Außer Kontrolle - Der BND spioniert für die NSA

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Bundeskanzleramt
Bundeskanzleramt

BERLIN. (hpd) Als am vergangenen Mittwoch die ersten Meldungen erschienen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) dem us-amerikanischen Geheimdienst "National Security Agency" (NSA) dabei hilft, deutsche und europäische Unternehmen auszuspionieren, war die Aufregung schon groß. Jetzt stellt sich heraus, dass das Bundeskanzleramt davon seit Jahren informiert war. Oppositionspolitiker fordern deshalb auch personelle Konsequenzen.

Spiegel-Online berichtete darüber, dass der BND dabei geholfen haben soll, auch deutsche Politiker zu überwachen. Im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages am Donnerstag wurde bekannt, dass der US-Geheimdienst NSA seit mehr als zehn Jahren sogenannte Selektoren - also etwa IP-Adressen oder Handynummern - an die deutschen Partner weitergegeben hat. "Diese wurden in die BND-Systeme zur Überwachung verschiedener Weltregionen eingespeist."

Bereits im Jahr 2008 fiel BND-Mitarbeitern mehrfach auf, "dass einige dieser Selektoren dem Aufgabenprofil des deutschen Auslandsgeheimdienstes zuwiderlaufen - und auch nicht von dem Memorandum of Agreement abgedeckt sind, das die Deutschen und die Amerikaner zur gemeinsamen Bekämpfung des globalen Terrorismus 2002 ausgehandelt hatten." Unter den ausgespähten Adressen befanden sich laut Spiegel-Online unter anderem die des Rüstungskonzerns EADS, des Hubschrauberherstellers Eurocopter sowie die von französische Behörden.

"Im Geheimdienstuntersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag war es häufiger Thema, dass der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner globalen Netz-Überwachungsmaßnahmen auf Selektoren (z.B. IP-Adressen oder Telefonnummern) zurückgriff, die die NSA lieferte" schreibt Netzpolitik.org. "Insgesamt geht es wohl um 'rund 2.000 Selektoren', die 'eindeutig gegen westeuropäische und deutsche Interessen' verstießen." Tatsächlich handelte es sich - wie später bekannt wurde - um mehr als 40.000 Selektoren.

Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, teilte dazu am Donnerstag mit: "Das Bundeskanzleramt steht zu dem heute in Presseveröffentlichungen thematisierten Vorgang mit dem Bundesnachrichtendienst seit mehreren Wochen in intensivem Kontakt und hat diesen angewiesen, den komplexen Sachverhalt vollständig aufzuklären." Dabei allerdings verschwieg er, dass das Bundeskanzleramt mindestens seit dem Jahr 2008 davon informiert war, dass die NSA mit Hilfe des BND europäische Politiker und Unternehmen ausspionierte. "n24 berichtet …, dass das Kanzleramt schon 2008 über die Praxis Bescheid wusste und es 2010 ein Treffen deswegen zwischen dem damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla und US-Vertretern gegeben habe, wo dieser die USA auf rechtswidriges Verhalten hingewiesen habe."

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn (Linke), äußerte den Verdacht, vom Bundeskanzleramt belogen worden zu sein, schreibt die Berliner Zeitung.

Michael Rediske von den Reportern ohne Grenzen kritisierte: "Wenn sich diese Berichte bestätigen, hat der BND jahrelang nach Belieben der NSA Ziele in Deutschland ausspioniert und damit seinen gesetzlichen Auftrag weit überschritten. Wenn Grundrechte wie Pressefreiheit und Informantenschutz nicht durch hemmungslose Überwachung zur leeren Hülle werden sollen, muss der BND viel wirksamer als bisher kontrolliert werden."

Politiker der Oppositionsparteien forderten inzwischen bereits personelle und politische Konsequenzen. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi zum Beispiel bezeichnete es als "einzigartigen Skandal", dass der BND und die NSA in Europa mehr als 40.000 Mal rechtswidrige Abhöraktionen betrieben hätten. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter hält Kanzlerin Angela Merkel eine Verschleierungstaktik vor. "Hier stellt sich nicht nur die Frage nach einem Versagen des Bundesnachrichtendienstes, sondern auch nach dem Versagen des Kanzleramtes und der Kanzlerin." Und selbst Vize-Kanzler Sigmar Gabriel hat Aufklärung verlangt. "Das, was hier passiert ist, ist schon skandalös", sagte der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister.

Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte: "Es muss personelle Konsequenzen geben, aber nicht nur beim Bundesnachrichtendienst". Tatsächlich muss nun gefragt werden, wie es geschehen konnte, dass jetzt das Bundeskanzleramt den Eindruck erwecken will, von nichts gewusst zu haben und ungewöhnlich scharfe Töne anschlägt und auf Distanz zum Bundesnachrichtendienst gehen will. Das allerdings erfolgt viel zu spät; schließlich ist das Bundeskanzleramt für die Tätigkeiten des BND verantwortlich. Der damaligen Kanzleramtschef und heutigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will sich öffentlich zu den Vorwürfen nicht äußern. Ob er sich damit selbst schützen will oder die Bundeskanzlerin, ist derzeit nicht deutlich zu erkennen.

Auch das Verhalten des Generalbundesanwaltes Harald Range ist im Moment nicht ganz zu durchschauen. Hieß es am Freitag Vormittag noch, dass sich der Generalbundesanwalt in die BND-Affäre einschalten wird, wurde diese Nachricht nur Stunden später dementiert. Eine Sprecherin des Generalbundesanwaltes gab bekannt: "Ein Zusammenhang zu den aktuell gegen den Bundesnachrichtendienst erhobenen Vorwürfen besteht nicht."

Das Bundeskanzleramt ließ gestern dann erklären, dass es keinen Grund sieht, um personelle Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen. "Diese Frage stelle sich momentan nicht, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin."

Severin Weiland von Spiegel-Online kommentiert: "Das bisher so kuschelige Klima in der Großen Koalition wäre vergiftet, umso mehr, als konsequente Nachfragen irgendwann zwangsläufig bei der Hausherrin enden müssten: Was wusste eigentlich die Bundeskanzlerin Angela Merkel von der eigentümlichen Amtshilfe für die US-Spione? Auf die Antwort darauf werden wir wohl lange warten müssen."

"Das deutsche Kanzleramt hat es entweder gewusst und gebilligt, dann hätte die Bundesregierung, allen voran der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, Gesetze gebrochen und Grundrechte verletzt" heißt es in der ZEIT. "Oder der BND sagte es dem Kanzleramt nicht, dann wäre er unkontrollierbar und darf so in einem Rechtsstaat nicht existieren. Denn das Kanzleramt ist die Rechts- und Fachaufsicht des BND. Wenn nicht einmal die Regierung ihre Spione im Griff hat, dann hat niemand sie im Griff. Demokratien kennen aber keine unkontrollierbaren und allmächtigen Gremien und sie dürfen sie nicht dulden, wenn sie Demokratien bleiben wollen."