Erste sozialwissenschaftliche Studie zu Pegida erschienen

BONN. (hpd) Die Politikwissenschaftler Lars Geiges, Stine Marg und Franz Walter legen mit "Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?" die erste sozialwissenschaftliche Studie zum Thema vor. Beachtlich ist der analytische Blick und hohe Informationsgehalt, wobei aber auch noch viele Fragen offen bleiben, handelt es sich doch um ein "work in progress".

Seit dem 20. Oktober 2014 demonstrieren in Dresden meist an Montagen die Anhänger einer Bewegung, die sich "Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) nennt. Dabei versammelten sich zeitweise um die 25.000 Personen. Auf Plakaten konnte man Slogans wie "Gewaltfrei & vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" oder "Gegen religiösen Fanatismus und jede Art von Radikalismus. Gemeinsam ohne Gewalt" lesen. Während der Veranstaltungen entluden sich aber auch fremden- und muslimenfeindliche Einstellungen in Ressentiments und Vorteilen.

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Was hat es mit dieser Protestbewegung von "rechts" auf sich? Dieser Frage gehen die drei Politikwissenschaftler Lars Geiges, Stine Marg und Franz Walter, die am Göttinger Institut für Demokratieforschung arbeiten, in einer ersten Studie zum Thema nach: "Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?". Bereits zu Beginn betonen sie, es handele sich um ein "work in process" im Sinne einer aktuellen sozialwissenschaftlichen Bestandsaufnahme des Phänomens.

Dabei bedienen sich die Autoren unterschiedlicher Methoden, was auch die formale und inhaltliche Ausrichtung der insgesamt acht Kapitel prägt. Zunächst zeichnen sie die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Pegida nach, auch bezogen auf den persönlichen Hintergrund der Initiatoren. Zu Besonderheiten heißt es hier bereits: "Offenbar ist Pegida, die auf Facebook beinahe doppelt so viele ‘Gefällt mir’-Angaben haben, wie die im Bundestag vertretenen Parteien, eine der wenigen Protestgruppen, die gleichzeitig im Internet und auf der Straße funktioniert" (S. 16). Danach berichten die Autoren von persönlichen Eindrücken bei den "Abendspaziergängen" in Dresden und drucken einige Fotos mit anschaulichen Transparenten ab. Dem folgend präsentieren sie die Ergebnisse einer Umfrage, die aber nicht als repräsentativ anzusehen ist. Gleichwohl meinen Geiges, Marg und Walter, bei den Pegida-Demonstranten handele es sich vorwiegend um mittelalte Männer, die hohe Bildungsabschlüsse hätten und in Vollerwerbstätigkeiten stehen (vgl. S. 65).

Ein folgendes Kapitel dokumentiert und kommentiert kollektive Wahrnehmungen der Demonstranten, die sich auf "Asylanten", "Lügenpresse" und "Volksverräter" beziehen. Hier konstatiert man aber auch: "Die Pegida-Anhänger wenden sich nicht frustriert von der Politik ab, sondern setzen sich (einseitig) weiterhin mit gesellschaftlichen Problemlagen auseinander, hatten Vorstellungen wie Politik in ihren Augen ‘besser’ gemacht werden könnte und stellten sogar einige Reformvorschläge zur Diskussion" (S. 115).

Danach stehen mediale Deutungen von Pegida, das Verhältnis der "Alternative für Deutschland" zur Protestbewegung sowie umgekehrt und die Pegida-Rezeption im europäischen Ausland im Zentrum des Interesses. Und schließlich geht es um eine abschließende Deutung des Phänomens im Kontext von kultureller Entfremdung und politischer Heimatlosigkeit. Es heißt auch: "Die Pegida-Anhänger vertreten … einen identitären statt einen pluralistischen Demokratiebegriff, da … Minderheitenrechten eine marginale Rolle" (S. 181) zugeschrieben wird.

Mit dem Buch "Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft" liegt die erste Analyse mit sozialwissenschaftlichem Anspruch zum Thema vor. Es handelt sich zwar um einen publizistischen Schnellschuss, der aber sehr wohl über analytischen Tiefgang verfügt. Man erhält die relevanten Informationen, jeweils eingebettet in Betrachtungen zur Entwicklung der Gesellschaft oder von Protestbewegungen. Mehr kann man aktuell nicht liefern. Denn über viele Fragen besteht noch Unklarheit.

Die Autoren fragen etwa berechtigt "Warum Sachsen?" (S. 186), denn überall in Deutschland hatten die Pegida-Ableger weitaus geringeren Zulauf. Gleichwohl findet man im Text keine genauere Antwort. Mehr ist zur Zeit indessen auch nicht "drin"! Beachtung verdient die nüchterne Perspektive der Autoren, die etwa aus den Gruppendiskussionen wichtige Erkenntnisse herausziehen. Sie verweisen außerdem nachvollziehbar auf die Folgen politischer Entfremdung, ohne damit aber die problematischen Positionen von Pegida zu relativieren oder zu verharmlosen.

 


Lars Geiges/Stine Marg/Franz Walter, Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld 2015 (transcript-Verlag), 207 S.