BERLIN. (hpd) Auf www.chimpandsee.org kann jeder dazu beitragen, das Wissen um die Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste zu voranzutreiben. Jeder kann selbst zum Forscher werden. Tausende von Filmschnipseln gilt es zu sichten und zu bestimmen. Verteiltes Beobachten lautet die Devise.
Es ist wie im wirklichen Leben. Meistens geschieht nichts. Der Dschungel schweigt. Es sind nur Stämme, Äste und Steine zu sehen auf den neun streichholzschachtelgroßen Filmstills, die den etwa eine Minute langen, per Selbstauslöser entstandenen Streifen vorangestellt sind. Auch beim näheren Hinsehen regt sich nicht auf dem Filmchen. Oder doch? Dann gilt es "I see something/ich sehe etwas" anzuklicken. Ist der Rücken einer Antilope zu sehen oder eine Hinterkopf-und-Ohr-Partie? Hockt auf dem umgefallenen Baumstamm ein Makake oder zieht ein Affenschwanz durch die Szenerie? Das ist natürlich weit öfter der Fall, als dass tatsächlich ein Schimpanse auftaucht. Eine Leiste am linken Bildrand hilft zu entscheiden, um welche der drei Duiker-Antilopen-Arten es sich handeln könnte. Oder ist es eher eine Zwergantilope oder gar ein Bongo? Wie viele können ausgemacht werden: ein, zwei fünf oder mehr?
Weiter geht’s. Was tut das Tier - auch "Mensch" kommt unter den Tierarten vor. Denn in ein Drittel der Fälle ist nur wieder einmal so ein "human" durchs Bild gelaufen oder operiert gerade an der Kamera herum. Doch "Futtern/Trinken", "Groomen", "Reagiert auf die Kamera", "Zieht vorbei" oder "Ruht sich aus" sind hier ein paar der Rubriken, für die es sich dann im Fall aller nichtmenschlichen Tiere zu entscheiden gilt. Nicht immer einfach, denn manchmal machen mehrere Tiere nacheinander oder gleichzeitig verschiedene Dinge. Und trotzdem kann ich nur einmal klicken. Nun, endlich ein Schimpanse! Ein Knirps, der so vorbildlich eine große Nuss mit einem dicken Ast knackt, dass ich mich misstrauisch frage, ob den "volunteers", den freiwilligen Laienforschern, die Szene untergeschoben wurde, um sie bei Laune zu halten. Danach löst wieder eine trockene Unterholzszenerie die andere ab, in der sich nichts bewegt.
Gestartet wurde die Seite vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig unter Federführung von Christophe Boesch anlässlich der "Ape Culture/Kultur der Affen"-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Die Kameras stehen an verschiedenen Plätzen im Nationalpark Taï in der südwestlichen Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire).
Nach drei Tagen, an denen ich mich für etwa 45 Minuten an der Sache versucht habe, bin ich so stolz, eine kleine getüpfelte Raubkatze, ein Zwergflusspferd und ein Schönhörnchen gesichtet zu haben, als wäre ich selbst auf Pirsch gegangen. Und am dritten Tag endlich noch einmal Schimpansen: eine Mutter mit Kleinkind und einer weiteren Verwandten? Schade, dass ich diesmal, da ich endlich gleich drei zu sehen bekomme, gar nicht gefragt werde, wie viele auf dem Bild sind. Und schließlich, welch hübscher Teenager-Schimpanse, der im folgenden Film mal wieder bilderbuchreif seine Nuss mit einem Stein knackt! “Werkzeug gebrauchend” kann ich endlich wieder anklicken. “Männlich” oder “Weiblich”, fragt das Programm. Das weiß ich nicht zu entscheiden. Wer will, kann mit seinen Mitstreitern per Chat über das Bildmaterial diskutieren oder zusätzliche Beobachtungen festhalten.
Mitmachen kann man überall. Während einer langweiligen Konferenz, klammheimlich in der Vorlesung, in der Mittagspause oder mit Grippe im Bett. Eine echte Alternative zum Zoobesuch und in dieser Hinsicht besser als gelehrige DVDs, denn die Protagonisten der Filmschnipsel bewegen sich garantiert unvorhersehbar. Der Blickwinkel ist nicht vorausgewählt, das Geschehen nicht schon gedeutet. Das dürfen wir im Namen der Wissenschaft selber tun.