Höchststrafen bis zu einem Jahr wären demnach möglich.

Der Fall sorgte umso mehr für Aufregung, weil der Zoo vor nicht langer Zeit schon einmal die Gemüter in Buenos Aires erregt hatte. Dort war 2012 ein Eisbär, “Winner”, am 24. Dezember an einem Hitzschlag gestorben. Sein Bassin war nur 145.000 Liter groß, und er litt unter der Hitzewelle, die in jener Jahreszeit Argentinien plagte, und am Lärm der Raketen, die dort traditionsgemäß an diesem Festtag in die Luft geschossen werden.

In einer weltweit einmaligen Gerichtsentscheidung wurden der Orang-Utang-Dame nun in einer Berufung am Freitag Rechte als nichtmenschliche Person zugestanden und das Recht auf Habeas Corpus, das Recht Verhafteter auf unverzügliche Haftprüfung, die man gewöhnlich benutzt in Fällen von zu Unrecht ihrer Freiheit beraubten Personen. So kann die beinahe 29-jährige wohl im Februar in eine Auswilderungsstation in Brasilien überführt werden und dort in Halbfreiheit leben, schreibt “La Nacion”. Auf einen nur eineinhalb Seiten langen Urteilsspruch entschied die Zweite Kammer des Strafgerichtshofes, bestehend aus drei Richtern, dass die seit 20 Jahren im Hafenzoo untergebrachte Sandra bald ihre Freiheit genießen könne, und erkannte sie als juristische Person an.

In Argentinien werden wie überall sonst Tiere juristisch als Sachen behandelt und genießen keine Rechte oder Personenstatusrechte wie Individuen oder Unternehmen. Frühere Versuche verschiedener Organisationen nach Habeas Corpus für Menschenaffen, in denen man darauf verwies, dass diese bis zu einem gewissen Grade denken können und ihre Grundemotionen denen der Menschen ähnlich seien, wurden stets zurückgewiesen.

Am Freitag entschied das Gericht der Zweiten Kammer, allerdings nicht einstimmig, das Gegenteil: “Ausgehend von einer dynamischen, nicht statischen Justiz ist es angemessen, dem Tier die Eigenschaft eines juristischen Subjekts zuzugestehen”, gab es bekannt. Zur Begründung wurde knapp auf die beiden Bücher “Strafrecht. Allgemeiner Teil” von Raúl Zaffoni und “La Pachamama und das Menschliche” verwiesen, heißt es in Argentiniens größter Tageszeitung “La Natíon” weiter.

Jetzt gibt man dem Zoo zehn Werktage Zeit, vor dem Obersten Gerichtshof in Revision zu gehen und Sandras Befreiung zu stoppen, die sonst in eine Auswilderungsstation nach Brasilien geht, führt “La Nacíon” weiter aus.

Sandra wurde 1986 im Zoo von Rostock geboren, war Zeit ihres Lebens in Gefangenschaft. 1994 gelangte sie nach Buenos Aires. Sie lebte vor Jahren mit einem Artgenossen zusammen und hatte ein Kind, heißt es, Shemembira, das nach Auskunft des Zoodirektors, Adrían Sestelo, an einen anderen Zoo weitergegeben wurde.

Sestelo gab zu Bedenken: “Diese Art fundamentalistischer Anklagen entstehen ohne Kenntnisse des natürlichen Verhaltens der Arten. Orangs sind sehr einsam lebende und ruhige Tiere, die nur zur Paarung zusammenkommen oder bei der Aufzucht des Nachwuchses. Eine der häufigsten Irrtümer der Menschen besteht darin, in Unkenntnis der artspezifischen Biologie Misshandlung, Stress oder Depressionen zu unterstellen.” Man kümmere sich sehr um Sandra und sie lebe allein, weil dies artgemäß sein, meint er. Und fügt an, dass der Zoo bereits die Überführung in eine Auswilderungsstation des Great Ape Projektes erwogen habe, weil die Politik des Zoos derzeit darin bestünde, sich in seiner Sammlung auf einheimische Arten zu konzentrieren.

Nach den Auswirkungen der Gerichtsentscheidung befragt, sagte Pablo Buompadre, Vorsitzender von Afada: “Dies ist eine historische Entscheidung. Ein Schlag gegen die Säulen der argentinischen Rechtsordnung, deren zivilrechtliche Normen Tiere als Sachen bezeichnen. Sie öffnet neue Wege nicht nur für die Menschenaffen, sondern für alle fühlenden Wesen, die sich ungerechter und willkürlicher Weise der Freiheit beraubt in Zoos, Zirkussen, Wasserzoos oder Versuchsstationen befinden.”

Der Verfassungsexperte Daniel Sabsay bedauerte das Fehlen einer eingehenden juristischen Begründung des Urteils: “Die Argumentation ist sehr vage und beruft sich auf ein Werk, in dem es nicht spezifisch um diese Frage geht und das ohne fundierte Theorie ist. Aber sie hat einen großen Wert, weil sie die Eigenschaft als nichtmenschliche Person für diese tierischen Arten anerkennt, die über hohe gefühlsmäßige und kognitive Fähigkeiten verfügen.” Gemeint ist wohl das Werk über Pachamama, die große Erdmutter, als Rechtsfigur.

“Mit diesem Urteil sind die Möglichkeiten des Ordentlichen Gerichtshofes ausgereizt, nur mit einer Argumentation, die sich auf die Verfassung beruft, kann der Oberste Gerichtshof es wieder aufheben. Es wurde ein Präzedenzfall, der anderen Fällen die Richtung weist, geschaffen. Tatsächlich bedeutet es das Ende der Behandlung als Sache. Stattdessen geht es nun um nichtmenschliche Personen. In diesem Fall muss das Privateigentum für dem Grundrecht auf Leben, Freiheit und dem, nicht physisch oder psychisch misshandelt zu werden, zurückstehen.”