GIEßEN. (hpd) Alternativmedizinische Verfahren sind bei Patienten beliebt, versprechen sie doch weitgehend sanft, natürlich und weitgehend ohne Nebenwirkungen zu sein. Aber sind sie tatsächlich eine Alternative zur sogenannten Schulmedizin?
Mit dieser Frage setzen sich die Beiträge eines soeben erschienenen Sammelbandes auseinander. Einer der Herausgeber, der Biologiedidaktiker Dittmar Graf, stand dem hpd Rede und Antwort.
hpd: Worin besteht das alternative Angebot der Alternativmedizin im Vergleich zur sogenannten Schulmedizin?
Dittmar Graf: Bezeichnend ist, dass eventuelle Alternativen zur Medizin immer nur behauptet, nie aber wissenschaftlich belegt werden. In den meisten Fällen wird versucht, einen Heilungserfolg durch Einzelfallschilderungen zu belegen. Solche Berichte sind notorisch unzuverlässig und wissenschaftlich nur von sehr bescheidenem Wert. Insofern gibt es gar keine “Alternativmedizin”. Martin Mahner erläutert im Buch ausführlich, dass der Glaube an die sogenannte Alternativmedizin ein Auswuchs illusionären Denkens ist.
Was sind denn die bekanntesten einschlägigen Verfahren?
Es gibt in Deutschland drei vom Gesetzgeber privilegierte Verfahren. Pflanzenheilkunde, Homöopathie, und Anthroposophische Medizin. Diese müssen für die Substanzen, die sie als Medikamente auf dem Markt bringen, keinen richtigen Wirkungsnachweis vorlegen, was ich für einen Skandal halte. In Deutschland hat die Homöopathie wahrscheinlich die meisten Anhänger, obwohl es sich um ein absolut unplausibles Konzept handelt, das den gesunden Menschenverstand auf eine äußerst harte Probe stellt. Dies wird im Buch ausführlich thematisiert.
Gibt es alternativmedizinische Methoden, die als tauglicher anzusehen sind als andere?
In der Pflanzenheilkunde gibt es viele Präparate, die eindeutig eine pharmakologische Wirkung besitzen. Dies stellt allerdings unter den alternativmedizinischen Verfahren eine Ausnahme dar.
Nun gibt es Berichte von Patienten, aber auch von Ärzten, die von Heilungserfolgen berichten…
Viele Heilungserfolge kann man mit dem sogenannten Placebo-Effekt erklären. Im richtigen Kontext verabreicht und angemessen zelebriert, können selbst Zuckerkügelchen eine große therapeutische Wirkung entfalten. Auch dazu liefert das Buch grundlegende Informationen.
Ließe sich dann zugespitzt sagen, dass die Alternativmedizin ihre Beliebtheit nicht ihren Erfolgen, sondern dem Zustand unseres medizinischen Systems verdankt?
Es ist ganz bestimmt so, dass die Probleme in unserem Gesundheitssystem Menschen in die Arme der Alternativmedizin treiben. Homöopathen steht für ihre Patientengespräche durch die Gebührenordnung für Ärzte deutlich mehr Geld zur Verfügung als Medizinern, die ein konventionelles Patientengespräch durchführen. Entsprechend führen homöopathische „Heiler“ längere und intensivere Gespräche mit ihren Patienten, was dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses in vielen Fällen zugutekommt.
Derzeit wird über eine Impfpflicht debattiert, weil eine beträchtliche Impfmüdigkeit zu verzeichnen ist und das Lager der Impfgegner wächst. Wie ist das Verhältnis von Impfrisiken und Impfnutzen einzuschätzen?
Auch hierzu gibt es einen eigenen Beitrag. Der Autor, Peter Pommer, zeichnet ein differenziertes Bild, macht aber sehr deutlich, dass der Nutzen in fast allen Fällen gegenüber einem möglichen Schaden bei weitem überwiegt.
Hat der Satz “Wer heilt, hat recht” seine Berechtigung?
Wir haben einen Beitrag von Martin Hermann im Buch mit dem schönen Titel “Wer heilt, hat nicht immer recht”, in dem ausgeführt wird, dass Heilungserfolge oft gar nichts mit der therapeutischen Maßnahme zu tun haben, sondern sich aus ganz anderen Gründen einstellen.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Dittmar Graf / Christoph Lammers (Hrsg.): Anders heilen? Wo die Alternativmedizin irrt. Aschaffenburg 2015, Alibri. 178 Seiten, kartoniert, Euro 14.-, ISBN 978–3–86569–169–7
Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen.de erhältlich.
