Ein Plädoyer für den assistierten Suizid

Die Freiheit zum Tode

Die einzige Organisation, die hierzulande eine Freitodbegleitung anbietet, ist der vom ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete und in Hamburg ansässige Verein "Sterbehilfe Deutschland e.V". Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die ganze Diskussion, die gegenwärtig in Deutschland geführt wird, letztlich allein auf diese Sterbehilfeorganisation zurückgeht. Mit dem fadenscheinigen Argument, dass Roger Kusch "Geschäfte mit dem Tod" betreibe, meinen deutsche Politiker ihm "das schmutzige Handwerk" legen zu müssen. Wenn es in der Orientierungsdebatte im Bundestag irgendeinen Punkt gab, auf den sich nahezu alle Abgeordneten sofort einigen konnten, war es denn auch das unbedingte Verbot von Sterbehilfe Deutschland. Lediglich eine kleine Gruppe um Renate Künast sprach sich entschieden gegen ein Verbot dieser Sterbehilfeorganisation aus.

Entgegen der stets wiederholten Behauptung, dass Sterbehilfe Deutschland dubiose "Geschäfte mit dem Tod" betreibe, sind alle Mitarbeiter des Vereins rein ehrenamtlich tätig. Die Mitgliedschaft in dieser Sterbehilfeorganisation beträgt monatlich 20 Euro. Die Absicht, die Roger Kusch mit der Gründung des Vereins verfolgte, war, den sterbewilligen Menschen in Deutschland die beschwerliche Reise in die Schweiz zu ersparen. Nach eigener Auskunft hat Sterbehilfe Deutschland in den fünf Jahren ihres Bestehens etwa 150 Freitodbegleitungen durchgeführt. Wie Ludwig Minelli, dessen in Zürich angesiedelte Organisation Dignitas jedes Jahr etwa 100 Deutschen bei der Selbsttötung hilft, ist auch Roger Kusch ein Idealist. Bereits während seiner Zeit als Justizsenator hat er für eine Zulassung der Sterbehilfe in Deutschland gekämpft. Sein leidenschaftliches Engagement für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen stieß in der CDU, der er angehörte, auf großen Widerwillen und hat ihn letztlich seine politische Karriere gekostet.

Ein weiteres in der Orientierungsdebatte vorgebrachtes Argument war religiöser Natur. Viele Abgeordnete stellten explizit heraus, dass der assistierte Suizid mit ihrem christlichen Glauben unvereinbar sei. Wie eingangs bereits erwähnt, ist der Staat in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet und darf seinen Bürgern keine religiösen Dogmen aufzwingen. Zudem ist das christliche Argument, wonach niemand über sein Leben selbst verfügen dürfe und allein in der von Gott beschlossenen Stunde zu sterben habe, alles andere als überzeugend. Wenn es Christen nicht gestattet wäre, ihr Leben zu verkürzen, wäre es ihnen auch nicht gestattet, ihr Leben zu verlängern. Denn wer sich einer Bypassoperation oder einer Organtransplantation unterzieht, stirbt ebenfalls nicht "in der von Gott beschlossenen Stunde".

Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass selbst Christen der Kirche ihren Gehorsam verweigern. Der an Parkinson erkrankte und von Blindheit bedrohte Theologe Hans Küng hat erst unlängst verkündet, dass er sein Leben voraussichtlich mit Hilfe einer Schweizer Organisation beenden werde. Er begründete diese Entscheidung mit dem Satz: "Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren."

Das letzte Argument, auf das ich kurz eingehen möchte und das in der Orientierungsdebatte unaufhörlich bemüht wurde, lautete, dass wir keine organisierte Suizidassistenz, sondern nur eine besser organisierte Palliativmedizin benötigen. Niemand wird den Nutzen und die Erfolge der Palliativmedizin bestreiten. Doch ihre Behauptung "Wer keine Schmerzen hat, will auch nicht sterben!" ist Augenwischerei. Die Palliativmedizin kann zwar die Schmerzen nehmen, nicht aber das Leid lindern.

Nehmen wir zur Veranschaulichung nur den weltweit diskutierten Fall von Brittany Maynard. Die 29jährige Kalifornierin erhielt am Neujahrstag 2014 die Nachricht, dass sie unter einem Glioblastom, einem bösartigen Hirntumor, leide. Trotz eines hirnchirurgischen Eingriffs kehrte er schon nach wenigen Wochen zurück. Als man ihr im April mitteilte, dass sie voraussichtlich nur noch sechs Monate zu leben habe, zog sie mitsamt ihrer Familie nach Oregon, wo der ärztlich-assistierte Suizid seit 1997 legal ist. Weshalb wollte sie eine Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen? Aus Furcht vor Schmerzen? Nein! Ihre Schmerzen hätte man genausogut in Kalifornien behandeln können. Ihre Furcht bezog sich einzig und allein auf das mit dem Tumor verbundene Leid. Ein Glioblastom führt zu einer Persönlichkeitsveränderung. Zunächst treten epileptische Anfälle auf. Danach kommt es zu Erinnerungslücken, Sprachstörungen und Bewusstseinstrübungen. Anschließend führt das Glioblastom zu Lähmungen. Und am Ende fällt man in ein Koma. Selbst die bestmögliche palliativmedizinische Behandlung hätte sie nicht vor der Persönlichkeitsveränderung, den Erinnerungslücken, den Sprachstörungen und der Bewusstseintrübung bewahren können. Und genau diese Aussicht auf den langsamen Verfall ihres Geistes hat sie dazu geführt, sich am 1. November 2014 mit Hilfe von Natriumpentobarbital das Leben zu nehmen.

Ist es nicht nachvollziehbar, dass sich Brittany Maynard dieses Schicksal ersparen wollte? Ist es nicht verständlich, dass sie lieber zu einem Zeitpunkt sterben wollte, als sie noch über ein ungetrübtes Bewusstsein verfügte, ihre Familienmitglieder noch erkannte und sich von ihrem Ehemann noch zu verabschieden vermochte? Wer bitteschön, so muss man fragen, hätte das Recht gehabt, sie dazu zu verdammen, als ein Schatten ihrer selbst zu enden? Es ist daher an der Zeit, sowohl individuellen Ärzten als auch organisierten Sterbehilfevereinen – ohne dass sie Furcht vor standesrechtlichen oder gar strafrechtlichen Sanktionen haben zu müssen – den assistierten Suizid zu gestatten.

 


Dr. Edgar Dahl hat sich nach seinem Studium der Philosophie und Biologie auf Bioethik spezialisiert. Im kommenden Dezember erscheint sein Buch "Dem Tod zur Hand gehen. Ein Plädoyer für den ärztlich-assistierten Suizid."