Andreas Lammer, Juniorprofessor für arabische Philosophie, Kultur und Geschichte an der Universität Trier, wurde mit einem iranischen Literaturpreis ausgezeichnet. Überreicht wurde ihm die Auszeichnung von Staatspräsident Hassan Rohani in Teheran. In einem offenen Brief erklärt die Menschenrechtlerin Mina Ahadi, warum er die Ehrung nicht hätte annehmen sollen.
Sehr geehrter Herr Professor Lammer,
durch Medienberichte habe ich erfahren, dass Sie für Ihre Dissertation über die naturphilosophische Theorie des islamischen Philosophen Avicenna (gestorben 1037) mit dem "World Award for Book of the Year of Islamic Republic of Iran" geehrt wurden – angeblich der wichtigste Literaturpreis des Landes. Auf einem Pressefoto halten Sie die Urkunde in den Händen und lächeln vor dem Emblem der islamischen Republik in die Kamera. Wie die Universität Trier mitteilte, haben Sie diese Auszeichnung höchstpersönlich vom iranischen Staatspräsidenten Hassan Rohani in Teheran verliehen bekommen. In einer Pressemitteilung der Universität heißt es, man wolle die Auszeichnung nun zum Anlass nehmen, wissenschaftliche und politische Kontakte in den Iran zu knüpfen.
Um nicht missverstanden zu werden, sei eine Bemerkung zunächst vorangestellt: Ich möchte keineswegs den Wert Ihrer akademischen Leistung schmälern. Ebenso liegt es mir fern, die Preiswürdigkeit Ihrer Dissertation infrage zu stellen. Nichtsdestotrotz sehe ich mich veranlasst, kritische Worte an Sie zu richten, da ich die Annahme des Preises für einen schwerwiegenden Fehler halte.
Zu meinem Hintergrund: Als politisch Verfolgte musste ich den menschenverachtenden Charakter des iranischen Regimes am eigenen Leib erfahren. Schon in Schah-Zeiten ging ich auf die Straße, um für ein freies und selbstbestimmtes Leben zu kämpfen. Nachdem die linke Opposition im Iran scheiterte und Chomeini den islamischen Gottesstaat ausrief, organisierte ich mit anderen Menschen weitere Protestaktionen und Demonstrationen. Eines Tages – im Jahr 1980 – fuhr ich von der Arbeit nach Hause, stieg aus dem Bus und sah mehrere Polizisten vor meiner Wohnung stehen – in olivgrünen Uniformen, die Maschinenpistolen unter den Armen. Meine schlimmsten Befürchtungen sollten sich bewahrheiten: Mein Ehemann, ebenfalls linker Aktivist, wurde festgenommen und kurze Zeit später zusammen mit fünf Freunden hingerichtet. Die Islamisten schickten mir das blutige Hemd und die Schuhe von ihm – gemeinsam mit einer Rechnung für einen Kuchen. Die Hinrichtung eines Regimegegners hatten sie nämlich als Anlass zum Feiern genommen.
Obwohl streckbrieflich gesucht und in Abwesenheit zum Tode verurteilt, konnte ich selbst entkommen. Unter ständiger Lebensgefahr versteckte ich mich zunächst acht Monate mitten in Teheran im Untergrund und flüchtete nach Iranisch-Kurdistan, wo ich zehn Jahre lang als Partisanin in einem Berg lebte und von dort gegen die Islamisten kämpfte. Als ich 1990 von Bagdad nach Wien flog, um nach all diesen albtraumhaften Erfahrungen in Sicherheit leben zu können, war es für mich eine Zeitreise in eine andere Welt. Rückblickend war das Jahr 1979 nicht nur ein schreckliches Schicksalsjahr für die iranische Gesellschaft, sondern hat auch mein Leben wie kein anderes durcheinandergeworfen. Ich musste unter den Mullahs viel erleiden. Ich habe Menschen verloren, die ich liebte – ein Trauma, das bis heute anhält.
Meine Leidensgeschichte ist kein Einzelfall. Bis heute wird die iranische Gesellschaft von skrupellosen Despoten regiert, die das Paradies im Jenseits versprachen und stattdessen die Hölle auf Erden realisierten. Das iranische Regime ist nach wie vor antisemitisch, homophob, frauenverachtend und menschenrechtsfeindlich. Es handelt sich dabei um ein Regime, dessen Ideologie bewusst an den historischen Faschismus anknüpft und das keine Gelegenheit auslässt, Lügen und Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen. So ist die Holocaustleugnung und Israelfeindlichkeit eine Konstante in der iranischen Politik seit 1979.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International erheben zudem regelmäßig schwere Vorwürfe gegen den Iran. Berichtet wird über den anhaltenden Einsatz grausamer Strafen wie Auspeitschungen, Amputationen und Blendungen. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist der Iran seit mehreren Jahren das Land mit den meisten Hinrichtungen. Nach der Amtseinführung Hassan Rohanis am 14. Juni 2013 stiegen die Exekutionszahlen sogar nochmals deutlich an – darunter etliche Hinrichtungen von Minderjährigen.
"Sie haben sich von den Islamisten instrumentalisieren lassen"
Indem Sie den Preis aus den Händen eines Massenmörders empfingen, haben Sie sich von den Islamisten instrumentalisieren lassen. Ob gewollt oder nicht, haben Sie sich nämlich zum Teil der Propaganda gemacht, mit der sich das iranische Regime als seriöser Kooperationpartner im Wissenschaftsdiskurs inszeniert. Von einer ideologisch unabhängigen Preisverleihung kann jedoch mitnichten die Rede sein. Schließlich wurde die Jury vom iranischen Kulturministerium gestellt, das bekanntermaßen als religiöse Zensurbehörde agiert und das freie Denken im Land unterdrückt.
Seien Sie also bitte nicht naiv: Es geht hier nicht um einen "sachlichen und ideologisch unbelasteten Austausch", wie die Universität Trier die Annahme des Preises rechtfertigt. Die Auszeichnung haben Sie schließlich nicht von einer ernstzunehmenden Wissenschaftsinstitution erhalten, sondern von brutalen Fanatikern, die dem kritischen Geist der Wissenschaft und der Aufklärung feindlich gegenüberstehen. Gerade als Philosoph sollte Ihnen klar sein, dass es schlicht unanständig ist, einen Preis von Islamisten anzunehmen.
Ich bitte Sie daher um Folgendes: Zeigen Sie Haltung! Auch nachträglich können Sie diesen Preis ablehnen, der Ihrer Reputation eher schadet als nützt. Machen Sie sich nicht zum Spielball eines tyrannischen Regimes, an dessen Händen das Blut tausender Menschen klebt. Nehmen Sie die Kritik Ihrer Studierenden ernst, die sich bereits öffentlich zu dem Vorfall geäußert haben. Und schützen Sie nicht zuletzt den Ruf Ihrer Universität, an der ich mehrmals und gerne als Rednerin zu Gast war.
Mit freundlichen Grüßen
Mina Ahadi
11 Kommentare
Kommentare
Rohlfs am Permanenter Link
Sehr geehrte Mina Ahadi.
Ein Austausch und Kommunikation bedeutet auch eine mögliche Öffnung geschlossener Gesellschaftsstrukturen und damit eine Weiterentwicklung zu menschlicheren Verhältnissen?
Israel Shahak dazu: Wege in die Freiheit - "NICHT aus dogmatischen Glauben selbst, sondern aus der Verhinderung offener Diskussionen und der dadurch bedingten Skrupellosigkeit erwächst eine totalitäre Geisteshaltung."
Vielleicht sitzt im Kultusministerium inzwischen ein außerordentlich weißer Mensch? Alleine der Titel der Doktorarbeit spricht Bände zu einer evtl. erwünschten möglichen Annäherung, finde ich.
Rohlfs am Permanenter Link
... ich meinte natürlich "weiser" Mensch... Das ist typisch, dass das Rechtschreib-programm ausgerechnet in diesem Forum genau diese Korrektur anbietet.
Rohlfs am Permanenter Link
Wege in die Freiheit -
Israel Shahak
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Mina Ahadi, danke für Ihr Engagement gegen einen Wissenschaftsvertreter, der sich aus Eitelkeit von Religionsvertretern loben lässt, die eine umfangreiche Liste ermordeter Menschen vorweisen können.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Bravo! Mina Ahadi zeigt die Haltung, die ich bei so vielen Menschen vermisse! Die Eitelkeit eines Wissenschaftlers war wohl zu groß, um sich anständig zu verhalten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Dem schließe ich mich an, Herr Lammer; zeigen Sie Haltung und lehnen Sie den Preis ab!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wie kann versehentlich ein Glückwunschtelegramm von unserem Bundespräsidenten an einen Massenmörder, ungewollt verschickt werden? Peinlicher gehts´nimmer, oder doch.
Was den Herrn Professor Lammer betrifft, so kann ich Ihm, für seine zukünftige Reputation nur empfehlen, diesen Islam Werbepreis schnellstens zurück zu geben.
Norman Reppingen am Permanenter Link
Wenn es um Kooperationen mit Saudi-Arabien geht, schämt sich kurioserweise niemand. Hassan Rohani ist ebenso Vertreter eines konservativ islamischen Regimes. Aber nicht nur.
Helmut Lambert am Permanenter Link
Es ist ja nicht zu glauben, dass ein deutscher Professor von einem Verbrecherregime einen Preis entgegennimmt! Bin mal gespannt, wie die Studenten reagieren.
Christian W. Troll am Permanenter Link
Ich schließe mich Mina Ahadis Kritik ganz und gar an . Aus meinem eigenen Bekanntenkreis weiß ich, dass Frau
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Der öffentlich für eine offenbar qualitativ gute wissenschaftliche Arbeit geehrte junge Professor Lammer hätte die Möglichkeit, seinen Preis - der sicherlich nicht nur aus einer Urkunde, sondern auch aus Geld besteht