Am vergangenen Donnerstag luden der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg (ehbb) Berliner Politiker ein, um über Themen zu reden, die für religionsfreie Menschen bei einer Wahlentscheidung von Belang sein könnten. Es wurde ein spannender Abend.
Der hpd hat in den letzten zwei Wochen Analysen der Wahlprogramme der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, veröffentlicht. Die gemeinsame Veranstaltung von IBKA und ehbb im Berliner "Haus der Demokratie und Menschenrechte" ermöglichte es, Politiker*innen direkt mit Fragen zu konfrontieren.
Mit Katina Schubert (LINKE), Dr. Marius Strubenhoff (FDP), Pauline Raabe (VOLT), Henry Schmidt (PdH) und Sabine Smentek (SPD) war das Podium gut besetzt. Leider waren trotz Einladungen keine Vertreter der CDU und von Bündnis 90/Die Grünen gekommen. Die Diskussion leitete Silvia Kortmann (IBKA), die kurzfristig für den erkrankten Philipp Möller (Zentralrat der Konfessionsfreien) eingesprungen war.
"Welche Chancen und Risiken bieten die Neuwahlen für den weltanschaulich neutralen Staat?"
Mit dieser Frage wurde die Podiumsdiskussion eröffnet. Pauline Raabe antwortete als erste und verwies auf die Neutralitätspflicht des Staates: "Das bedeutet unter anderem auch, dass es keine religiösen Eide bei einer Vereidigung geben sollte." Sie wies darauf hin, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die CDU die nächste Regierung stellen wird. "Wir werden die Hoffnung aufgeben müssen, dass sich mit dieser Regierung für unsere Themen etwas bewegt."
"Gibt es eine Chance für eine Abschaffung des Paragrafen 218 in den kommenden Jahren?"
"Unsere Partei war schon immer für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch", antwortete Katina Schubert. Sie stellte klar, dass keine Frau leichtfertig abtreibe und das "als alternative Verhütungsmethode ansieht." Letzte Woche hätte es die Möglichkeit gegeben, diesen Paragrafen abzuschaffen. Leider kam es nicht zur Abstimmung im Bundestag, weil Union und FDP das verhindert haben. "Ich fürchte, wenn CDU, CSU und die AfD tendenziell eine Mehrheit bekämen – und bei der AfD wissen wir, dass es da viele Verbindungen in evangelikale Kreise gibt – wird es noch schwerer" säkulare Themen im Bundestag zur Sprache oder gar zur Abstimmung zu bringen.
"Beim Paragrafen 218 bin ich auch ganz persönlich der Meinung, dass er nicht im Strafgesetzbuch stehen soll", bestätigte Strubenhoff. Auch wenn in anderen politischen Feldern die Haltungen der LINKEN und der FDP auseinander gehen: Hier treffen sie sich. Das wurde jedoch angezweifelt, weil die Partei sich bei der Bundestagsdebatte gegen die Abschaffung ausgesprochen hat. "Ich verteidige jetzt mal Christian Lindner", antwortete Strubenhoff. Lindner habe das jetzt nicht entscheiden wollen, weil die Debatte auch anders als in seinem Sinne hätte ausgehen können.
"Das ist mehr als enttäuschend", konterte Smentek. Es sei enttäuschend, dass die Entscheidung nicht zustande kam, "obwohl es eine Mehrheit im Bundestag dafür gab". "Wir werden wahrscheinlich nie wieder die Chance haben – jedenfalls nicht in den nächsten vier Jahren" den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. "Wir haben einen breiten Konsens in der Gesellschaft dazu" und es lasse viel Bitterkeit zurück, es jetzt nicht geschafft zu haben.
218 ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Gesetz "irgendwann mal aus Kirchenrecht entstanden ist und das bis heute Bestand hat", erklärte Schmidt. "Wir haben uns 1919 in die Verfassung geschrieben (…), dass Staat und Kirche getrennt zu sein haben." Darum gehörten solche Dinge wie der Paragraf 218 in kein Gesetz.
"Gibt es Perspektiven, den sogenannten 'Gotteslästerungsparagrafen' abzuschaffen?"
Auch hier waren sich alle auf dem Podium versammelten Parteien beziehungsweise Politiker*innen einig, den Paragrafen 166 abschaffen zu wollen. Dem Argument, dass es unter anderem jüdische Gemeinden seien, die sich durch Paragraf 166 geschützt fühlen würden, wurde vehement widersprochen. Denn es gäbe andere Gesetze – auch im Strafgesetz – die bei Antisemitismus oder Volksverhetzung greifen würden. Es bleibe also die Frage, so Kortmann, "wen schützt dieser Paragraf tatsächlich?" Schubert antwortete, dass sie verstehe, "dass man nach dem 7. Oktober solche Debatten [im Bundestag] nicht führen wollte." Trotzdem müsse das Thema angepackt werden, "denn der Gotteslästerungsparagraf ist ein Gummiparagraf" der nicht immer schütze, was er vorgibt zu schützen. "Wenn Karikaturen von Imamen auftauchen, dann hat das nichts mit Gotteslästerung zu tun."

"Ist Religionsunterricht noch zeitgemäß?"
Katina Schubert begann mit dem Hinweis, dass es in Berlin eine besondere Situation gäbe. Hier ist "Religionsunterricht Sache der Religionsgemeinschaften und es gibt ein entsprechendes säkulares Angebot: Humanistische Lebenskunde vom HVD". Es ärgere sie, dass die neue Berliner schwarz-rote Koalition Religionsunterricht als Pflichtunterricht in den Koalitionsvertrag geschrieben habe. Das sei anachronistisch, weil es doch eine allgemeine "Lebenskunde, Religionskunde, Weltanschauungskunde geben müsste – unabhängig vom Bekenntnis."
Henry Schmidt wies darauf hin, dass der Religionsunterricht vom Staat bezahlt wird, obwohl er allein den Interessen der Religionsgemeinschaften diene. "An anderer Stelle werden Gelder gekürzt, aber hier wird weiterhin bezahlt."
"Weshalb gibt es noch immer ein kirchliches Arbeitsrecht?"
"Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich hörte, dass es ein Sonderrecht für kirchliche Angestellte gibt", gestand Pauline Raabe. Es sei ihr zuvor – wie vielen anderen Menschen – überhaupt nicht bekannt gewesen, dass diese kein Streikrecht haben und dass es innerhalb dieses Rahmens normal sei, das Privatleben der Mitarbeiter zu bewerten.
"Was ich noch verstehen könnte", ergänzte Sabine Smentek, "dass für alle, die im sogenannten 'Verkündigungsbereich' tätig sind, andere Regeln gelten." Aber doch nicht für "normale" Angestellte und Arbeiter. "Warum gibt es das noch?", fragte sie weiter, "wo sich doch alle einig sind, dass es abgeschafft gehört."
Damit war die Diskussion eröffnet, weshalb politische Entscheidungen häufig nicht den Mehrheitswillen der Bevölkerung widerspiegeln. Als Beispiele wurden das eben erwähnte kirchliche Arbeitsrecht genannt, aber auch die Debatte um die Sterbehilfe und um Schwangerschaftsabbrüche. Bei allen Themen gibt es deutliche Mehrheiten innerhalb der Bevölkerung, im Politikbetrieb findet das aber keinen Widerhall.
Smentek wies darauf hin, dass es auch innerhalb ihrer Partei (noch) Menschen an den Hebeln der Macht gebe, "die entweder der evangelischen oder der katholischen Kirche sehr verbunden sind." Hubertus Heil zum Beispiel als zuständiger Minister habe sich geweigert, die Beschlüsse der Partei zur Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts umzusetzen, "weil er anderer Meinung war". Das Problem haben auch andere Parteien; auch die ohne ein "C" im Namen.
"Es gibt keinen Grund für dieses kirchliche Arbeitsrecht", ergänzte Katina Schubert. Das sei in ihrer Partei Konsens. Obwohl es auch bei den LINKEN deutlich christlich geprägte Spitzenpolitiker gebe wie Bodo Ramelow. "Der ist aber gleichzeitig Gewerkschafter (…) und tritt für die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts ein." Im Übrigen sei sie überzeugt, dass im Zuge des Fachkräftemangels das kirchliche Arbeitsrecht von ganz allein obsolet würde.
Eine Art Fazit
"Die Zeit arbeitet für uns", antwortete Sabine Smentek auf die Frage aus dem Publikum, weshalb es so langsam vorangehe und säkulare Themen in der Politik so wenig Beachtung finden. "Die nächste Generation, die in dieser eher freien und nicht mehr so christlich geprägten Gesellschaft groß geworden sind und andere Weltanschauungen kennengelernt haben und anders leben wollen" werde irgendwann im Bundestag sitzen. Und sicher umsetzen, was heute gefordert wird.

7 Kommentare
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Kommentare
Ralf Michalowsky am Permanenter Link
Warum lädt man die PdH ein und das BSW nicht?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dass in Jahr 2025 noch immer die Religionen das sagen haben in unserer "Demokratie"
daß keinerlei Fortschritt zum Thema Religionen möglich wird und die Politik nach der Pfeife der beiden Kirchen tanzt.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Gemeint sind primär § 218 StGB und § 166 Blasphemie also Gotteslästerung, diese stehen einer real freiheitlichen Lebensweise in der BRD im Wege und nützen nur den Kirchen und deren Agenda.
bekommen und den Islamisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Nur ein konfessionsfreier Staat kann ein friedliches miteinander garantieren, wie uns die Geschichte lehrt haben Kriege meist einen konfessionellen Hintergrund, da dies immer eine zweit Macht im Staate ist und dies kann auf Dauer nie gut gehen.
Die Menschen in der BRD haben dies längst begriffen und kehren den verlogenen Kirchen immer häufiger den Rücken, nur unsere Politik hinkt der Realität noch hinterher.
Ich fürchte, dass nach der Wahl ein engerer Schulterschluss mit den beiden Kirchen und der "neuen" Regierung wieder ein Rückschritt gegen einem Säkularen Staat zu verzeichnen ist.
Petra Pausch am Permanenter Link
Wie ich Ihnen an anderer Stelle schon geraten habe: Manchmal wäre Schweigen besser. Herr Baierlein, Sie kommentieren hier tatsächlich sich selbst.
"wird seit der Weimarer Reichsverfassung gefordert, um ... den Islamisten den Wind aus den Segeln zu nehmen" -> Bitte erklären Sie mir, in welcher Art und Weise es im Jahr 1919 gefordert wurde, gegen Islamisten vorzugehen. (Meines Wissens nach - aber ich bin auch nicht so klug wie Sie - gab es seinerzeit noch keinen Islamismus.)
Auch einen Satz wie "wie uns die Geschichte lehrt haben Kriege meist einen konfessionellen Hintergrund" können Sie doch sicher belegen. Also jetzt nicht mit Ihrer persönlichen Meinung, sondern ausnahmsweise mal mit Fakten. Kriege dienen IMMER und AUSSCHLIESSLICH wirtschaftlichen Interessen. Sie werden, wenn es passt, sehr gern mit Religion oder Ideologien verbrämt. Aber die sind noch nie in der Geschichte der Menschheit der Grund für Krieg gewesen. Wenn Sie etwas anderes wissen: Lassen Sie uns teilhaben an Ihrer Weisheit!
Und Sie müssen sich auch mal entscheiden, meinen Sie nun einen "konfessionsfreier Staat" oder einen "Säkularen Staat"? Das sind zwei verschiedene Dinge. Aber ich weiß schon, nicht für Sie. Ich bin nur zu dumm, das richtig zu verstehen. Schließlich sind Sie alt und haben 3 Bücher geschrieben. Damit ist natürlich jegliche Debatte beendet.
Rüdiger Kramer am Permanenter Link
Frau Pausch, die Kirche hat in den Weltkriegen freiwillig Waffen gesegnet. Sie wurden nicht benutzt, sie haben mit gemacht. Was sie laut ihrem eigenem religiösen Verständnis gar nicht durften.
Petra Pausch am Permanenter Link
Hallo Herr Kramer. Es ist richtig, was Sie sagen. Aber inwieweit hat das mit meinem Kommentar zu tun? Ich stelle keinesfalls in Frage, dass die Kirchen sich bei den Mächtigen anbiedern.
Bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Die Kirchen haben Waffen gesegnet. Das ist korrekt. Und das auf beiden Seiten der Front. Aber sie haben die Kriege nicht begonnen. Nur das wollte ich klarstellen.
Rüdiger Kramer am Permanenter Link
Hallo Frau Pausch, sie haben schlichtweg behauptet, Kriege würden ausschließlich und immer wirtschaftliche Interessen zu Grunde liegen und wenn es passt Religionen und Ideologin dafür benutzt.
Was sie schreiben ist keine Klarstellung, sondern lediglich eine untaugliche Verdrehung der Tatsachen, und Ihre persönliche Meinung, die Ihnen zu steht.
Bis zur Aufklärung haben die Religion, insbesondere die Katholisch Kirche hemmungslos Ihre Macht eingesetzt, um Machtverhältnisse zu steuern und mittels, den daraus resultierende Kriegen sich wirtschaftlich zu bereichern.
Die beiden Weltkriege hätten durch die Kirchen verhindert werden können, aber das Angebot von Hitler war ihnen ihr wirtschaftlich lieber, als zu verhindern das ihre Schäfchen in den Krieg ziehen müssen.
Ein Blick in die Nachrichten in unserer Zeit, zeigt leider, dass Religionen und Ideologien dabei sind, wieder das zu tun, was sie schon immer taten. Sich bereichern und ihre Macht uns aufzuzwingen.
Ach ja, sie bringen auch andere dazu, zu glauben das sie an nichts Schuld sind.