BERLIN. (hpd) Unter den Stimmen nach den Terroranschlägen in Paris, die diese Massaker “im Namen Allahs” verurteilen, sind auch die von Dr. Lale Akgün (SPD) und dem Münsteraner Professor Dr. Mouhanad Khorchide. Beider Stellungnahmen unterscheiden sich deutlich von vielen anderen muslimischen Äußerungen: auch wenn sie eindeutlich eine Verantwortung “des Islams” für die Gewaltakte zurückweisen, fordern sie verstärkte theologische Klärungen im Islam und politische Klärungen unter den Muslimen in Deutschland.
Frau Akgün sieht, wie sie im Interview mit dem Deutschlandfunk am letzten Samstag geäußert hat, für die aktuelle Debatte über Islam in Deutschland die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung unter Muslimen, wie der Koran auszulegen ist. Sie tritt für ein “offenes und liberales” Selbstverständnis des Islam ein, für ein Aufgeben der “wortwörtlichen Auslegung” des Koran und für eine Interpretation der Suren im historischen Kontext ein. Die Organisierung liberaler Muslime ist für Lale Akgün eine vorrangig wichtige Aufgabe, zumal derzeit die seit längerem organisierten konservativen Islamverbände einen bestimmenden Einfluss darauf ausüben, wie der Koran auszulegen ist und damit definieren, was Islam ist und was nicht.
Erneut hat Frau Akgün die Herausbildung von Parallelgesellschaften kritisiert, aber auch davor gewarnt, “zu denken, alle Muslime wären eine Gesellschaft.” Sie verweist darauf, dass die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Muslime säkular sei und sich in erster Linie als Staatsbürger und erst dann als Muslime verstände. Diese Bewertung wird durch die soeben veröffentlichte Bertelsmann-Studie, in der es auch um das religiöse und politische Selbstverständnis von Muslimen geht, eindrucksvoll bestätigt.
Prof. Khorchide hat vor wenigen Tagen im Kölner Stadt-Anzeiger darauf hingewiesen, dass es Gewalt in allen Religionen gäbe. Dass aufgrund von Bibelstellen heute nur noch wenige Personen, etwa Evangelikale in den USA, zu religiös motivierter Gewalt tendierten, beruhe darauf, dass “die Bibel überhaupt nur noch für die Wenigsten ein realer Leitfaden ihres Handelns” ist.
Mouhanad Khorchide fordert eine historisch-kritische Lektüre des Korans, so wie dies hinsichtlich der Bibel mittlerweile üblich ist. Zur Frage nach Gewaltbejahung im Koran sagt er: “Es gibt eine friedliebende Deutung des Korans, aber auch eine gewalttätige”. Gegenwärtig sei um die Auslegung des Korans “innerislamisch ein heftiger Kampf im Gange”. Das Verhältnis solcher Suren, die einen barmherzigen Gott bezeugten, betrage 18 zu 1 gegenüber denjenigen, die Aussagen über einen strafenden Gott enthielten. Khorchide gesteht aber zu: “Mit den kriegerischen Passagen lässt sich Gewalt legitimieren”, allerdings nur dann, wenn diese Texte “nicht im historischen Kontext” verstanden würden.
Zum Verhältnis von Muslimen zur Meinungsfreiheit bedauert Prof. Khorchide, dass “viele Muslime” mit diesem Grundrecht ein Problem hätten. Hierzu hält er ein klares freiheitlich orientiertes Vorgehen für erforderlich: “Umso wichtiger ist es, dass wir mögliche Grenzen der Meinungsfreiheit ohne jedwede Form von Machtausübung bestimmen, sondern einzig mit der Kraft der Argumente.”
Khorchide betont nach den Anschlägen in Paris nachdrücklich, dass die islamistischen Terroristen nicht für “die Muslime” stehen. Distanzierung von ihnen ist notwendig, aber keineswegs ausreichend, so der islamische Reformator. Er vertritt eine eindeutige Position, für die ihn die konservativ-orthodoxen Islamverbände wohl wieder massiv angreifen werden: “Für die Muslime … ist der Terror ein Stachel, der zur Auseinandersetzung mit ihrer Tradition treibt. Von Strömungen, die in Richtung Gewalt gehen, müssen wir uns distanzieren und ein für alle Mal verabschieden. Es hat ja keinen Sinn, zu behaupten, dieser Terror habe ‘nichts mit dem Islam’ zu tun. Die Terroristen sind nun mal Muslime.”
Eine zutreffende Beschreibung, die über formales Distanzieren von Mordgesellen und ihren (religiösen und politischen) Unterstützern hinausgehend auf eine Neuausdeutung islamischer Grundsätze zielt. In der Frage: “Barmherziger Gott” oder “Strafender Gott” wird angesichts des islamistischen Terrorismus den Muslimen gar nichts anderes übrig bleiben als grundsätzliche Überlegungen anstellen und eindeutig Position zu beziehen. Damit werden sie gleichzeitig ein starkes Signal gegen den Rechtspopulismus und für einen Zusammenhalt der Gesellschaft setzen (können). Wenn etwas schädlich für die Entwicklung einer solidarischen an humanen Werten orientierten Gesellschaft ist, dann sind dies die Ausgrenzer von jeglicher Seite – von religiös-konservativer und -extremistischer Seite ebenso wie von ausländerfeindlicher und deutschnationaler Seite. Deshalb darf den Ausgrenzern jeglicher Couleur keinerlei Einfluss gewährt werden.
Es gilt Religionsfreiheit in Deutschland; der Staat hat sich in innerreligiöse Auseinandersetzungen nichts einzumischen oder gar Anordnungen zu treffen. Wozu staatliche Organe aber stets (ohne jegliche Einschränkung) verpflichtet sind, ist (mindestens) zweierlei: Auf die strikte Einhaltung der im Grundgesetz enthaltenen Menschen- und Bürgerrechte zu pochen und jegliche Versuche einer Relativierung dieser Rechte zu bekämpfen. Und: für die ethische Erziehung der nachwachsenden Generationen zu sorgen. Da kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der in islamischen Verbänden organisierte Teil der Muslime, der nur einen kleinen Teil der Muslime in Deutschland ausmacht, bislang mit staatlicher Unterstützung zunehmend in die Lage versetzt wird, den von ihm vertretenen konservativen Islam in die Köpfe von Schülern und Schülerinnen hineinzutragen. Hieran muss sich dringend etwas ändern. Die Massaker von Paris sollten Anlass sein, hierüber neu zu diskutieren, auch unter den Muslimen.
Nachtrag
In einem heute in der ZEIT veröffentlichten Artikel "Der Prophet bleibt gelassen" weist Prof. Khorchide auf Traditionen von Satire in islamischen Gesellschaften hin. Er berichtet eine Überlieferung, wonach Mohammed einen feindseligen Nachbarn, der ihm täglich Müll vor die Tür stellte, ignoriert und sich sogar besorgt nach dem Gesundheitszustandes dieses Nachbarn erkundigt habe, als sich eines Tages kein Müll vor seiner Haustür befand. Khorchides Plädoyer in Richtung von Muslimen: "Mohammed würde heute Karikaturen über ihn ebenfalls gelassen sehen und sie einfach ignorieren."
Die Empörung vieler Muslime über Mohammed-Karikaturen wertet er vorrangig als "Ausdruck angestauter Frustrationen im kollektiven Gedächtnis muslimischer Gesellschaften." Dabei seien die Karikaturen lediglich Anlass zur Aufregung, nicht jedoch deren eigentliche Ursache. Khorchide: "Denn Grund dieser Frustration ist ein Komplex sozialer und politischer Faktoren, die wir unbedingt berücksichtigen müssen, um das Phänomen Gewalt und Radikalisierung im Namen des Islams verstehen zu können."
3 Kommentare
Kommentare
Romana Blechschmidt am Permanenter Link
Auch dieses Interview der ZEIT mit dem türkischen Islamwissenschaftler Ednan Aslan verdient eine Erwähnung beim hpd:
http://www.zeit.de/2014/52/islamistischer-terror-ednan-aslan
"Diese Gewalt wird gepredigt."
Rüdiger Weida am Permanenter Link
Schön, wenn es auch solche sypathischen Geschichten über Mohammed gibt.
Die Regel dürfte eher anders gewesen sein und nicht gerade dafür sprechen, dass Mohammed heute gelassen mit Satire umgehen würde. Er hatte einen ganz anderen Umgang mit kritischen Poeten
http://wikiislam.net/wiki/List_of_Killings_Ordered_or_Supported_by_Muhammad
David am Permanenter Link
Ohne ehrliche Selbstkritik wird sich das Gewaltpotential des Islam nie lösen lassen. Deshalb sind Menschen von der Gesinnung eines Herrn Khorchide und Herrn Aslan der einzige Schlüssel.
"Ehrlichkeit" und "Religion" sind grundsätzlich nur schwer zu vereinen. Dilemma.