"Nur gemeinsam kann der Respekt gegenüber anderen Konfessionen entstehen"

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Das Podium im Otto-Schott-Gymnasium: Katharina von Kap-herr, Elmar Middendorf, Susanne Gelhard, Aylin Gümüş und Michael Schmidt-Salomon (von links)
Das Podium

Vergangene Woche wurde in Mainz über die Existenzberechtigung des Religionsunterrichts und die Alternative "Ethik für alle" diskutiert. Anlass war die Forderung der Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz vom Herbst nach einer Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts zugunsten eines gemeinsamen philosophischen Faches für alle.

In die Aula des Otto-Schott-Gymnasiums hatte die Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz (LSV RLP) gemeinsam mit der Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Mainz/Rheinhessen eingeladen. Aylin Gümüş saß für die LSV RLP, die Urheber der Debatte, auf dem Podium und sollte zunächst darlegen, weshalb konfessioneller Religionsunterricht ihrer Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß ist. Die Schülerin verwies auf die Trennung von Staat und Kirche und die Pluralität der Konfessionen, weshalb eine Aufteilung nicht sinnvoll sei: "Wir wollen gemeinsam lernen, wir wollen gemeinsam erleben und wir wollen gemeinsam gebildet werden. Und (...) nur gemeinsam kann der Respekt auch gegenüber anderen Konfessionen entstehen."

Elmar Middendorf, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft katholischer Religionslehrer und -lehrerinnen an Gymnasien in Rheinland-Pfalz, widersprach erwartungsgemäß. Er sei nicht der Meinung, dass religiöse Bildung auf ganzer Linie gemeinsam stattfinden und Religions- nicht durch Ethikunterricht ersetzt werden könne, da ersterer je nach Konfession sehr unterschiedlich sei. "Wenn man gemeinsam ins Gespräch kommen will (…), dann muss man zunächst auch mal in seiner eigenen Position firm werden."

"Die Verfassung von 1949 war schon weiter als die gesellschaftliche Realität im Jahr 2020."

Michael Schmidt-Salomon

Das konnte Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), so nicht stehen lassen: Es gebe weder katholische noch grüne Kinder, "es gibt nur Kinder deren Eltern spezifische weltanschauliche oder politische Präferenzen haben". Eltern hätten alles Recht der Welt, ihre Kinder auf der Basis ihrer Überzeugungen zu erziehen, nur der Staat solle eine solche "weltanschauliche Verengung" nicht zusätzlich fördern, sondern ihnen Zugang zu Wissen vermitteln, der ihnen möglicherweise in ihrer Herkunftsfamilie verschlossen sei. "Das ist (…) die vornehmste Bildungsaufgabe eines weltanschaulich neutralen Staates im 21. Jahrhundert."

Dem widersprach Elmar Middendorf: Man komme quasi religiös zur Welt, das sei wie bei der Sprache, "das ist eben Schicksal". Der Sinnhorizont, in dem die Eltern leben übertrage sich auf die Kinder, "und das ist auch gut so". Eltern wollten auch, dass Kinder darin bestärkt würden, das sei ein legitimes Recht. "Man kann schon mit kleinen Kindern theologisieren", dann erst setze das (kritische) Reflektieren des Glaubens ein und dies sei etwas anderes als das Reden über Religion. Dabei müsse Schule Kinder und Jugendliche begleiten, dies sei Bildung. Das kritisierte Schmidt-Salomon: Er halte es für fragwürdig, Kinder zunächst mit Schöpfungsmodellen zu impfen und erst später zuzulassen, dass sie dies reflektieren können: "Das ist nicht Bildung, das ist Manipulation, das ist Verbildung".

Bick in den Zuschauerraum
(Foto: © Leonie Au)

Religionsunterricht sei sowohl im Grundgesetz als auch in der rheinland-pfälzischen Landesverfassung vorgesehen, begann Katharina von Kap-herr, stellvertretende Abteilungsleiterin für Schulrecht und Lehrerpersonalverwaltung im dortigen Bildungsministerium, ihr Statement. Auch das Bundesverfassungsgericht vertrete die Auffassung, Religionsunterricht müsse konfessionsgebunden sein. Da Religion in der Gesellschaft präsent sei, gehöre entsprechende Bildung auch in die Schule zugunsten einer Auseinandersetzung. Da gab ihr Schmidt-Salomon recht, warnte jedoch vor der "staatlich geförderten Echokammer", die zu einer "religiös-weltanschaulich-politischen Ghettoisierung" führen würde. Der Religionsunterricht in der Verfassung sei Ergebnis eines Kuhhandels mit der katholischen Kirche, die sich gegen die Gleichstellung von Mann und Frau im Grundgesetz gewehrt habe. Er wies außerdem darauf hin, dass der Religionsunterricht nur an Bekenntnisschulen ordentliches Lehrfach sei. Die bekenntnisfreien Schulen gebe es jedoch nur auf dem Papier. "Die Verfassung von 1949 war da schon weiter als die gesellschaftliche Realität im Jahr 2020. Und das müssen wir ändern."

"Wenn man gemeinsam ins Gespräch kommen will, dann muss man zunächst auch mal in seiner eigenen Position firm werden."

Elmar Middendorf

Über 90 Prozent der Schüler in Rheinland-Pfalz besuchten den katholischen beziehungsweise evangelischen Religionsunterricht, erläuterte Susanne Gelhard vom ZDF, die das Podium moderierte. "Glauben Sie, Sie repräsentieren mit ihrer Forderung [der Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts] wirklich die Schüler in Rheinland-Pfalz?", fragte sie Aylin Gümüş. Man könne nicht davon ausgehen, dass diese 90 Prozent allesamt gläubige Menschen seien, entgegnete die Schülerin, "die meisten besuchen den Religionsunterricht, weil sie das schon immer tun". Es sei Bequemlichkeit und werde nicht weiter hinterfragt. "Ich habe selten gehört (…), dass Schüler (…) sagen: ich bin religiös, mich interessiert das und ich möchte das wissen und das spiegelt meine eigene Lebensrealität wider. (…) Religiosität sollte – wenn überhaupt – intrinsisch sein, nur dann kommt die Motivation auch vom richtigen Punkt aus."

Sie findet es problematisch, dass es diesen "Rest" gebe, der nicht eingeordnet werden könne und dann den Ethikunterricht besuche. Wenn man es genau nehmen würde, müsse man den konfessionellen Religionsunterricht für alle Religionen anbieten, "und das sind eben nicht zwei, drei, vier oder fünf, das sind viel, viel mehr und das ist nicht praktikabel". Es gebe auch keinen eigenen Unterricht für Veganer und man könne nicht sagen: Das hat in der Schule nichts verloren, die Bibel allerdings schon. Stattdessen müsse man in den Dialog treten und nicht nur über die eigene Lebenswelt, sondern auch über die der anderen informiert werden.

Der Vertreter des katholischen Religionslehrerverbandes hatte eine andere Erklärung für die 90-prozentige Quote des christlichen Religionsunterrichts, von denen nur die wenigsten auch Teil einer christlichen Gemeinde seien: Der Religionsunterricht sei theologisch näher an den Menschen als die offiziellen Kirchenvertreter nach außen trügen. Der Philosoph Schmidt-Salomon war jedoch der Meinung, dass es eher daran liege, dass nicht überall Ethikunterricht zu gleichen Bedingungen als Alternative angeboten werde. Ein Schüler aus dem Publikum hatte noch eine ganz andere Begründung für die zahlreiche Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht: "Die Schülerinnen und Schüler machen sich ganz genau Gedanken: Wie kann ich möglichst viel erreichen, indem ich möglichst wenig mache?" Der Religionsunterricht habe den Ruf, deutlich einfacher zu sein als der Ethikunterricht.

Blick aufs Podium
Die Veranstaltung war gut besucht (Foto: © Lucia Wagner)

Der gbs-Vorstandssprecher sprach im Anschluss einen ganz anderen Aspekt des Themas an: Wenn man nicht wolle, dass unaufgeklärte oder nationalistische Islamverbände den Unterricht in Deutschland mitbestimmten, müsse man dafür sorgen, dass wir ein allgemeinverbindliches Fach für alle auf einem soliden wissenschaftlichen Niveau bekämen, wo sich Religionsvertreter im Wettbewerb mit nicht-religiösen Konzepten präsentieren könnten. Als Beispiel, wie das in Zukunft gestaltet werden könnte, nannte er das Berliner Modell, in dem der Unterricht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften optional und zusätzlich zum staatlich angebotenen Ethikunterricht besucht werden kann. In Umfragen gebe es gesellschaftliche Mehrheiten für einen solchen gemeinsamen Unterricht in allen Bundesländern. "Die Frage ist ja, warum die Politik dieses Modell nicht umsetzen will, obwohl wir dafür Bevölkerungsmehrheiten haben und obwohl es auch unter Pädagogen und Politikwissenschaftlern da eine ganz große Zustimmung gibt."

Es sei auch politisch notwendig, angesichts einer zunehmenden Gruppenabgrenzung, was er "das große ethische Problem unserer Zeit" nannte. Aylin Gümüş brachte es so auf den Punkt: "Wir als Landesschüler*innenvertretung, wir wollen weder in Konfession geteilt werden noch nach Geschlechtern noch nach Herkunft oder nach sonstigen Merkmalen." Dies unterstrich auch ein Schüler aus dem Publikum: Er trat dafür ein, lieber mit Mitschülern anderer Weltanschauungen in direkten Austausch zu treten, anstatt im Religionsunterricht ohne persönlichen Bezug den Sachtext einer fremden Person über eine andere Religion zu lesen. Für einen Ethiklehrer unter den Zuhörern käme dieses Vorhaben jedoch einem Verbot des Religionsunterrichts gleich. "Es geht nicht um Verbote, sondern um Möglichkeiten", konterte Gümüş. "Da möchte ich Sie bitten, unsere Forderungen (…) nicht so zu verzerren."

"Ich habe selten gehört, dass Schüler sagen: ich bin religiös, mich interessiert das und ich möchte das wissen und das spiegelt meine eigene Lebensrealität wider."

Aylin Gümüş

Es folgte ein eindringliches Plädoyer Schmidt-Salomons für das Verfassungsprinzip des weltanschaulich neutralen Staates auch in der Bildung, die ihm zufolge kritisch-rational und evidenzbasiert sein sollte: "Nur ein Staat, der als unparteiischer Schiedsrichter auf dem Spielfeld der Religionen und Weltanschauungen auftritt (…) hat (…) auch das Ansehen in der Bevölkerung und (…) die Durchsetzungskraft, um dafür zu sorgen, dass die für alle geltenden Spielregeln auch durchgesetzt werden können."

Für allgemeine Aufregung sorgte seine Frage an die Vertreterin des Bildungsministeriums, wie die im Grundgesetz vorgesehenen bekenntnisfreien Schulen verwirklicht werden könnten und ihre Antwort, dass das nicht bedeute, dass es diese zwingend geben müsse. Sie wies darauf hin, dass das Grundgesetz auch mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag änderbar sei, was die Schülervertreterin zu der Erwiderung veranlasste, dass diejenigen, die von der Regelung betroffen sind, noch nicht wählen dürften und somit nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen würden: "Wir wünschen uns, dass wir diese Entscheidung mit beeinflussen können." Aus dem Publikum kam die Frage, warum es so wichtig sei, was Erwachsene über das Verhältnis von Religion und Schule denken, anstatt dass man die Schüler fragt und darüber abstimmen lässt. Diese Frage blieb, trotz einiger Ansätze, letztlich unbeantwortet.

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